152— -
sie der Überraschten hin. „Noch ist aber ein Wunsch
damit verknüpft."
„Habe ich's nicht immer gesagt, daß der Ring
uns Glück bringt!"
Der freudige Klang dieser Worte tat Mia so weh,
daß sie das Haupt tief über die Tischplatte neigen
mußte, ihre Tränen zu verbergen. „Diesen Ring,"
sagte sie leise, „bin ich beauftragt, Ihnen abzu-
kaufen — für die Tochter. Sie sollen den Preis
nennen."
Habgier, Pietät und Aberglauben kämpften
minutenlang um die Oberhand. „Was will die
Dame denn für den Ring geben?"
„Dreihundert Mark soll ich Ihnen bieten."
Wie sie es sagte, brannte ihr der Schmerz io
heftig in den Augen, daß Mia die Hand darüber
legen mußte.
Die Gärtnerfrau riß die ihrigen dagegen weit
auf vor Staunen. „Für den Ring — dreihundert
Mark! Eigentlich sollt' ich's sa nicht tun — aber
für die Tochter! Wo hat die Frau Baronin sie
denn gesehen? An der Wiege hat man's der auch
nicht gesungen, daß sie so mit dem Gelds um sich
werfen könnte — weiß Gott!"
Sie zog den Ring vom Finger und reichte ihn
Mia hin.
„Da, Frau Baronin! Der Tochter soll er auch
Glück bringen! — Tanke bestens, Frau Baronin!"
Sie zählte die Geldscheine nach, welche Mia auf
den Tisch legte, raffte sie zusammen und schob sie
in die Tasche.
„Und jetzt komme ich mit herauf und versorge
die Frau Baronin statt der Jungfer."
„Ich danke Ihnen — ich brauche keine Hilfe."
Mia schloß hastig hinter sich die Tür. Ihr war's,
als sei der Ring von der Hand, die ihn getragen,
entweiht. Sie eilte ins Schlafzimmer, ließ Wasser
über Wasser über ihn hinströmen, bis seinem Golde
nichts mehr von fremder Berührung anhaftete.
Der Mond schien hell ins Fenster.
Sie küßte den Ring und las die Buchstaben darin
immer wieder im Dämmerlicht — M. F.
Und wie sie's tat, verketteten sich ihre Gedanken
mit dem Silberglanz der Nacht. Wie ein Traum
stieg's vor ihren Augen auf das regsame Manöver-
feld mit seinen lustigen Biwakfeuern und weißen
Zelten, unter deren einem ihr Geliebter schlief.
Etwas schreckte sie auf aus diesem Halbtraum,
kein Geräusch — ein wunderlicher Geruch, wie ihn
der Wind vor dem Regen durch die Kamine treibt.
Sie steckte den Ring an ihren Finger und öffnete
das Fenster. Von draußen her drang frische Luft
herein, der Garten lag wie unter weißen Schleiern.
Mia ging ins Eßzimmer. Brenzlich roch es hier
und schärfer nach Rauch. Sie riß auch hier ein
Fenster auf. Ein seiner Herbstduft wehte ihr kühl
entgegen, legte sich erquickend auf ihre müden
Lider.
Nun roch's wie Brand von der Sälontür her.
Mia stürzte hinein. Der Salon stand voll Qualm.
Hinter dem Vorhang zuckte Helles Leuchten.
Ein Schreck ohnegleichen rann durch ihre Adern,
nun sie in Mersbachs Zimmer trat. Die ganze Platte
des Schreibtisches, davor sie gesessen, war ein fließen-
des Feuer, das bereits den Aufsatz ergriffen hatte
und knisternd um sich fraß.
Sie hatte vergessen, den Wachsstock auszulöfchen,
als sie ihr Schreiben unterbrach. Er war herunter-
gebrannt, hatte das Wachs zerschmolzen und in
Brand gesetzt. Die schmelzende, brennende Masse
hatte sich über das Papier und die Schreibmappe
ergossen und dann weiter um sich gegriffen. Jetzt
drohte den Fenstervorhängen höchste Gefahr.
Mia, starr vor Entsetzen, vermochte kein Glied
zu rübren. Sie schrie.
Niemand kam.
Da endlich riß sie sich los und stürzte zur Tür,
in den Korridor.
„Zu Hilfe! — Feuer! — Kommt doch zu Hilfe!"
