XO-
Als sie stockte, nickte er ihr ermunternd zu. „Was
sagte sie denn?"
„Ich sollte mich erst sehr besinnen, ob ich jemand
lieb hätte, wenn einer mich heiraten wollte."
Er verbiß das Lachen. Dann überkam ihn eine
wunderliche Rührung angesichts dieser Herzens-
knospe, in der das heiligste Geheimnis träumend
schlief.
„Aber wenn man jemand wirklich lieb hat, zu
besinnen gibt's da nichts mehr. Wenn man alles
so genau wüßte wie das! Alle beide wissen es.
Und das ist schön, sehr schön-"
Er dachte an das zitternde Lächeln, welches ein-
gestand, was noch kein Hauch verraten, an die
dunklen Wimpern, die sich über brennenden Fragen
schlossen, an das von tausend Schleiern umsponnene
Wundervolle, das ans Licht der Erkenntnis drängte.
„Meine Zeit ist um," sagte er hastig. „Auf
Wiedersehen!"
Sie lies ans Fenster und sah ihm nach, wie er
zu Pferde stieg und davonsprengte. —
Pastor Seilers Antwort war kurz.
„Liebe Marie! Ich verehre die Gottesfügung
in allen Dingen, sonst würde ich den Wunsch aus-
sprechen, daß Du so eigenmächtig nicht hättest han-
deln mögen.
Was Deine Frage betrifft, so kann ich Dir keine
Antwort darauf geben. Doch ist es nicht aus-
geschlossen, daß Dir darüber einstmals Klarheit wer-
den könnte.
Fahre fort, mich als Deinen besten Freund zu
betrachten, der Dich von Herzen grüßt.
Seiler."
Mias Herz war so erfüllt von anderen Dingen,
daß sie das Schreiben enttäuscht beiseite legte und
seinen Inhalt vergaß.
Der Frühlingswind sauste in den Wipfeln. Hoch
oben, wo die falbe Leuchte verlosch, brauten die
Wolken den linden Lenzregen, der Blüten wach-
küßt und mit Segen füllt.
Alexandra Luise warf die Feder beiseite.
Waren es Tropfen, die ans Fenster pochten?
Oder waren's ungestillte Herzschläge, die Liebesglück
heischten und nicht fanden?
Der Kammerdiener meldete den Adjutanten des
Erbprinzen im Auftrage desselben.
Sie drückte die Hände ineinander. Sie war
allein. Gräfin Heilsberg war mit ihrer Genehmi-
gung zu einem Besuch gefahren.
„Ich bitte."
Der Rittmeister v. Mersbach trat ein.
Sie wandte den Kopf und nickte ihm lässig zu.
„Auf Befehl Seiner Hoheit bringe ich die Kostüm-
bilder zur gnädigen Ansicht und Auswahl."
Da stand sie langsam auf. Ihr lichtes, langes
Kleid flimmerte. Der golddurchwirkte Gürtel gleißte.
Alles an ihr war Glanz und Schöne.
Unter dem Kronleuchter, auf die Purpurdecke,
legte er die Mappe nieder.
Der Tisch stand zwischen ihnen, zwischen ihren
Körpern. Zwischen ihren Seelen stand nichts mehr.
Und der Lenzwind draußen sang fort sein all-
mächtiges Lied, das hohe Lied der Verheißung.
Er überreichte ihr ein Blatt. „Dieses Bild —"
Sein Blick haftete auf der weißeu Hand, die
danach griff, ihr Auge dagegen auf dem Antlitz
dessen, der's ihr reichte.
Nun hielt sie es, ohne darauf hinzusehen, und
lauschte auf ihren eigenen Herzschlag.
Da fuhr er sich hastig über die heiße Stirn,
hinter der es wallte von Seligkeit, Vorwurf,
Schmerz.
Das Blatt glitt aus ihren Fingern zur Erde.
Dachte sie an das Nornenlied, den Nornenruf?
Er hob es vom Teppich auf.
Sie sah ihn an und nickte. Ihre Hände be-
rührten sich.
Er beugte sich über die weißen Finger und
küßte sie.
Sie schloß die dunklen Wimpern.
Wie in grane Ferne schwand ihr Stolz dahin.
Der Quell, der aus ihrem Herzen hervorbrach, war
der Aufschrei des Weibes nach Liebe. Das zitternde
Lächeln ihrer Lippen trank schon von diesem spru-
delnden Quell.
