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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 10
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Worte waren es. Willst du sie wissen? Sieb mich
an, Mia! Nur vier Worte. Sie zerstörten alles
jede Täuschung. Diese vier Worte lauteten: ich
liebe meine Frau!"
Jetzt schrie sie laut auf. Es war ein Heller, ein
erlösender und erlöster Schrei, der durch das Zim-
mer hallte. Wie ein elektrischer Schlag ging's ihr
durch das zagende Herz, verjagte das graue Gespenst
des Zweifels.
„Glaubst du mir nun?" fragte er lächelnd. „Ich
liebe wirklich meine Frau — unsäglich liebe ich sie,
Mia!"
Sie sprang auf. „Richard, o Richard!"
Er umfaßte sie und zog sie auf seinen Schoß.
„Wie konntest du fürchten — du!"
Sie schlang die Arme um seinen Hals und drückte
ihre Lippen in leidenschaftlichem Glücksgesühl auf
seine Wange, auf seinen Mund.
„Vergib!"
„Und vergiß!" sagte er tief bewegt, die geliebte
Frau an sich pressend.
Die Heide blühte so rot.
Mit heißen Küssen bettete sich das Licht in ihr
Purpurlager. Voll Duft und Glanz flimmerte die
Luft. Falter, gaukelnde Träume der Heide, ver-
schwebten im strahlenden Blau, und umsonnt naschte
die Biene den kühlenden Tau aus nickendem Glöck-
chenkelch.
Ein Baumwrack, zerwettert und gestrandet im
roten Meer, reckte die alte Kiefer ihre knorrigen
Sturmfänge durch summendes Schweigen, Harz-
perlen in den narbigen Wunden.
Von Schwarken herüber durchs Heideland ging
Mia an Mersbachs Seite. Fünf Jahre unaussprech-
lichen Glücks lagen hinter ihnen.
Aus dem Heidehaus war der alte Sodmann
heute hinausgetragen worden zu seiner Herrin.
Vor dem gründesponnenen Hügel, den er sonn-
täglich gepflegt, hatte er sich zur Ruhe betten lassen,
demütig zu des alten Fräuleins Füßen. „Herr, nun
lassest du deinen Diener in Frieden fahren —"
Über diese Worte hatte Pastor Teller ergreifend
am Grabe gesprochen.
Nun schritten sie nebeneinander, den Pudel zur
Seite, dorthin, wo die Kiefer ihren Schatten über
rote Krautbüschel streute, zu der Stätte, die des
Kindes Jubel und des Weibes Schmerz gesehen.
„Hier war's!" sagte Mersbach, sie an sich ziehend.
Sie wußte nichts mehr von Schmerz, nur noch
von Freude. „Hier kamst du damals!" lächelte sie,
ihre Wange an seine Schulter drückend.
Mit tiefer Rührung sah sie das rote Ziegeldach
am fernen Waldesrand, dem kein einladendes Rauch-
wölkchen mehr entstieg. Zwei armen Familien sollte
das Heidehaus fortan zum unentgeltlichen Aufenthalt
dienen. Für die Gemeinde Schwarken hatte Pastor
Selter diese Schenkung in Empfang genommen.
Und wie sie des stillen Begräbnisses in der
Morgenfrühe gedachte, iah Mia im Geist den prunk-
vollen Trauerzug, welcher Alexandra Luise zur
fürstlichen Gruft geleitet hatte. Und sie dachte an
die fröhliche Frau, welche jetzt ihre Krone trug, des
Lebens Reiz genoß und nichts wußte von den Seelen-
stürmen, darunter ein heißes Herz wie eine fremde
Blume verdorrte.
Sie dachte an Kleeschen, die Heimgegangene,
an das verödete, verlassene alte Schloß mit seinen
verhangenen Fenstern und dem grasbewachsenen
Hofe, darüber ihre jungen Füße einst mit Zittern
und Zagen gegangen.
Sie dachte an das unfaßbare Glück, als die
Baronin ihr den Erstgeborenen in die Arme legte,
an die selige Freude, da sie Mariannes Enkeltochter
der Großmutter Namen gab.
