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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 22
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0528
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Da;Luchful-fM
Illustrierte ^amilienreilung

22. liest. 1907.


..


kluf dem Korridor des Schwurgerichts. Nach einem öemZIde von n. kl. Kassatkin. (5. 48Z)

der Sie
Annc-

konnte
lassen,

diese Frage zu stellen. Die
sie über ibn verfügte, reizte

interessanten Aufführung fei. „Mein Vater ist sehr
voreilig, denn wie wenig habe ich zu bieten!" meinte
er endlich.
„In der Lage wäre wohl jeder Mann mir gegen-
über." Anne-Marie warf stolz den Kopf zurück.
„Aber das schreckt keinen ab. Im Gegenteil — ich muß
mich verloben, nur allein um mich meiner Bewerber
zu erwehren." Sie lachte lustig, wie ein Kind bei
einem drolligen Einfall. „Daß Sie nicht reich find,
Georg, das schadet nichts. Ich bin reich genug für
uns beide. Ihre Künstlergrillen stören mich auch
nicht. Die werden erstens wohl mit der Zeit ver-
gehen, zweitens bin ich gewöhnt, selbständig zu
handeln, und möchte darin auch keine Änderung
eintreten lassen. Ich beschränke Sie nicht in Ihren
Liebhabereien, dafür behalte ich mir die Bewirt-
schaftung von Lehmin allein vor."
Georg ließ Anne-Maries Hand nach kurzem Druck
wieder fallen. Sie hielt die Finger jetzt lose im
Schoß verschlungen. In dem Blick, mit dem sie

viel Sie jedem Manne zu bieten haben. Aber ich
bin ein Sonderling. Mir geht meine Kunst über
alles. Ich muß weiter streben, weiter lernen. Ich
will jetzt in Paris studieren."
„Wissen Ihre Eltern das?"
„Ja."
„Und sind einverstanden?"
„Nicht ganz. Aber das hilft ihnen nichts. Ich
bin entschlossen."
Anne-Marie dachte nach. „Nun," sagte sie dann,
„von einer Heirat könnte vorläufig doch noch keine
Rede sein. Vor meinem einundzwanzigsten Jahre
möchte ich keinenfalls heiraten. Überdies sind bau-
liche Veränderungen in Lehmin unbedingt erforder-
lich. Der alte Turm stürzt demnächst ein —"
„Um des Himmels willen lassen Sie den un-
angetastet! Stützen Sie ihn, aber verderben Sie
nicht die ganze Romantik und Poesie von Lehmin!"
„Das spricht wieder der Künstler."
„Ja, der ist untrennbar

ihn maß, las er doch ein leises Befremden über seine
kalte ^Zurückhaltung.
„Selbstverständlich möchte ich Ihren Entschluß
nicht beeinflussen, Georg."
„Mißverstehen Sie mich nicht, Anne-Marie!" fiel
er schnell ein. „Ich danke Ihnen für Ihre Offen-
heit, Ihr Vertrauen. Ich verkenne auch nicht, wie

von mir, den müssen
Sie mit in Kauf
nehmen, Anne-
Marie."
Sie nickte. „Ich
bin's zufrieden.
Sie sind ja zum
Glück nicht nur
kunst-,sondern auch
sportliebend. Rei-
ten Sie heut mit
mir über die Fel-
der von Lehmin
— hinein in die
Tannenwälder —
es wird Ihnen ge-
fallen."
Jnihren Augen
lag der ganze Stolz
der reichen Erbin,
die dem Auser-
wähltenklar macht,
wie hochbegnadigt
er durch sie sein
wird.
„Sie wollen
also wirklich den
verschrobenen Ma-
ler zum Mann
haben, Anne-Ma-
rie?"
„Nein — mei-
nen Jugendgespie-
len, den Sohn mei-
nes guten alten
Onkels Stechow
will ich," entgeg-
nete sie rasch. „Da-
mit erfülle ich zu-
gleich meines Va-
ters liebsten
Wunsch."
„Ist es nur der
Wunsch des Ver-
storbenen,
bestimmt,
Marie?"
Georg
es nicht
kühle Ruhe, mit der
M- gar zu sehr.
Wieder errötete sre em wenig. „Vielleicht nicht
ganz allein," sagte sie endlich leise, halb wider-
willig.
Er nahm noch einmal mit mehr Wärme ihre
Hand und zog sie an die Lippen. „Ich fürchte, ich

Der prinr-öemshl.
Roman von Henriette o. MeerHeimd.
(rorisetzung.)

- (Nachdruck verboten.!
nne-Marie Lehmin wurde rot. Ein schalk-
I Haftes Lächeln ließ ihren ernsten Mund
I plötzlich weich und lieblich erscheinen.
I Sogar Georg v. Stechow, denihre blonde,
« kräftige Schönheit sonst gar nicht anzog,

mußte sich eingestehen, daß sie in diesem Augenblick
hübsch sei. Alles an ihr atmete Leben, Jugend,
Gesundheit, die klaren blauen Augen, die rosige
Gesichtsfarbe, die üppige, hochgewachsene Gestalt.
„Wieso?" fragte fie.
Miß Fraser ging leise, irgend eine Entschuldigung
murmelnd, hinaus. Sie fühlte sich überflüssig.
Niemand beachtete ihr Verschwinden.
Georg beant-
wortete Anne-
MariesFrage nicht
sogleich. Erst nach
einer Weile un-
entschlossenen Zau-
dernssagte er steif:
„Ich bürge natür-
lich für die Schul-
den meines Va-
ters. Können wir
Ihnen dereinst Ihr
Kapital nicht aus-
zahlen, so gehört
Ihnen Retters-
hof."
Anne - Marie
schütteltedenKopf.
Ein paar Minuten
blieb sie auch
stumm. Dann
streckte sie plötzlich
Georg die Hand
hin. „Wir kennen
beide die Wünsche
Ihrer Eltern und
meines teuren ver-
storbenen Vaters,"
sagte sie herzlich.
„Wenn wir diese
Hoffnungen erfül-
len, sind alle
Schwierigkeiten
gelöst."
Diese Offen-
heit kam ihm doch
überraschend. Er
sah sie fassungslos
erstaunt an.
Aber Anne-Ma-
rie war völlig da-
von durchdrungen,
daß jeder Mann
beseligt sein müsse,
den sie erwählte.
Darum gab sie sich
gar keine Mühe,
sein Staunen an-
ders als zu ihren Gunsten zu deuten. „Ihr Vater
sprach mir bereits von Ihren geheimen Wünschen,
Georg."
„Hol' ihn der Kuckuck dafür!" dachte Georg
ärgerlich. Trotzdem fing die Szene an, ihn zu be-
lustigen. Er war gespannt ans die Entwicklung, Ivie
wenn er Zuschauer und nicht Mitspieler bei einer

XXII. IS07.
 
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