Sie löste ihre Hand nicht.
Und wie er sie in der seinen beben fühlte, zwang
unaussprechliches Sehnen ihn zu ihren Füßen nieder.
Sie wußte, daß es so kommen mußte — heute
oder morgen. Sie wollte es ja.
Und so beugte sie sich — und verlor die Ge-
danken, als sie sein dunkles Haar küßte.
Der Verrat, den er beging, schnitt ihm ins Herz.
Er sprang auf — totenblaß. „Ich Elender! Ver-
gebung —"
Aber er fand den Weg nicht mehr aus diesem
Zauberkreis.
— 17 Va5 Luch sül-Mle--
In ihr rang neues Leben sich los, die Maske
fiel, das glanzvoll Erstickte brach sieghaft hervor.
„Warum elend?" flüsterte sie. „Wenn Sie in
dieser Stunde nichts fühlen, als Elend —"
„Unermeßliches Glück!" stieß er leidenschaftlich
hervor und preßte seine Lippen wieder und wieder
auf ihre Rechte.
„Mir ist's, als hätte ich einen schweren Traum
geträumt," sagte sie tief atmend. „Wo ist er nun
geblieben? Wie finde ich mich wieder?"
„Angebetet —" flüsterte er, „bis zur Verzweif-
lung geliebt —"
Sie zuckte zusammen, als träfe das Wort sie
bis ins Herz. „Unter der Fürstenkrone blühen
wenige Blumen," sagte sie, die dunklen Augen tief
in die seinen senkend. „Wer Rosen pflücken will,
darf sie nicht in kalter Höhe suchen. Ich weiß nicht,
wie sie auf meinen Weg kam — diese Rose."
„Mein Leben möchte ich hingeben —" murmelte
er leidenschaftlich.
Sie schüttelte das Haupt. „Dann wäre die Ro!e
ja tot."
„Nichts mehr — nichts mehr! Ich bitte Sie
von Grund meiner Seele," stieß er bebend hervor.
„Es geht über Menschenkraft."
„Dem Schmerz dürfen wir erliegen," sagte
Alexandra Luise ernst, „danach fragt kein Mensch.
Warum nicht dein Glück? Ist es denn so reichlich
ausgesät auf dieser Erde? Nimmt man es auf,
wie eine Handvoll Sand?"
„Nein," lächelte er, „wie ein Gnadengeschenk."
„So nimm's!" flüsterte sie sehnsuchtsvoll. „Ich
gebe es dir."
Seine Schläfen pochten. Er sah nicht mehr die
Krone auf ihrem Haupte, nicht den Ring an ihrer
Hand, er sah nur das herrliche Weib, das mit all
seinem Stolz und Unnahbarkeitsgefühl in seine
Arme sank.
Er hielt sie au sich gepreßt. Wie im Rausch
füblte er ihren Atem auf seiner Wange. Ihm schwand
die Welt.
Er beugte sich über ihre Lippen, die zitternd
lächelnden, und küßte sie ...
Im Vorzimmer ertönten Schritte.
Mersbach empfand sie wie einen elektrischen
Schlag. Er sah auf Alexandra Luise.
Sie löste sich aus seinem Arm — totenblaß.
Wundervoll in dieser durchgeistigten Blässe, trat
sie zurück.
Aber schon ging die Tür auf.
Der Erbprinz erschien auf der Schwelle.
Er blieb einen Moment wie zweifelnd stehen;
dann flog sein finsterer Blick zwischen beiden for-
schend hin und her.
Wao in Mersbach vorging, was in ihm sich
schuldig bekannte, was nach Rettung suchte für das
gefährdete Weib, dessen Blässe das Deckenlicht mit-
leidslos enthüllte — er wußte es nicht.
Er fühlte nur, daß etwas geschehen müsse, daß
die Pflicht von ihm forderte, jeden Verdacht zu
beseitigen.
So wandte er sich um und trat in dienstlicher
Haltung vor den Erbprinzen. „Ich gestatte mir,
jetzt auch Eurer Hoheit alleruntertänigst meine Ver-
lobung mit —- Fräulein v. Helling zu melden."
Mer ihre Lippen durfte der Schrei nicht kom-
men, der aus Alexandra Luises Herzen drang.
„Du hast davon gewußt?" fragte der Erbprinz,
noch nicht zweifellos.
Sie nickte.
„Ihrer Königlichen Hoheit war mein Wunsch
bekannt."