Aus der Portierwohnung kam das Gärtnerpaar
heraufgeeilt. Die Gefahr besser begreifend als die
an allen Gliedern zitternde junge Frau, begannen
sie sofort das Feuer zu löschen, indem sie in Kannen
und Eimern Wasser herbeischleppten und in die
Flammen gossen, so daß der Dampf zischend in
die Höhe stieg.
Nun troff alles von Wasser, wie es zuvor in
Flammen stand.
Nichts war mehr brauchbar von allen Gegen-
ständen der kostbaren Schreibgarnitur. Mappe,
Bücher, alles verkohlt und verdorben, die ganze rechte
Seite des Aufsatzes verbrannt, die linke stark be-
schädigt.
Mia stand entsetzt vor diesem Zerstörungswerk,
das sie selbst verschuldet. Der Gewissensvorwnrf,
vielleicht wichtige Papiere mit vernichtet und somit
Verdruß und Sorge für Richard heraufbeschworen
zu haben, überwältigte sie völlig. Sie wollte retten,
.' D Vas Luch für Mie '"!
was noch zu retten war, indem sie es aus Nässe
und Asche herauszog.
Die Gärtnerfrau hatte ihre Lampe herauf-
gebracht und droben gelassen. Bei deren Schein
versuchte Mia die angebrannten Schubfächer zu
öffnen.
Nur bei dem unteren, dessen Schloß zerstört war,
gelang es ihr. Sein Inhalt war durchfeuchtet und
geschwärzt.
Wie sie hastig, Tränen in den Augen, hinein-
grisf, fließ sie mit dem Finger gegen die Feder
eines Geheimfaches, welches dahinter verborgen lag,
und von dessen Vorhandensein Mia keine Ahnung
hatte.
Mit Staunen sah sie daher, als sie fester drückte,
die anscheinende Rückwand zur Seite weichen, bis
das schmale Versteck freilag. Außer einem zusam-
mengefalteten Briefbogen war nichts darin — und
dieser noch unversehrt.
Glücklich über oie Rettung eines für ihren Gatten
jedenfalls höchst wichtigen Papiers, nahm Mia es
an sich. Da wehte es sie an wie ein Hauch, der
über Veilchenbeete, über Frühlingsblumenfelder da-
hinfährt.
Und diesen süßen Duft, der dem Blatt in ihrer
Hand entstieg, den sie, wundersam beklemmt, ein-
sog — sie kannte ihn.
Schon einmal an diesem Schreibtisch hatte sich
der Geruch desselben Parfüms merkbar gemacht,
damals, als sie vor dem Fest beim Oberst auf Richard
am Fenster seines Zimmers gewartet hatte.
Ganz recht! Damals hatte im Papierkorb eine
zerrissene Karte gelegen.
Und diese Karte — und dieser Brief-
Nichts anderes als Neugier ließ Mia den Bogen
entfalten. Sie schämte sich freilich, als sie's tat,
aber der Anreiz war stärker, die Evatochter siegte.
Und während sie die markigen Schriftzüge zu
lesen begann, blieb der Ausdruck ihrer Augen rulng
und verständnislos.
„Ich will das Opfer nicht. Ich nehme es nicht
an. Sie sollen sich nicht unglücklich machen. Es
ist genug, wenn Einer leidet."
Das war so wunderbar, daß Mia vor Staunen
den Kopf schüttelte. Wer litt? WaS für ein Opfer
war das? Von welchem Unglück war die Rede?
„Ich gebe Ihnen Gelegenheit — den Zeitpunkt
überlasse ich Ihnen —"
Das war gleichgültig. Aber was jetzt kam, das
fuhr wie ein Blitz durch Mias Kopf und Herz.
„Ihre Verlobung mit Mia Helling zu lösen. Sie
ist ein Possenspiel, nichts weiter. Sie sollen frei
sein. Die Rose, die ich auf meinem Wege fand,
hat mir mit ihren Dornen schon bitter weh getan —"
Glut und Blässe wechselten jäh auf Mias Wan-
gen. Ein unermeßlicher Schmerz durchzuckte sie
vom Scheitel bis zur Sohle und benahm ihr den
Atem, machte sie fast wahnsinnig vor Angst und
Begriffsunfähigkeit.
„Sie ist ein Possenspiel, nichts weiter —"
Aber er war doch zu ihr gekommen, noch spät
des Abends, und hatte gefragt —
Ja, hatte sie denn das alles nur geträumt?
