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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0014
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Vg5 Luch fül-fille
Illustrierte fgmilierireitung
1. ltest. 1907.

wär'ich geblieben doch!
Noman von
6eorg tznrtwig (Lmmg Xoeppel).
Erstes l^npitel. mschdmck vewoienq

ÄrrvÄüie Heide lag im hellsten Sonnenglast. Ein
MI/-W Meer von Blüten quoll aus ihr empor.
>W M berauschte die surrenden Jnsek-
ten, die eifrig den Nektar eintrngen.
«SEu Mitten im roten Heidekraut stand ein
schwarzer Kiefernbaum, wettergeknickt die Spitze,
sturmzerrissen die Rinde. Ein Kranz verworrener
Aste strebte aus dem Stamm heraus und senkte sich
träge. Er allein gab Schatten in der gleißenden
Lichtfülle.
Das junge Mädchen, welches darunter saß, hatte
sich's bequem gemacht. Weich wie auf Flaum saß sie
zwischen d em Heidekraut, die Füße gekreuzt, den Rücken
gegen den alten Kiefernstamm gelehnt, dem vor
lauter Sommerglück das Harz aus allen Poren quoll.
Ein wunderliches Ding von Strohhut, aus-
gebleicht und abgetragen, lag neben dem jungen
Geschöpf. Ihr vierfüßiger Begleiter drückte seine
Schnauze darauf, wie um den Besitz zu sichern.
Das Haupt, zu dem dieser häßliche Hut gehörte,
neigte sich über ein abgegriffenes Buch. Ein rei-
zendes Köpfchen! Das blonde Haar, zu Zöpfen
geflochten, hing schwer über den Nacken. Natur-
krauses Gelock umrahmte die Stirn.
Der Pudel knurrte.
„Still, Fips!" sagte sie hastig und stieß ihn mit
der Fußspitze gegen die Nase. Das Märchen von
der kleinen Seejungfrau, die den Prinzen liebte
und eine Seele bekam, war noch nicht zu Ende.
Was wußte sie von der tiefen Wahrheit und
Weisheit dieser Fabel! Sie dachte nur an den
schönen Prinzen und an den Meerschmuck von Perlen
und Korallen, den sie auch gern besessen hätte.
Wieder knurrte der Pudel.
„Willst du wohl still sein! Kusch dich —"
Sie brach ab. Von der Waldseite, die das Stück
Heideland begrenzte, kam Geräusch.
Das war sonderbar. Bauern, deren Besitz an-
grenzte, gingen nicht mitten durch das rote Glocken-
meer, Kindern war das Spielen in dieser Ode zu
langweilig, Vieh aus den Dörfern kam nie hierher.
„Was kann das nur sein, Fips?"
Schritte kamen näher. Und jetzt, von der sinken-
den Sonne grell beleuchtet, trat eine Männergestalt
in Erscheinung, die der Verträumten unter dem
Kiefernbanm den Atem versetzte vor Staunen und
vor Schreck.
Ein weißer Sommeranzug an einem Manne!
Und gelbe Schuhe! Wann war je in ihrem ver-
lorenen Heimatwinkel etwas derartiges aufgctancht!
Der Fremde nahm die melancholische Poesie
dieser Einsamkeit sinnend in sich auf. Erst das Bellen
des Hundes machte ihn auf das Stilleben darin
aufmerksam.
Da stand er auch schon vor der Kiefer.
Das junge Mädchen war aufgesprungen, das
Buch in der Hand, über und über errötend vor Ver-
legenheit.
Er hatte leicht den Hut gelüstet. Ihr rot und
blau gestreiftes Kattnnkleid, das an Länge und Werte
zu wünschen übrig ließ und bei aller Sauberkeit
recht dürftig und verwaschen um die jungen Glieder
hing, befremdete ihn nicht. Für ein Bauernmädchen
war's gut genug. Was ihn in Staunen setzte, war
das reizende Gesicht des Mädchens.
„Ich komme von Darkehmen und —"
„Ach so!" sagte sie hastig.

„Ich habe meinen Wagen da stehen lassen und
wollte zu Fuß —"
Er sah, daß ihre Gedanken nicht bei ihm waren,
versonnen schaute sie in die Ferne. War's nicht
ein Märchen, das sie soeben selbst erlebte? Wie
ein Prinz, schon und stolz, stand der Fremde vor
ihr. Aber ach — sie war keine königliche Seejung-
frau —
„Ich wollte durch den Wald gehen und kam auf
die Heide. Können Sie mir sagen, wo Schwarken
liegt? Es muß ganz in der Nähe sein."

„Ja — dort!" Sie zeigte auf die am Rande
der Heide im Erddunst Verschwimmenden Häuser.
„Geradeaus also?"
Sie nickte.
„Dort wohnt Pastor Seller?" fragte er un-
geduldig werdend. „Kennen Sie ihn?"
Sie nickte wieder und lachte.
Er schüttelte den Kopf. „Was finden Sie so
lächerlich an meiner Frage?"
Sie lachte wieder, wurde dann verlegen und
schwieg.

IjollZndifche fischermlidchen. Nach einem SemZIde von N. Wagner.


I. 1Y07.
 
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