„Dann gratuliere ich. Auf keinen Fall will ich
Sie Ihrer Braut heute abend vorenthalten. Also,
viel Vergnügen! Und meinen Gruß au Ihre
Damen."
„Ich danke Eurer Hoheit alleruntertänigst."
Ihm war, als hätte er Blei unter den Füßen,
wie er Alexandra Luise tiefgebeugt über die Kostüm-
bilder sah.
„Königliche Hoheit gestatten auch?"
Sie hob nur die Hand.
Er wandte sich um und verließ das Zimmer.
Neuntes Kapitel-
Der Wind strich flach über die nassen Triften,
über welche Mersbach gedankenschwer dahinritt.
Die Leidenschaft, die in ihm nachglühte, und die
Not, der er sich gegenübergestellt, tobten in ihm
einen Verzweiflungskampf aus.
Er hatte das einzige Mittel ergriffen, die Prin-
zessin und sich zu retten. Nun kamen die Folgen,
die sich an jedes Menschentun klammern und nicht
abzuschütteln sind.
Er dachte nicht an Mia, er dachte an die Frau,
die er bis ins innerste Herz getroffen. An das,
was er sich selber angetan und durchführen mußte
um seiner eigenen Ehre willen.
- . . n Heft 4
Und zwischen diese Gedanken schlug wie eine
Flamme das Bewußtsein einer begangenen wahn-
sinnigen Torheit. Darüber hinweg führte kein Weg,
nicht rechts, wo das Unrecht lag, nicht links, wo
die Enttäuschung lauerte.
Alexandra Luise war kein Weib, das nur ihrer
Liebe lebte. Und hätte sie alles für ihn geopfert,
herrschen würde sie immer wollen.
Er aber war wiederum nicht der Mann, der
Sklave seiner Frau zu sein.
Er drückte dem Pferde die Sporen in die Seiten,
daß es sich hoch aufbäumte und vorwärts stob.
Unentwegr jagten seine Gedanken mit.
Welch ungeheure Lüge hatte er sich aufgebürdet!
Und diese Last mußte er mit sich hcrumschleppeu
ein ganzes Leben hindurch! — —
Uber den Weg fiel schon Licht aus den Dorf-
häusern. Burschen und Mädchen kamen singend
die Straße herauf, eine Harmonika schnarrte lär-
mend dazwischen.
Mersbach erwachte wie aus einem wüsten
Traum, als er vor Schloß Elbental ankam.
„Ist die Frau Baronin zu Hause?"
„Zu Befehl, Herr Rittmeister! Gnädige Frau
sind in ihrem Zimmer."
Er schritt die Stufen hinauf. Sein Säbel schleifte
klirrend über den Marmor — er hörte es nicht. Er
hörte nur das quälende Pochen seines Herzens.
Ohne anzuklopfen trat er ein. Er kannte seine
Mutter. Sie war so leicht nicht zu erschrecken.
Darum ging er entschlossen zu ihrem Sitz am ver-
löschenden Feuer.
„Höre mich ruhig an, Mutter. Wenn es dir
möglich ist, ohne mich zu unterbrechen."
Sie sah die Verstörtheit seiner Züge, da schlich
ein häßliches Erinnern durch ihre Seele. Schon
einmal hatte ein Kind so verstört vor ihr gestanden,
gekniet — und sie hatte den Arm erhoben und nach
der Tür gezeigt.
„Sprich!" sagte sie kurz.
Er stützte sich schwer auf den Säbelgriff und
sprach und erzählte das alte, traurige Märchen von
Traum und Erwachen, von Vergessen und Reue,
von Glück und Leid.
Sie saß wie versteinert. Lachten die Geister
dieses Hauses nicht höhnisch auf? Die Tochter
schmachvoll tief hinabsteigend mit ihrer Liebe, der
Sohn so hoch hinaufgreifend, daß ihn jetzt der
Schwindel faßte.
„Wo hast du deinen Verstand gehabt?" rief sie
bitter dazwischen.
„Frage jetzt nicht. Höre erst zu Ende! — Eines
aber laß nicht aus den Augen: Wir haben es mit
einer vollendeten Tatsache zu tun — verstehst du,
Mutter? Mit einer Tatsache, die unumstößlich ist,
mit einer dienstlichen Meldung, wenn dir das ein-
leuchtender ist," fügte er rauh hinzu.
Sie sah ihn erwartungsvoll an.