War, wenn sie jetzt erwachte, ihre ganze Ehe, ihr
unerschöpfliches Glück nur Einbildung geweien?
Wo fand sie sich wieder nach diesem schweren,
schweren Traum?
Minutenlang stand sie, den Kopf tief auf die
Brust gesenkt, wie schlafend. Nur das Papier hörte
nicht auf, in ihrer Hand zu zittern
Wer hatte denn das geschrieben? Und warum
hatte Richard ihr nichts und niemals etwas davon
gesagt?
Sie raffte sich auf und las die Unterschrift —
A. L. — Und am oberen Rande eine Fürstenkrone.
Und das Datum? Der Tag ihrer Verlobung.
Da schrie sie auf. Sonst hätte die Angst sie
erstickt. Der Duft, welcher nicht aufhörte, sie zu
umschmeicheln, verursachte ihr Schwindel. Mia
schleuderte das Blatt von sich wie eine Schlange,
die sie mit ihrem Gift betäuben wollte.
Sie mußte ja den Kopf frei und die Gedanken
klar behalten, um nachgrübeln zu können, was Un-
erhörtes mit ihr geschehen, welchem Possenspiel sie
zum Opfer gefallen.
Und da fiel's ihr plötzlich wie Schuppen von
den Augen — Alexandra Luise hatte den Brief
geschrieben. Sie und ihr Gatte hatten sich geliebt,
liebten sich noch, wie die zerrissene Karte im Pa-
pierkorb bewies. Und aus irgendwelchem Grunde,
der nichts mit ihrer Person und Liebe zu schaffen
hatte, warb Mersbach um sie, brachte ein Opfer —
opferte für die Prinzessin die nichtsbedeutende, die
törichte, die armselige Mia Helling.
O, sie war ihm ja allezeit entgegengckommen
mit ibrer bewundernden Zuneigung, entgegen-
geflogen beim ersten Wort, das er lügnerisch und
heuchlerisch über die Lippen brachte!
---" m iM 7
Und seine Mutter hatte dieses hinterhältige Spiel
mit ihrem guten Glauben gekannt — und sie nicht
gewarnt.
Aber warum dies alles?
Was ging die Erbprinzessin Mia Helling an?
Das war der dunkle Punkt, vor dem ihre Ge-
danken ständig Halt machten, in den sie nicht ein-
dringen konnten.
So war also alles Lüge gewesen, was Richard
Mersbach ihr gesagt! Seine Liebkosungen ver-
räterisch und beleidigend. — O mein Gott, wie
erniedrigend!
Sie Preßte die Hände vor die Augen und schluchzte
tränenlos — wie Tags zuvor, als sie das Rätsel
ihrer Geburt erfuhr.
So über alle Maßen treulos hatte der gehandelt,
der wie eine Sonne ihren Lebensweg bestrahlt, zu
dem sie in gutgläubigem Vertrauen aufgesehen, ein
so ehrloses Spiel mit ihrem Herzen getrieben, daß
sie jetzt, nun es zu Ende ging, wie trunken vor
Schmerz und Abscheu davor zurückbebte!
Tas, was iu dieser Stunde zwischen ihnen auf-
wuchs, diese alles vernichtende Erkenntnis, legte sich
wie ein Reif um ihr Herz, wie ein Schleier um
ihre Augen, daß sie nichts mehr sah von der seligen
Vergangenheit, nichts mehr fühlte als brennende
Scham und bitterste Verzweiflung.
(Fortsetzung folgt.)
Vas »vlugschiff« des 6l-asen v. Zeppelin.
(Netze die Silber auf 5eite 150.)