An all das Unausgesprochene und Ausgesprochene
dachte sie, was ihre Brust an Mersbachs Seite immer
von neuem erfüllte.
War's nicht, als ob all die Verblichenen ihr Segen
gespendet?
Mit impulsiver Innigkeit schlang Mia ihre Arme
um Mersbachs Hals. „Acht Jahre sind vergangen,
seit du mich an dieser Stelle nach dem Wege nach
Schwarken fragtest. Jst's nicht fast zu viel für ein
junges Menschenkind, was ich in dieser Zeit erlebte?"
„Sieh nicht zurück," sagte er, ihre Stirn küssend.
„Wir haben zu wenig Zeit, auch nur das Jetzt zu
erfassen. Laß uns festhalten, was wir haben, und
zusehen, daß wir's einst mit gutem Gewissen von
uns tun können. Denn was wir erleben, erleben
wir nur uns selbst. Es ist kein Vermächtnis, das wir
hmterlassen können. So wollen wir's erschöpfen —
das Beste hoffen und das Rechte tun."
„Was ist das Beste?" fragte sie mit glücklichem
Lächeln.
„Dein Herzsagte er, sie fest an sich drückend.
Und die Heide blühte so rot .....
K n d e.

8>5 ans ende der Welt.
lloman von
Maximilian Böttcher.
erstes Kapitel. - cmchdm»
WlVsiM>er Operationssaal mit seinen kahlen weißen
R l üM Wänden, seiner großen weißen Glaskuppel
und seinen weißbekleideten Ärzten lag im
»MM Hellen, fast grellen Licht der sommerlichen
Mittagsstunde. Dem, der hier zum ersten
Male hineingeriet, mochten die Augen wehe tun von
diesem endlosen Weiß, und auch die Geruchsnerven
von den starken Karbol- und Ntherdüften, mit
denen die Luft bis zum Übermaß erfüllt war.
Die Assistenten und Praktikanten, reichlich ein
halbes Dutzend, beeilten sich, die eben noch benützten
Messer rind Instrumente aus den Glasbehältern zu
nehmen, sie sorglich zu reinigen und mit dem Ver-
bandzeug in die weißen Schränke zu räumen —
eine Arbeit, die Professor Altdorf grundsätzlich und
ein- für allemal von ihnen getan wissen wollte.
Nur einer, ein hochaufgeschossener, schmalbrüsti-
ger, blasser Mensch, stand müßig abseits und starrte
gedankenverloren und mit finsterer Miene an die
Wand.
Die Wärter hatten die eben an der Reihe ge-
wesene Patientin, ein junges blondes Mädel, das,
von einem gütigen Traum über Schmerz uud Todes-
gefahr hinweggetäuscht, selig lächelnd in tiefster Nar-
kose lag, vom Operationstisch auf das Rollbett ge-
hoben. Der kleine dicke Oberarzt, der trotz seiner
Korpulenz immer Lebhafte und väterlich Besorgte,
zog der Kranken die Decke höher zu den schmalen
Schultern empor und legte ihr die prächtigen blon-
den Haarflechten, die halb gelöst und ein wenig zer-
zaust vom Bettrand herniederhingen, behutsam, fast
zärtlich über der kaum merklich atmenden Brust
zusammen. Dann schoben die Wärter ihre leichte
Last davon.
Professor Altdorf, ein mittelgroßer, breitschulte-
riger Mann im Anfang der Vierzig, durch dessen
kurzgehaltenen Vollbart sich schon graue Fäden
zogen, stand regungslos an seinem Platze und sah
dem Transport nach, den Blick der großen Hellen
Augen mit wehmütig träumerischem Ausdruck auf
das Haupt der Patientin gerichtet.
„So jung, so schön und ganz das gleiche herr-
liche, gesponnenem Golde ähnliche Haar, wie —"
Altdorf fuhr sich mit der Hand über die hohe
Stirn, kurz und energisch, als gälte es, einen Strich
durch seine Gedanken zu machen. Ein unhörbarer
Seufzer stieg dabei aus seiner Brust. Dann trat
er mit dem raschen, elastischen Schritt, der ihm
eigen war, an die Waschtoilette und ließ den Strahl
ins Becken schießen.