„Ich meldete dem Erbprinzen meine Verlobung
mit -— Mia v. Helling."
Da fließ sie einen erstickten Zornesruf aus und
sprang auf. „Bist du bei Sinnen, Richard! Ich
frage dich, ob du bei Siuneu warst?"
„Nein! Oder ja! In dem Augenblick, wo ich
diesen Namen nannte, war ich nur allzu klar über
das, was geschehen mußte," sagte er gepreßt.
Vor seinen Augen stieg das herrliche Frauen-
bild auf, dessen Atem er getrunken, desfen Lippen
er geküßt, das sein gewesen war einen Pulsschlag
lang.
„Reize mich nicht durch Vorwürfe," murmelte
er zwischen den Zähnen. „Ich weiß sonst nicht,
was geschieht." Er stampfte leidenschaftlich auf.
„Ich will nicht, daß auch nur ein Schatten auf
Alexandra Luise fällt. Mag das Opfer, welches ich
bringe, so groß sein, wie es will — das wenigstens
will ich ihr ersparen."
Die Freifrau war schweren Schrittes auf und
nieder gegangen. Jetzt blieb sie mit finsterem Ge-
sicht vor ihm stehen. „Mußtest du gerade diesen
Namen nennen? Gab's nicht andere genug, deren
du ebenso sicher warst?"
„Nein!" sagte er fchross. „Du vergißt, daß ich
bei jeder anderen erst morgen hätte anhalten müssen
— und also mich und sie Lügen strafen. Es konnte
nur eine bereits vollendete Tatsache sein, die ich
meldete. Ich war verlobt, Mutter — ich war schon
mit Mia v. Helling verlobt, als ich das erbprinz-
liche Palais betrat. Begreifst du?"
„Ich begreife," sagte sie hart.
Er lachte bitter auf. „Eine jämmerliche Ko-
mödie! Ich mühte doch wohl heute abend noch
meine Braut davon benachrichtigen, daß sie morgen
den Verlobungsring tragen wird? Das arme Ding
— es ist schmachvoll! Aber ehe ich Alexandra Luise
opfere, opfere ich mich und dieses törichte Kind.
Ich weiß übrigens, daß Mia mich liebt."
Uber das Gesicht der Freifrau zuckte es wie
Als sie stockte, nickte er ihr ermunternd zu. „Was
sagte sie denn?"
„Ich sollte mich erst sehr besinnen, ob ich jemand
lieb hätte, wenn einer mich heiraten wollte."
Er verbiß das Lachen. Dann überkam ihn eine
wunderliche Rührung angesichts dieser Herzens-
knospe, in der das heiligste Geheimnis träumend
schlief.
„Aber wenn man jemand wirklich lieb hat, zu
besinnen gibt's da nichts mehr. Wenn man alles
so genau wüßte wie das! Alle beide wissen es.
Und das ist schön, sehr schön-"
Er dachte an das zitternde Lächeln, welches ein-
gestand, was noch kein Hauch verraten, an die
dunklen Wimpern, die sich über brennenden Fragen
schlossen, an das von tausend Schleiern umsponnene
Wundervolle, das ans Licht der Erkenntnis drängte.
„Meine Zeit ist um," sagte er hastig. „Auf
Wiedersehen!"
Sie lies ans Fenster und sah ihm nach, wie er
zu Pferde stieg und davonsprengte. —
Pastor Seilers Antwort war kurz.
„Liebe Marie! Ich verehre die Gottesfügung
in allen Dingen, sonst würde ich den Wunsch aus-
sprechen, daß Du so eigenmächtig nicht hättest han-
deln mögen.
Was Deine Frage betrifft, so kann ich Dir keine
Antwort darauf geben. Doch ist es nicht aus-
geschlossen, daß Dir darüber einstmals Klarheit wer-
den könnte.
Fahre fort, mich als Deinen besten Freund zu
betrachten, der Dich von Herzen grüßt.
Seiler."
Mias Herz war so erfüllt von anderen Dingen,
daß sie das Schreiben enttäuscht beiseite legte und
seinen Inhalt vergaß.
Der Frühlingswind sauste in den Wipfeln. Hoch
oben, wo die falbe Leuchte verlosch, brauten die
Wolken den linden Lenzregen, der Blüten wach-
küßt und mit Segen füllt.
Alexandra Luise warf die Feder beiseite.
Waren es Tropfen, die ans Fenster pochten?
Oder waren's ungestillte Herzschläge, die Liebesglück
heischten und nicht fanden?