I"7ach langjährigen, unermüdlichen Arbeiren und Kämpfen
I I und wiederholten Mißerfolgen hat Graf v. Zeppelin, der
bekannte Erbauer eines eigenartigen, lenkbaren Luftschiffes,
die Freude gehabt, auf zwei gelungenen Versuchsfahrten über
dem Bodensee Fachmännern und Laien die Richtigkeit seines
Systems und die Brauchbarkeit seines neuen Flugschiffes
Nr. 3 durch die Tat zu beweisen. Er benützt zum Auftrieb
des Fahrzeugs statt des losen den starren Ballon in Zigarren-
form, der in einem festen Aluminiumgerüst ruht. Die Länge
des Ungetüms beträgt nicht weniger als 123 Meter; zwei
Daimlermotoren von je 85 Pferdestärken sorgen für dis
horizontale Fortbewegung. Bei vollständiger Füllung des
Ballons mit Wasserstoffgas beträgt der Gesamtauftrieb
11,000 Kilogramm. Bei der ersten Versuchsfahrt, bei der
unsere Bilder ausgenommen worden sind, herrschte nur ganz
geringe Luftströmung, es war ruhiges schönes, für das Ge-
lingen des Unternehmens höchst günstiges Herbstwetter. Das
kleine Dampfschiff „Buchhorn" fuhr vor die langgestreckte
Ballonhalle bei Manzell und schleppte die Riesenzigarre, die
auf einem eigens dafür gebauten Floße ruht, zuerst etwa
3 Kilometer auf den See hinaus; dann wurde das Luftschiff
vom Floße abgeschoben, so daß cs mit den beiden Gondeln
auf dem Wasser lag, erhob sich darauf durch Auswerfen von
Ballast etwa ISO Meter hoch in die Luft und begann gleichzeitig
durch die Wirkung der in Betrieb gesetzten Schrauben sich vor-
wärts zu bewegen. Nachdem es einen kurzen Bogen beschrieben
hatte, nahm es, höher steigend, die Richtung auf Konstanz, ging
unter stetigen, vortrefflich gelingenden Steuermanövern nach
dem Schweizerufer hinüber, fuhr an Romanshorn und
Rorschach vorbei bis zur Rheinmündung und von dort zur
Ballonhalle zurück. Trotz zeitweiligen Versagens des einen
Motors ergab sich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund
12 Meter in der Sekunde. Noch günstigere Erfolge wur-
den bei der zweiten Versuchsfahrt erzielt, die bei dem stär-
keren, häufig umspringenden Winde harte Anforderungen an
Stabilität und Manöverierfähigkeit des Flugschiffks stellte.
Trotzdem wurde, da diesmal beide Motoren gut arbeiteten,
eine Schnelligkeit von IS Meter erreicht. — Graf Ferdi-
nand v. Zeppelin ist am 8. Juli 1838 in Konstanz ge-
boren, wurde 1858 Offizier und verließ 1901 als General-
leutnant den Heeresdienst, um sich fortan ganz der Konstruk-
tion eines lenkbaren Luftschiffes zu widmen. Sein erstes
Luftschiff, mit dem er 1900 drei Aufstiege ausführte, genügte
den gestellten Anforderungen nicht. Sein verbessertes Luft-
schiff Nr. 2 ging im Januar 1906 bei der ersten Auffahrt
zu Grunde, aber keineswegs entmutigt machte er sich sofort
an den Bau des dritten Ballons, dessen hohe Leistungen in
Bezug aus Schnelligkeit und Manöverierfähigkeit jetzt außer
Zweifel stehen; der Nachteil des „starren Systems", dessen
Verfechter Graf v. Zeppelin ist, liegt darin, daß das überaus
zarte Aluminiumgerüst die Berührung mit der Erde nicht
verträgt, das Flugschiff also nur auf dem Wasser aufsteigen
und „landen" kann.
vl-udenrwist.
(Tietze do! Md auf Teile 151.)
H?lt unsäglicher Mühe ist es dem kühnen Gemsjäger ge-
I»» lungen, sich an ein Nudel Gemsen heranzufchleichen.
Hinter einem Busche kauernd, wartet er, bis der Anbruch des
Tages das Rudel zum Aufstehen veranlaßt. Bedächtig wählt
er sich den stärksten Bock aus. Laut donnert der Schuß,
und während das Rudel mit Windeseile flieht, macht der
tödlich getroffene Bock noch ein paar Sprünge und stürzt
über die Felswand in den Abgrund. Während der Jäger
auf weiten Umwegen versucht, den Ort zu erreichen, wo die
Gemse liegt, erscheinen andere beutelüsterne Nebenbuhler auf
dem Platze. Hoch oben in den blauen Lüften kreist ein
Steinadler. Sein scharfes Auge hat gar bald die tote Gemse
erschaut. Schon will er sich langsam niedersenken, da gewahrt
er, daß ein Artgenosse in sein Gebiet eingedrungen ist und
gleichfalls sich den toten Gemsbock ausersehen hat. Die
Schwingen weit ausgebreitet, so daß die einzelnen Schwung-
federn sich nicht mehr berühren, stürzt er sich mit Hellem,
sie der Überraschten hin. „Noch ist aber ein Wunsch
damit verknüpft."