Als er nach dem Händewaschen seinen Opera-
tionsmantel abstreifte, wandte er sich, wie wenn
ihm etwas Vergessenes plötzlich durch den Sinn
schösse, mit rascher Bewegung zu der Gruppe der
Assistenten um. Auf dem blassen Gesicht des Mage-
ren, Hochaufgeschossenen, der jetzt lässig, die Miene
eher noch verdrossener als vorher, am Verband-
schrank kramte, ruhten seine Augen lange mit dem
scharfen, durchdringenden Blick des Diagnostikers,
der nicht nur die Schäden des Leibes, sondern auch
die Krankheiten der Seele zu erforschen weiß.
„Rottenburg!" rief er dann mit seiner tiefen, ein
wenig harten Stimme.
Der Angerufene zuckte zusammen. „Herr Pro-
fessor?" Nur halb hob er den Blick zu seinem Chef
und Lehrer empor.
„Möchten Sie, bitte, mit in mein Ordinations-
zimmer kommen!"
Waldemar v. Rottenburg verbeugte sich, nervös,
fahrig, aber doch sehr gewandt und weltmännisch,
fast zu weltmännisch für den Rahmen eines Ope-
rationssaales. Rasch warf er den weißen Kittel ab,
und als der Professor, der noch ein paar Worte mit
dem Oberarzt gewechselt hatte, dem Ausgang zu-
schritt, öffnete er ihm schon die Tür sperrangelweit,
wieder mit Miene und Bewegungen, die mehr auf
einen von seiner gesellschaftlichen Wichtigkeit durch-
drungenen Gardeleutnant, als auf einen in seinem
ernsten und schweren Beruf ausgehenden Jünger
Äskulaps hätten schließen lassen.
Den langen, breiten Korridor des großen Kran-
kenhauses, dessen äußerer Abteilung er als Chef
vorgesetzt war, schritt Professor Altdorf entlang, ohne
mit dem Assistenten, den die Kollegen den „forschen
Waldemar" nannten, ein Wort zu wechseln.
In seinem mit spartanischer Einfachheit möblier-
ten Ordinationszimmer, das kaum einen anderen
Schmuck als die hohen, sorgfältig geordneten Bücher-
regale aufwies, setzte er sich mit einem entschuldigen-
den: „Einen Augenblick!" an seinen Schreibtisch und

begann zunächst die üblichen Eintragungen in sein
Krankenregister zu machen.
Den Kopf, wie immer, bis oben hinan voll
wichtiger Gedanken und Erwägungen, hatte er ver-
gessen, den Assistenten zum Platznehmen aufzufor-
dern, und dieser stelzte langbeinig an den Bücher-
schränken dahin, die Titel auf den breiten Leder
rücken mit gelangweilter Miene überfliegend. Als
er indessen vor den großen Spiegel kam, der eine Ecke
des Zimmers einnahm, belebten sich seine Züge
rasch. Er musterte sein schmales, blasses Gesicht,
das von feinem, aristokratischem Typus war, und
seine bis auf die Lackstiefel hochelegante Kleidung in
dem blanken Glase mit lebhaftem Interesse, strich
sich mit den Taschenbürsten den tadellos gezogenen
Scheitel glatt und zwirbelte sein blondes Schnurr-
bärtchen keck empor — gewohnheitsmäßig, trotz des
schweren Kummers, der ihn augenscheinlich drückte.
Professor Altdorf hatte, während er seine Ein-
tragungen machte, über die Ränder der Brille hin-
weg den jungen Mediziner einigemal verstohlen
beobachtet. Endlich klappte er sein Register zu,
schloß es ein und sagte, mehr befehlenden als ein-
ladenden Tones: „Wollen Sie sich, bitte, zu mir
setzen, Rottenburg."