Der Kammerdiener meldete den Adjutanten des
Erbprinzen im Auftrage desselben.
Sie drückte die Hände ineinander. Sie war
allein. Gräfin Heilsberg war mit ihrer Genehmi-
gung zu einem Besuch gefahren.
„Ich bitte."
Der Rittmeister v. Mersbach trat ein.
Sie wandte den Kopf und nickte ihm lässig zu.
„Auf Befehl Seiner Hoheit bringe ich die Kostüm-
bilder zur gnädigen Ansicht und Auswahl."
Da stand sie langsam auf. Ihr lichtes, langes
Kleid flimmerte. Der golddurchwirkte Gürtel gleißte.
Alles an ihr war Glanz und Schöne.
Unter dem Kronleuchter, auf die Purpurdecke,
legte er die Mappe nieder.
Der Tisch stand zwischen ihnen, zwischen ihren
Körpern. Zwischen ihren Seelen stand nichts mehr.
Und der Lenzwind draußen sang fort sein all-
mächtiges Lied, das hohe Lied der Verheißung.
Er überreichte ihr ein Blatt. „Dieses Bild —"
Sein Blick haftete auf der weißeu Hand, die
danach griff, ihr Auge dagegen auf dem Antlitz
dessen, der's ihr reichte.
Nun hielt sie es, ohne darauf hinzusehen, und
lauschte auf ihren eigenen Herzschlag.
Da fuhr er sich hastig über die heiße Stirn,
hinter der es wallte von Seligkeit, Vorwurf,
Schmerz.
Das Blatt glitt aus ihren Fingern zur Erde.
Dachte sie an das Nornenlied, den Nornenruf?
Er hob es vom Teppich auf.
Sie sah ihn an und nickte. Ihre Hände be-
rührten sich.
Er beugte sich über die weißen Finger und
küßte sie.
Sie schloß die dunklen Wimpern.
Wie in grane Ferne schwand ihr Stolz dahin.
Der Quell, der aus ihrem Herzen hervorbrach, war
der Aufschrei des Weibes nach Liebe. Das zitternde
Lächeln ihrer Lippen trank schon von diesem spru-
delnden Quell.
Sie löste ihre Hand nicht.
Und wie er sie in der seinen beben fühlte, zwang
unaussprechliches Sehnen ihn zu ihren Füßen nieder.
Sie wußte, daß es so kommen mußte — heute
oder morgen. Sie wollte es ja.
Und so beugte sie sich — und verlor die Ge-
danken, als sie sein dunkles Haar küßte.
Der Verrat, den er beging, schnitt ihm ins Herz.
Er sprang auf — totenblaß. „Ich Elender! Ver-
gebung —"
Aber er fand den Weg nicht mehr aus diesem
Zauberkreis.
— 17 Va5 Luch sül-Mle--
In ihr rang neues Leben sich los, die Maske
fiel, das glanzvoll Erstickte brach sieghaft hervor.
„Warum elend?" flüsterte sie. „Wenn Sie in
dieser Stunde nichts fühlen, als Elend —"
„Unermeßliches Glück!" stieß er leidenschaftlich
hervor und preßte seine Lippen wieder und wieder
auf ihre Rechte.
„Mir ist's, als hätte ich einen schweren Traum
geträumt," sagte sie tief atmend. „Wo ist er nun
geblieben? Wie finde ich mich wieder?"
„Angebetet —" flüsterte er, „bis zur Verzweif-
lung geliebt —"
Sie zuckte zusammen, als träfe das Wort sie
bis ins Herz. „Unter der Fürstenkrone blühen
wenige Blumen," sagte sie, die dunklen Augen tief
in die seinen senkend. „Wer Rosen pflücken will,
darf sie nicht in kalter Höhe suchen. Ich weiß nicht,
wie sie auf meinen Weg kam — diese Rose."
„Mein Leben möchte ich hingeben —" murmelte
er leidenschaftlich.
Sie schüttelte das Haupt. „Dann wäre die Ro!e
ja tot."
„Nichts mehr — nichts mehr! Ich bitte Sie
von Grund meiner Seele," stieß er bebend hervor.
„Es geht über Menschenkraft."
„Dem Schmerz dürfen wir erliegen," sagte
Alexandra Luise ernst, „danach fragt kein Mensch.
Warum nicht dein Glück? Ist es denn so reichlich
ausgesät auf dieser Erde? Nimmt man es auf,
wie eine Handvoll Sand?"