„Habe ich's nicht immer gesagt, daß der Ring
uns Glück bringt!"
Der freudige Klang dieser Worte tat Mia so weh,
daß sie das Haupt tief über die Tischplatte neigen
mußte, ihre Tränen zu verbergen. „Diesen Ring,"
sagte sie leise, „bin ich beauftragt, Ihnen abzu-
kaufen — für die Tochter. Sie sollen den Preis
nennen."
Habgier, Pietät und Aberglauben kämpften
minutenlang um die Oberhand. „Was will die
Dame denn für den Ring geben?"
„Dreihundert Mark soll ich Ihnen bieten."
Wie sie es sagte, brannte ihr der Schmerz io
heftig in den Augen, daß Mia die Hand darüber
legen mußte.
Die Gärtnerfrau riß die ihrigen dagegen weit
auf vor Staunen. „Für den Ring — dreihundert
Mark! Eigentlich sollt' ich's sa nicht tun — aber
für die Tochter! Wo hat die Frau Baronin sie
denn gesehen? An der Wiege hat man's der auch
nicht gesungen, daß sie so mit dem Gelds um sich
werfen könnte — weiß Gott!"
Sie zog den Ring vom Finger und reichte ihn
Mia hin.
„Da, Frau Baronin! Der Tochter soll er auch
Glück bringen! — Tanke bestens, Frau Baronin!"
Sie zählte die Geldscheine nach, welche Mia auf
den Tisch legte, raffte sie zusammen und schob sie
in die Tasche.
„Und jetzt komme ich mit herauf und versorge
die Frau Baronin statt der Jungfer."
„Ich danke Ihnen — ich brauche keine Hilfe."
Mia schloß hastig hinter sich die Tür. Ihr war's,
als sei der Ring von der Hand, die ihn getragen,
entweiht. Sie eilte ins Schlafzimmer, ließ Wasser
über Wasser über ihn hinströmen, bis seinem Golde
nichts mehr von fremder Berührung anhaftete.
Der Mond schien hell ins Fenster.
Sie küßte den Ring und las die Buchstaben darin
immer wieder im Dämmerlicht — M. F.
Und wie sie's tat, verketteten sich ihre Gedanken
mit dem Silberglanz der Nacht. Wie ein Traum
stieg's vor ihren Augen auf das regsame Manöver-
feld mit seinen lustigen Biwakfeuern und weißen
Zelten, unter deren einem ihr Geliebter schlief.
Etwas schreckte sie auf aus diesem Halbtraum,
kein Geräusch — ein wunderlicher Geruch, wie ihn
der Wind vor dem Regen durch die Kamine treibt.
Sie steckte den Ring an ihren Finger und öffnete
das Fenster. Von draußen her drang frische Luft
herein, der Garten lag wie unter weißen Schleiern.
Mia ging ins Eßzimmer. Brenzlich roch es hier
und schärfer nach Rauch. Sie riß auch hier ein
Fenster auf. Ein seiner Herbstduft wehte ihr kühl
entgegen, legte sich erquickend auf ihre müden
Lider.
Nun roch's wie Brand von der Sälontür her.
Mia stürzte hinein. Der Salon stand voll Qualm.
Hinter dem Vorhang zuckte Helles Leuchten.
Ein Schreck ohnegleichen rann durch ihre Adern,
nun sie in Mersbachs Zimmer trat. Die ganze Platte
des Schreibtisches, davor sie gesessen, war ein fließen-
des Feuer, das bereits den Aufsatz ergriffen hatte
und knisternd um sich fraß.
Sie hatte vergessen, den Wachsstock auszulöfchen,
als sie ihr Schreiben unterbrach. Er war herunter-
gebrannt, hatte das Wachs zerschmolzen und in
Brand gesetzt. Die schmelzende, brennende Masse
hatte sich über das Papier und die Schreibmappe
ergossen und dann weiter um sich gegriffen. Jetzt
drohte den Fenstervorhängen höchste Gefahr.
Mia, starr vor Entsetzen, vermochte kein Glied
zu rübren. Sie schrie.
Niemand kam.
Da endlich riß sie sich los und stürzte zur Tür,
in den Korridor.
„Zu Hilfe! — Feuer! — Kommt doch zu Hilfe!"
