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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 17
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0412
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17. fjest. 1Y07.

8l5 an5 ende bei- wett.
llomnn von
Maximilian ttöttcher.
lforlsrtzmig und 8ch!uü.) ^7-- / - 7 (Nachüruci! Veduten.)
Vies/ednte5 Kapitel.
jagte Altdorf und legte das blutige
Meiser aus der Hand. Dann half er, den
Operierten wieder ins Bett zu bringen,
was er noch nie getan, solange der Ober-
arzt ihn kannte.
Während er dann bis ins kleinste hinein, aber
mit sonderbar hart klingender Stimme, die nötigen
Behandlungsmaßregeln gab, hätte Julia ihm zu
Füßen sinken, seine Hände küssen mögen.
Er hatte dem Unglückseligen geholfen, er würde
ihn auch durchbringen. Er würde das schwere Schuld-
bewusstsein, die ungeheure Gewissenslast von ihrer
Seele nehmen, würde sie wieder frei und froh
machen. Und zum ersten Male ward sie sich in
dieser Stunde ganz klar bewußt, daß sie diesen
starken, großherzigen, in sich geschlossenen Mann
nicht nur über die Maßen hochschätzte und verehrte,
sondern daß sie ihn auch über die Maßen liebte,
daß er ihr mehr galt als Vater, Mutter und
Bruder — als alles auf der Welt.
Altdorf aber hatte keinen Blick für sie. Mit
einem merkwürdig kalten und schlaffen Händedruck
verabschiedete er sich von ihr, sagte nur mit einem
matten Versuch, begütigend zu lächeln: „Du bleibst
wohl noch? Sieh zu, daß du eine Stunde Ruhe
findest. Ich muß nach Hause. Ich bin todmüde.
Gute Nacht."
Dann ging er mit dem Oberarzt hinaus, kurz
vor zwölf Uhr.
Sein Abschied machte Julia aufs tiefste betroffen.
Aber er hatte ja Übermenschliches geleistet in den
Stunden, die hinter ihm lagen. Ein Wort des
Heilandes schoß ihr durch den Sinn: Liebet eure
Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen,
die euch beleidigen und verfolgen. — Ja, das hatte
er getan und mehr noch. Aber er war nur ein
Mensch. Kein Wunder also, wenn das Übermensch-
liche ihn erschöpfte.
Doktor Wegener erging sich, während er den
Rock anzog, in Ausdrücken höchster Bewunderung
über die glänzende Art der Operation, und empfahl
sich daun bald mit aufrichtenden Worten an Frau
v. Borgstedt. Doktor Landmann blieb. Er wollte
Wache halten, bis am anderen Morgen eine er-
fahrene Krankenschwester ihn ablösen würde. Es war
für einen jungen Arzt so schwer, sich eine Praxis
zu gründen. Wenn man sich aber hervortat in
Nächstenliebe und Aufopferung — besonders in
einem vornehmen Hause —, so wurde man wohl
weiter empfohlen. Und freundliche Empfehlung galt
nun einmal heutzutage mehr als alles noch so ge-
diegene Können . . .
Die drei saßen schweigend in dem stillen, jetzt
nur noch matt erleuchteten Zimmer. Der Kranke
lag blaß und bewußtlos in seinen Verbänden.
Julia wurde den quälenden Gedanken an Alt-
dorfs kühlen Abschied nicht los. „Er zürnt, er miß-
traut dir," grübelte sie. „Dein langes Verweilen
am Schmerzenslager des Mannes, den du einst ge-
liebt hast, trifft ihn schwer, verletzt die Rechte, die
er an dich hat. Du bist seine Braut. Du gehörst
hier nicht her!" Schließlich steigerte sich ihre inner-
liche Unruhe so sehr, daß sie zu einer rein körperlichen
wurde, sie nicht mehr auf ihrem Platz duldete.
Leise stand sie auf und sagte zu Frau v. Borg-
stedt: „Ich möchte nach Hause, gnädige Frau. Meine

Mutter wird sehr in Sorge sein. Aber ich werde
gern wiederkommen, wenn Ihr Herr Sohn noch
einmal nach mir verlangen sollte."
Fran v. Borgstedt, durch die Angst und den
Gram der letzten Stunden aufs äußerste mitgenom-
men und überreizt, hing sich an sie: „Bitte — bitte,
liebste Julia, gehen Sie doch nicht! Ihre Fran
Mutter weiß ja, daß Sie bei mir in guter Obhut
sind. Und wenn Winfried erwacht, und Sie sind
nicht da ach, mein Gott, ich hakcks ihm doch

versprochen, Sie zu holen! Und schließlich fängt er
wieder zu drohen an."
Sie brach in leidenschaftliches Weinen aus.
Doktor Landmann aber sagte: „Es ist ja ein
großes Opfer. Aber während der Operation — in
der Athernarkose — hat der Herr Hauptmann
immerzu nach Ihnen gerufen, gnädiges Fräulein.
In so leidenschaftlichen Ausdrücken — es war
geradezu erschütternd. Und ich bin überzeugt, wenn
er erwacht und Sie an seinem Lager sitzen sieht,

SrvstmüNerchens hewstZrkung. llnch einem SemZIde von ernst 5chmitz. (5. Z7ZZ


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