Nach einer Pause, während der er den dicht vor
ihm Sitzenden wieder unter seinen scharfen Dia-
gnostikerblick genommen, so lange, bis die jungen
müden Augen drüben beklommen den Boden ge-
sucht hatten, stemmte er die energische Chirurgen-
hand gegen die Kante des Schreibtisches und fuhr,
nun mit fast väterlicher Milde, fort: „Was ist eigent-
lich mit Ihnen? Was geht in Ihnen vor?"
„In mir? O — ich wüßte nicht, gar nichts,"
stotterte der Gefragte und versuchte umsonst, den
Ausdruck des Erstaunens zu markieren.
Professor Altdorf räusperte sich uud fuhr mit
zwei Fingern in seinen Vollbart. „Ist cs Ihnen
lieber, wenn ich mich auf einen mehr dienstlichen
Ton verlege, Rottenburg, wenn ich Sie frage,
warum Sie zweimal hintereinander den Nachtdienst
versäumten, verschiedener anderer Nachlässigkeiten
nicht zu gedenken, die ich mir im allgemeinen von
meinen Assistenten nicht bieten zu lassen pflege?
Übrigens —" mit einem geringschätzigen Blick auf
des jungen Mannes schmale, zarte, aufs äußerste
gepflegte Hände, die sich in unruhigem Spiel um-
einanderdrehten — „Ihre schönen, für einen Arzt
am allerwenigsten geeigneten Nichtstuernügel haben
Sie sich noch immer nicht auf das gebührliche Maß
zurüctgestutzt — trotz meines zweimaligen Ersuchens."
Der forsche Waldemar murmelte eine verlegene
Entschuldigung. Sein Gesicht war noch um eine
Nüance blasser geworden, mit einem Stich ins Fahle.
Seine Augen kamen nicht von den weißgescheuerten
Dielen los.
Altdorfs Blicke wurden immer schärfer. „Ihre
ganze Art, sich aufzuführen, gefällt mir nicht. Vor
allem aber: Leute, die ihre Pflicht versäumen, kann
ich nicht gebrauchen. Und wenn ich bisher öfters
ein Auge zugedrüüt habe, in Rücksicht auf Ihre —
hm —" er wollte sagen: „auf Ihre Familie," aber
er verbesserte sich: „in Rücksicht darauf, daß Sie
unter eigenartigen Verhältnissen, gewissermaßen .der
Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe', Medi-
ziner geworden sind — jede Nachsicht muß dort, wo
das Allgemeinwohl in Frage steht, eine Grenze
haben."
„Ja — das — das ist es ja eben, daß ich nur
gezwungen Mediziner geworden bin!" Rottenburg
sagte es mit einem Eifer, als gälte es, sich an das
Wort wie an einen Rettungsanker anzuklammern.
„Ich kann es nicht verwinden, daß ich den Offiziers-
rock ausziehen mußte, an dem ich mit Leib und
Seele hing. Ich — ich fühle mich unglücklich im
Arztberuf — das ist es ja!"
„Ach was," stieß Altdorf unwirsch hervor, „un-
glücklich im Arztberuf! Als ob es einen schöneren
Beruf als den des Arztes überhaupt gäbe! Zudem
— es sind sechs Jahre her, seit Sie Kaserne und
Exerzierplatz mit Universität und Klinik vertauschen
mußten. Und in sechs Jahren lernt doch wohl
auch der größte Waschlappen das Unvermeidliche
mit Würde tragen."
„Darüber, des Königs Rock ausziehen zu müssen,
das Ehrenkleid, das schon Großvater und Vater ge-
tragen haben, das erblich geworden ist in der Fa-
milie, den Säbel weglegen zu müssen eines so
elenden körperlichen Gebrechens wegen — darüber
kommt man niemals hinweg," versetzte der Assistent
mit nicht gerade überzeugendem Pathos.
„So, so," machte der Professor — es klang wie
leiser Spott —, lehnte sich in seinen Schreibsessel
zurück und griff mit der Hand um die Armlehne.
„Mag sein! Aber meine Meinung geht dahin: für
Sie und Ihre Familie war es ein wahrer Segen,
daß Ihre schwache Lunge Sie zwang, Ihrer jungen
Leutnantsherrlichkeit Valet zu sagen. Ist es schon
 
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