Aus der Portierwohnung kam das Gärtnerpaar
heraufgeeilt. Die Gefahr besser begreifend als die
an allen Gliedern zitternde junge Frau, begannen
sie sofort das Feuer zu löschen, indem sie in Kannen
und Eimern Wasser herbeischleppten und in die
Flammen gossen, so daß der Dampf zischend in
die Höhe stieg.
Nun troff alles von Wasser, wie es zuvor in
Flammen stand.
Nichts war mehr brauchbar von allen Gegen-
ständen der kostbaren Schreibgarnitur. Mappe,
Bücher, alles verkohlt und verdorben, die ganze rechte
Seite des Aufsatzes verbrannt, die linke stark be-
schädigt.
Mia stand entsetzt vor diesem Zerstörungswerk,
das sie selbst verschuldet. Der Gewissensvorwnrf,
vielleicht wichtige Papiere mit vernichtet und somit
Verdruß und Sorge für Richard heraufbeschworen
zu haben, überwältigte sie völlig. Sie wollte retten,
.' D Vas Luch für Mie '"!
was noch zu retten war, indem sie es aus Nässe
und Asche herauszog.
Die Gärtnerfrau hatte ihre Lampe herauf-
gebracht und droben gelassen. Bei deren Schein
versuchte Mia die angebrannten Schubfächer zu
öffnen.
Nur bei dem unteren, dessen Schloß zerstört war,
gelang es ihr. Sein Inhalt war durchfeuchtet und
geschwärzt.
Wie sie hastig, Tränen in den Augen, hinein-
grisf, fließ sie mit dem Finger gegen die Feder
eines Geheimfaches, welches dahinter verborgen lag,
und von dessen Vorhandensein Mia keine Ahnung
hatte.
Mit Staunen sah sie daher, als sie fester drückte,
die anscheinende Rückwand zur Seite weichen, bis
das schmale Versteck freilag. Außer einem zusam-
mengefalteten Briefbogen war nichts darin — und
dieser noch unversehrt.
Glücklich über oie Rettung eines für ihren Gatten
jedenfalls höchst wichtigen Papiers, nahm Mia es
an sich. Da wehte es sie an wie ein Hauch, der
über Veilchenbeete, über Frühlingsblumenfelder da-
hinfährt.
Und diesen süßen Duft, der dem Blatt in ihrer
Hand entstieg, den sie, wundersam beklemmt, ein-
sog — sie kannte ihn.
Schon einmal an diesem Schreibtisch hatte sich
der Geruch desselben Parfüms merkbar gemacht,
damals, als sie vor dem Fest beim Oberst auf Richard
am Fenster seines Zimmers gewartet hatte.
Ganz recht! Damals hatte im Papierkorb eine
zerrissene Karte gelegen.
Und diese Karte — und dieser Brief-
Nichts anderes als Neugier ließ Mia den Bogen
entfalten. Sie schämte sich freilich, als sie's tat,
aber der Anreiz war stärker, die Evatochter siegte.
Und während sie die markigen Schriftzüge zu
lesen begann, blieb der Ausdruck ihrer Augen rulng
und verständnislos.
„Ich will das Opfer nicht. Ich nehme es nicht
an. Sie sollen sich nicht unglücklich machen. Es
ist genug, wenn Einer leidet."
Das war so wunderbar, daß Mia vor Staunen
den Kopf schüttelte. Wer litt? WaS für ein Opfer
war das? Von welchem Unglück war die Rede?
„Ich gebe Ihnen Gelegenheit — den Zeitpunkt
überlasse ich Ihnen —"
Das war gleichgültig. Aber was jetzt kam, das
fuhr wie ein Blitz durch Mias Kopf und Herz.
„Ihre Verlobung mit Mia Helling zu lösen. Sie
ist ein Possenspiel, nichts weiter. Sie sollen frei
sein. Die Rose, die ich auf meinem Wege fand,
hat mir mit ihren Dornen schon bitter weh getan —"
Glut und Blässe wechselten jäh auf Mias Wan-
gen. Ein unermeßlicher Schmerz durchzuckte sie
vom Scheitel bis zur Sohle und benahm ihr den
Atem, machte sie fast wahnsinnig vor Angst und
Begriffsunfähigkeit.
„Sie ist ein Possenspiel, nichts weiter —"
Aber er war doch zu ihr gekommen, noch spät
des Abends, und hatte gefragt —
Ja, hatte sie denn das alles nur geträumt?
