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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 20
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0481
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DarLuchfülMe
jllustnette fgmilienreitung
20. Heft. 1907.

Vie Sefchwistei- vittone.
^oman von fing, öi'vnei'.
lvorlsekungz — - . (Nachdruck orrvairci.)

„Merkwürdig!" dachte sie noch einmal, als ihre
Augen abermals ans dem Poststempel haften blieben.
Dann löste sie vorsichtig die Ränder von dem
Briefe und las. Zuerst ganz ruhig, dann aber doch
voll Hast. Und als sie bis zur Unterschrift gekommen

war, hatte sich eine so große Aufregung ihrer be-
mächtigt, daß sie nicht mehr sitzen bleiben konnte.
Sie sprang auf und ging hastig durch das Zimmer-
Den Brief hielt sie fest in ihren bebenden Fingern.
Mit der freien Hand fuhr sie sich über die Augen

5echste5 Kapitel.
rida Manusius stand, eine
Gießkanne in der Hand, im
Vorgarten der Villa und
schaute auf den See hin-
ks aus. Ihr Herz war voller
Sorgen. Mittags hatte Perthal ihr
Gast sein sollen, aber er war nicht ge-
kommen. Nur mit Georg saß sie bei
Tische, und dann ging der Bruder
wieder zur Schule, und sie blieb ganz
allein. Ihre Eltern waren einer Ver-


wandten, welche zu Besuch kommen
wollte, bis Salzburg entgegengefah-
ren. Erst am späten Abend konnten
sie zurück sein.
Umsomehr machte sie das Ausblei-
ben ihres Verlobten besorgt und un-
ruhig. Er hatte ihr sein Kommen als
ganz sicher zugesagt, und es mußte
daher etwas sehr Unangenehmes vor-
liegen, das Perthal so in Anspruch
nahm, daß er sogar vergessen hatte, ihr
ein paar erklärende Zeilen zu schicken.
Nun, die Pflanzen im Vorgarten
brauchten deshalb doch Wasser, und
hier draußen gewahrte sie, wenn
Perthal kam, ihn am schnellsten.
Allein er kam nicht. Der Gar-
ten war schier unter Wasser gesetzt.
Es gab beim besten Willen nichts
mehr zu gießen, und doch konnte
Frida sich nicht entschließen, in das
Haus zu gehen.
Jetzt erhob sie erwartungsvoll den
Kopf. Ein Postbote kam daher.
Richtig — geradeswegs auf sie kam
er zu, grüßte, überreichte ihr einen
Kartenbrief und ging weiter.
„Merkwürdig!" dachte das junge
Mädchen, nachdem sie den Poststempel
angesehen hatte, und ging dann ins
Haus.
Im Flur begegnete ihr die Köchin
und bat um Anweisungen wegen des
Nachtessens.
Frida nickte ihr zu. „Gleich komm'
ich wieder," entgegnete sie freundlich.
„Übrigens bleibt es bei dem Mai-
länder Risotto und bei den Hühnern
mit gemischtem Salat. Richten Sie
einstweilen den Salat. Mischen werde
ich ihn nachher selber."
Agnes nahm ihr Schürze und
Kanne ab und ging in ihre Küche.
Frida aber trat in das zunächst gele-
gene Zimmer. Sie war ein bißchen
pedantisch. Sie riß niemals einen
Umschlag auf, und bekam fie Karten-
briefe, so ließ sie sich stets Zeit genug,
die Randstreifen sorgsam abzutrennen.
Sie setzte sich auf den Fenstersitz,
vor welchem ihr Nähtisch stand, legte
den Kartenbrief hin, öffnete ihr
Scherenetui und schnitt zunächst das
Stückchen Nagel weg, das sie sich wäh-
rend des Gießens eingerissen hatte.
Dann verwahrte sie die Schere wieder
und langte nun erst nach dem Brief.


eine merkwürdige ckelsdildung in ldatzo (vereinigte 5taaten). (Z, qzzz

und murmelte dabei: „Ich träume
doch nicht — nein, ich bin wach.
Aber dieser Brief — dieser Brief!
Ob Bruno Vittone wohl schon fort
ist? Es ist ein Rätsel!"
Dann las sie das Schreiben noch
einmal und noch ein drittes Mal.
Langsam, Wort für Wort, studierte
sie es und mußte sich wieder setzen,
denn ihre Füße zitterten.
Sie überlegte eine Weile, dann
erhob sie sich. Ein Gedanke, der
sie jetzt beherrschte, machte sie plötz-
lich ruhig.
Sie ging nach ihrem Zimmer,
öffnete einen Schrank und entnahm
diesem eine Kassette.
Diese Kassette schloß sie mit einem
Schlüfselchen, das sie in ihrer Börse
verwahrte, auf. Die hübsche Lack-
kassette enthielt mehrere Schmuck-
behältnisse. Frida nahm diese heraus
und legte den Brief auf den Grund
der Kassette, dann legte sie die-Etuis
wieder darauf.
Sie hatte die Kassette schon ver-
schlossen und wollte sie schon wieder
in den Schrank stellen, doch tat sie
dies nicht. Wieder stellte fie das Käst-
chen auf den Tisch, erschloß es noch
einmal und entnahm einem der Etuis
ein Venezianerkettlein. Eine Minute
später befand sich die Kassette auf
ihrem gewöhnlichen Platz, und der
Schrank war verschlossen. Den klei-
nen Schlüssel zu der Kassette tat
Frida an das goldene Kettlein und
legte sich dieses um den Hals.
Dann ging fie, als fei gar nichts
Absonderliches vorgefallen, aus dem
Zimmer und wendete sich der Küche zu!
Auf dem Wege dahin kam ihr
Georg entgegen. „Nun? Ist er noch
immer nicht da?" fragte er.
Seine Schwester schaute zerstreut
auf. „Wer denn?" fragte fie.
„Na, Perthal!"
„Ja so.—Nein, noch ist er nicht
gekommen."
„Da will ich mich doch nach ihm
umschauen," meinte Georg. „Gleich
nachher radle ich hinüber nach Alt-
münster."
„Nein, das tust du nicht."
„Warum bist du denn so giftig?"
„Weißt du, ich habe Kopfweh.
Aber gelt, Georg, du bleibst zu Hause?
Weißt du, es paßt mir nicht, dieses
— Nachspionieren."
„Ist mir auch recht. Ich hab'
ohnehin noch zu tun, muß noch eine
lateinische Übersetzung machen."
„Na, siehst du."
Georg schaute ihr kopfschüttelnd
nach. „Sie muß sehr arg Kopfweh
haben," dachte er.
Leventes Kapitel. — -
Über daS alte Herrenhaus von
Tolna ergoß sich das rötliche Licht

XX. ISV7.
 
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