„Nein," lächelte er, „wie ein Gnadengeschenk."
„So nimm's!" flüsterte sie sehnsuchtsvoll. „Ich
gebe es dir."
Seine Schläfen pochten. Er sah nicht mehr die
Krone auf ihrem Haupte, nicht den Ring an ihrer
Hand, er sah nur das herrliche Weib, das mit all
seinem Stolz und Unnahbarkeitsgefühl in seine
Arme sank.
Er hielt sie au sich gepreßt. Wie im Rausch
füblte er ihren Atem auf seiner Wange. Ihm schwand
die Welt.
Er beugte sich über ihre Lippen, die zitternd
lächelnden, und küßte sie ...
Im Vorzimmer ertönten Schritte.
Mersbach empfand sie wie einen elektrischen
Schlag. Er sah auf Alexandra Luise.
Sie löste sich aus seinem Arm — totenblaß.
Wundervoll in dieser durchgeistigten Blässe, trat
sie zurück.
Aber schon ging die Tür auf.
Der Erbprinz erschien auf der Schwelle.
Er blieb einen Moment wie zweifelnd stehen;
dann flog sein finsterer Blick zwischen beiden for-
schend hin und her.
Wao in Mersbach vorging, was in ihm sich
schuldig bekannte, was nach Rettung suchte für das
gefährdete Weib, dessen Blässe das Deckenlicht mit-
leidslos enthüllte — er wußte es nicht.
Er fühlte nur, daß etwas geschehen müsse, daß
die Pflicht von ihm forderte, jeden Verdacht zu
beseitigen.
So wandte er sich um und trat in dienstlicher
Haltung vor den Erbprinzen. „Ich gestatte mir,
jetzt auch Eurer Hoheit alleruntertänigst meine Ver-
lobung mit —- Fräulein v. Helling zu melden."
Mer ihre Lippen durfte der Schrei nicht kom-
men, der aus Alexandra Luises Herzen drang.
„Du hast davon gewußt?" fragte der Erbprinz,
noch nicht zweifellos.
Sie nickte.
„Ihrer Königlichen Hoheit war mein Wunsch
bekannt."
„Dann gratuliere ich. Auf keinen Fall will ich
Sie Ihrer Braut heute abend vorenthalten. Also,
viel Vergnügen! Und meinen Gruß au Ihre
Damen."
„Ich danke Eurer Hoheit alleruntertänigst."
Ihm war, als hätte er Blei unter den Füßen,
wie er Alexandra Luise tiefgebeugt über die Kostüm-
bilder sah.
„Königliche Hoheit gestatten auch?"
Sie hob nur die Hand.
Er wandte sich um und verließ das Zimmer.
Neuntes Kapitel-
Der Wind strich flach über die nassen Triften,
über welche Mersbach gedankenschwer dahinritt.
Die Leidenschaft, die in ihm nachglühte, und die
Not, der er sich gegenübergestellt, tobten in ihm
einen Verzweiflungskampf aus.
Er hatte das einzige Mittel ergriffen, die Prin-
zessin und sich zu retten. Nun kamen die Folgen,
die sich an jedes Menschentun klammern und nicht
abzuschütteln sind.
Er dachte nicht an Mia, er dachte an die Frau,
die er bis ins innerste Herz getroffen. An das,
was er sich selber angetan und durchführen mußte
um seiner eigenen Ehre willen.
- . . n Heft 4
Und zwischen diese Gedanken schlug wie eine
Flamme das Bewußtsein einer begangenen wahn-
sinnigen Torheit. Darüber hinweg führte kein Weg,
nicht rechts, wo das Unrecht lag, nicht links, wo
die Enttäuschung lauerte.
Alexandra Luise war kein Weib, das nur ihrer
Liebe lebte. Und hätte sie alles für ihn geopfert,
herrschen würde sie immer wollen.
Er aber war wiederum nicht der Mann, der
Sklave seiner Frau zu sein.
Er drückte dem Pferde die Sporen in die Seiten,
daß es sich hoch aufbäumte und vorwärts stob.
Unentwegr jagten seine Gedanken mit.
Welch ungeheure Lüge hatte er sich aufgebürdet!
Und diese Last mußte er mit sich hcrumschleppeu
ein ganzes Leben hindurch! — —
Uber den Weg fiel schon Licht aus den Dorf-
häusern. Burschen und Mädchen kamen singend
die Straße herauf, eine Harmonika schnarrte lär-
mend dazwischen.