War, wenn sie jetzt erwachte, ihre ganze Ehe, ihr
unerschöpfliches Glück nur Einbildung geweien?
Wo fand sie sich wieder nach diesem schweren,
schweren Traum?
Minutenlang stand sie, den Kopf tief auf die
Brust gesenkt, wie schlafend. Nur das Papier hörte
nicht auf, in ihrer Hand zu zittern
Wer hatte denn das geschrieben? Und warum
hatte Richard ihr nichts und niemals etwas davon
gesagt?
Sie raffte sich auf und las die Unterschrift —
A. L. — Und am oberen Rande eine Fürstenkrone.
Und das Datum? Der Tag ihrer Verlobung.
Da schrie sie auf. Sonst hätte die Angst sie
erstickt. Der Duft, welcher nicht aufhörte, sie zu
umschmeicheln, verursachte ihr Schwindel. Mia
schleuderte das Blatt von sich wie eine Schlange,
die sie mit ihrem Gift betäuben wollte.
Sie mußte ja den Kopf frei und die Gedanken
klar behalten, um nachgrübeln zu können, was Un-
erhörtes mit ihr geschehen, welchem Possenspiel sie
zum Opfer gefallen.
Und da fiel's ihr plötzlich wie Schuppen von
den Augen — Alexandra Luise hatte den Brief
geschrieben. Sie und ihr Gatte hatten sich geliebt,
liebten sich noch, wie die zerrissene Karte im Pa-
pierkorb bewies. Und aus irgendwelchem Grunde,
der nichts mit ihrer Person und Liebe zu schaffen
hatte, warb Mersbach um sie, brachte ein Opfer —
opferte für die Prinzessin die nichtsbedeutende, die
törichte, die armselige Mia Helling.
O, sie war ihm ja allezeit entgegengckommen
mit ibrer bewundernden Zuneigung, entgegen-
geflogen beim ersten Wort, das er lügnerisch und
heuchlerisch über die Lippen brachte!
---" m iM 7
Und seine Mutter hatte dieses hinterhältige Spiel
mit ihrem guten Glauben gekannt — und sie nicht
gewarnt.
Aber warum dies alles?
Was ging die Erbprinzessin Mia Helling an?
Das war der dunkle Punkt, vor dem ihre Ge-
danken ständig Halt machten, in den sie nicht ein-
dringen konnten.
So war also alles Lüge gewesen, was Richard
Mersbach ihr gesagt! Seine Liebkosungen ver-
räterisch und beleidigend. — O mein Gott, wie
erniedrigend!
Sie Preßte die Hände vor die Augen und schluchzte
tränenlos — wie Tags zuvor, als sie das Rätsel
ihrer Geburt erfuhr.
So über alle Maßen treulos hatte der gehandelt,
der wie eine Sonne ihren Lebensweg bestrahlt, zu
dem sie in gutgläubigem Vertrauen aufgesehen, ein
so ehrloses Spiel mit ihrem Herzen getrieben, daß
sie jetzt, nun es zu Ende ging, wie trunken vor
Schmerz und Abscheu davor zurückbebte!
Tas, was iu dieser Stunde zwischen ihnen auf-
wuchs, diese alles vernichtende Erkenntnis, legte sich
wie ein Reif um ihr Herz, wie ein Schleier um
ihre Augen, daß sie nichts mehr sah von der seligen
Vergangenheit, nichts mehr fühlte als brennende
Scham und bitterste Verzweiflung.
(Fortsetzung folgt.)
Vas »vlugschiff« des 6l-asen v. Zeppelin.
(Netze die Silber auf 5eite 150.)