Mersbach erwachte wie aus einem wüsten
Traum, als er vor Schloß Elbental ankam.
„Ist die Frau Baronin zu Hause?"
„Zu Befehl, Herr Rittmeister! Gnädige Frau
sind in ihrem Zimmer."
Er schritt die Stufen hinauf. Sein Säbel schleifte
klirrend über den Marmor — er hörte es nicht. Er
hörte nur das quälende Pochen seines Herzens.
Ohne anzuklopfen trat er ein. Er kannte seine
Mutter. Sie war so leicht nicht zu erschrecken.
Darum ging er entschlossen zu ihrem Sitz am ver-
löschenden Feuer.
„Höre mich ruhig an, Mutter. Wenn es dir
möglich ist, ohne mich zu unterbrechen."
Sie sah die Verstörtheit seiner Züge, da schlich
ein häßliches Erinnern durch ihre Seele. Schon
einmal hatte ein Kind so verstört vor ihr gestanden,
gekniet — und sie hatte den Arm erhoben und nach
der Tür gezeigt.
„Sprich!" sagte sie kurz.
Er stützte sich schwer auf den Säbelgriff und
sprach und erzählte das alte, traurige Märchen von
Traum und Erwachen, von Vergessen und Reue,
von Glück und Leid.
Sie saß wie versteinert. Lachten die Geister
dieses Hauses nicht höhnisch auf? Die Tochter
schmachvoll tief hinabsteigend mit ihrer Liebe, der
Sohn so hoch hinaufgreifend, daß ihn jetzt der
Schwindel faßte.
„Wo hast du deinen Verstand gehabt?" rief sie
bitter dazwischen.
„Frage jetzt nicht. Höre erst zu Ende! — Eines
aber laß nicht aus den Augen: Wir haben es mit
einer vollendeten Tatsache zu tun — verstehst du,
Mutter? Mit einer Tatsache, die unumstößlich ist,
mit einer dienstlichen Meldung, wenn dir das ein-
leuchtender ist," fügte er rauh hinzu.
Sie sah ihn erwartungsvoll an.
„Ich meldete dem Erbprinzen meine Verlobung
mit -— Mia v. Helling."
Da fließ sie einen erstickten Zornesruf aus und
sprang auf. „Bist du bei Sinnen, Richard! Ich
frage dich, ob du bei Siuneu warst?"
„Nein! Oder ja! In dem Augenblick, wo ich
diesen Namen nannte, war ich nur allzu klar über
das, was geschehen mußte," sagte er gepreßt.
Vor seinen Augen stieg das herrliche Frauen-
bild auf, dessen Atem er getrunken, desfen Lippen
er geküßt, das sein gewesen war einen Pulsschlag
lang.
„Reize mich nicht durch Vorwürfe," murmelte
er zwischen den Zähnen. „Ich weiß sonst nicht,
was geschieht." Er stampfte leidenschaftlich auf.
„Ich will nicht, daß auch nur ein Schatten auf
Alexandra Luise fällt. Mag das Opfer, welches ich
bringe, so groß sein, wie es will — das wenigstens
will ich ihr ersparen."
Die Freifrau war schweren Schrittes auf und
nieder gegangen. Jetzt blieb sie mit finsterem Ge-
sicht vor ihm stehen. „Mußtest du gerade diesen
Namen nennen? Gab's nicht andere genug, deren
du ebenso sicher warst?"
„Nein!" sagte er fchross. „Du vergißt, daß ich
bei jeder anderen erst morgen hätte anhalten müssen
— und also mich und sie Lügen strafen. Es konnte
nur eine bereits vollendete Tatsache sein, die ich
meldete. Ich war verlobt, Mutter — ich war schon
mit Mia v. Helling verlobt, als ich das erbprinz-
liche Palais betrat. Begreifst du?"
„Ich begreife," sagte sie hart.
Er lachte bitter auf. „Eine jämmerliche Ko-
mödie! Ich mühte doch wohl heute abend noch
meine Braut davon benachrichtigen, daß sie morgen
den Verlobungsring tragen wird? Das arme Ding
— es ist schmachvoll! Aber ehe ich Alexandra Luise
opfere, opfere ich mich und dieses törichte Kind.
Ich weiß übrigens, daß Mia mich liebt."
Uber das Gesicht der Freifrau zuckte es wie