I"7ach langjährigen, unermüdlichen Arbeiren und Kämpfen
I I und wiederholten Mißerfolgen hat Graf v. Zeppelin, der
bekannte Erbauer eines eigenartigen, lenkbaren Luftschiffes,
die Freude gehabt, auf zwei gelungenen Versuchsfahrten über
dem Bodensee Fachmännern und Laien die Richtigkeit seines
Systems und die Brauchbarkeit seines neuen Flugschiffes
Nr. 3 durch die Tat zu beweisen. Er benützt zum Auftrieb
des Fahrzeugs statt des losen den starren Ballon in Zigarren-
form, der in einem festen Aluminiumgerüst ruht. Die Länge
des Ungetüms beträgt nicht weniger als 123 Meter; zwei
Daimlermotoren von je 85 Pferdestärken sorgen für dis
horizontale Fortbewegung. Bei vollständiger Füllung des
Ballons mit Wasserstoffgas beträgt der Gesamtauftrieb
11,000 Kilogramm. Bei der ersten Versuchsfahrt, bei der
unsere Bilder ausgenommen worden sind, herrschte nur ganz
geringe Luftströmung, es war ruhiges schönes, für das Ge-
lingen des Unternehmens höchst günstiges Herbstwetter. Das
kleine Dampfschiff „Buchhorn" fuhr vor die langgestreckte
Ballonhalle bei Manzell und schleppte die Riesenzigarre, die
auf einem eigens dafür gebauten Floße ruht, zuerst etwa
3 Kilometer auf den See hinaus; dann wurde das Luftschiff
vom Floße abgeschoben, so daß cs mit den beiden Gondeln
auf dem Wasser lag, erhob sich darauf durch Auswerfen von
Ballast etwa ISO Meter hoch in die Luft und begann gleichzeitig
durch die Wirkung der in Betrieb gesetzten Schrauben sich vor-
wärts zu bewegen. Nachdem es einen kurzen Bogen beschrieben
hatte, nahm es, höher steigend, die Richtung auf Konstanz, ging
unter stetigen, vortrefflich gelingenden Steuermanövern nach
dem Schweizerufer hinüber, fuhr an Romanshorn und
Rorschach vorbei bis zur Rheinmündung und von dort zur
Ballonhalle zurück. Trotz zeitweiligen Versagens des einen
Motors ergab sich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund
12 Meter in der Sekunde. Noch günstigere Erfolge wur-
den bei der zweiten Versuchsfahrt erzielt, die bei dem stär-
keren, häufig umspringenden Winde harte Anforderungen an
Stabilität und Manöverierfähigkeit des Flugschiffks stellte.
Trotzdem wurde, da diesmal beide Motoren gut arbeiteten,
eine Schnelligkeit von IS Meter erreicht. — Graf Ferdi-
nand v. Zeppelin ist am 8. Juli 1838 in Konstanz ge-
boren, wurde 1858 Offizier und verließ 1901 als General-
leutnant den Heeresdienst, um sich fortan ganz der Konstruk-
tion eines lenkbaren Luftschiffes zu widmen. Sein erstes
Luftschiff, mit dem er 1900 drei Aufstiege ausführte, genügte
den gestellten Anforderungen nicht. Sein verbessertes Luft-
schiff Nr. 2 ging im Januar 1906 bei der ersten Auffahrt
zu Grunde, aber keineswegs entmutigt machte er sich sofort
an den Bau des dritten Ballons, dessen hohe Leistungen in
Bezug aus Schnelligkeit und Manöverierfähigkeit jetzt außer
Zweifel stehen; der Nachteil des „starren Systems", dessen
Verfechter Graf v. Zeppelin ist, liegt darin, daß das überaus
zarte Aluminiumgerüst die Berührung mit der Erde nicht
verträgt, das Flugschiff also nur auf dem Wasser aufsteigen
und „landen" kann.
vl-udenrwist.
(Tietze do! Md auf Teile 151.)
H?lt unsäglicher Mühe ist es dem kühnen Gemsjäger ge-
I»» lungen, sich an ein Nudel Gemsen heranzufchleichen.
Hinter einem Busche kauernd, wartet er, bis der Anbruch des
Tages das Rudel zum Aufstehen veranlaßt. Bedächtig wählt
er sich den stärksten Bock aus. Laut donnert der Schuß,
und während das Rudel mit Windeseile flieht, macht der
tödlich getroffene Bock noch ein paar Sprünge und stürzt
über die Felswand in den Abgrund. Während der Jäger
auf weiten Umwegen versucht, den Ort zu erreichen, wo die
Gemse liegt, erscheinen andere beutelüsterne Nebenbuhler auf
dem Platze. Hoch oben in den blauen Lüften kreist ein
Steinadler. Sein scharfes Auge hat gar bald die tote Gemse
erschaut. Schon will er sich langsam niedersenken, da gewahrt
er, daß ein Artgenosse in sein Gebiet eingedrungen ist und
gleichfalls sich den toten Gemsbock ausersehen hat. Die
Schwingen weit ausgebreitet, so daß die einzelnen Schwung-
federn sich nicht mehr berühren, stürzt er sich mit Hellem,