Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

DOI Heft:
Heft 19
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0459
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
412 .—.- - . Vas vuch süi'MIe

Heft 19

war mir also eine heilige Sache. Daß Pia dennoch
verurteilt wurde, hat mich übrigens nicht überrascht,
denn zu vieles zeugte gegen sie."
„Ja — so fanden wir auch."
„Nicht wahr?"
„Dennoch aber empfanden wir auch, daß Sie
an ihre Schuldlosigkeit fest glaubten, denn alles,
was Sie fügten, redet man nur aus starker Über-
zeugtheit heraus."
„Daß Sie und die Ihrigen fo empfinden, ist
mir lieb; aber nicht ich allein bin davon überzeugt,
daß Pia mit diesen gemeinen Erpresserbriefen nichts
zu tun hat, es glauben auch noch andere, und zwar
kluge und gute Menschen an sie, unter diesen auch
der Mann, mit dem sie sich verlobt hat."
„Verlobt ist sie?"
„Ja, sie ist die Braut eines sehr liebenswerten
Mannes geworden, dem-Aber Fräulein
Frida, Sie geben auf das Steuer nicht acht! Wir
werden mit dem roten Ungetüm da vor uns zu-
sammenstoßen."
Wieder lag das feine Rot, das heute schon
wiederholt Fridas Gesicht belebt hatte, auf ihren
Wangen, und sie schien es zu wissen.
„Aber Friedl! Heute kannst du wieder gar
nichts!" rief ihr Bruder ihr zu.
Endlich hatte sie sich gefaßt. Das Steuer war
wieder richtig eingestellt, und das zierliche Boot
strich mit leisem Rauschen an dem großen Fahrzeug
vorüber.
Lächelnd schaute Frida dem Doktor in die
Augen und sagte: „Sie hielten in einem halben
Satze inne. Möchten Sie ihn nicht vollenden?"
°„Jch wollte nur noch bemerken, daß Pia dem
Herrn sein Wort zurückgab."
„Nahm er es denn zurück?"
„Nein. Er will nicht von ihr lassen."
„Das ist schön! Das ist echte Liebe!"
„Friedl, halte jetzt auf Orth zu!" rief Georg.
Frida hielt auf die Insel Orth zu. Ihr wie dem
Doktor war es nur angenehm, in eine stillere Gegend
zu kommen, und bald flog das Boot unter der
Brücke durch, welche das Inselchen mit dem Fest-
lande verbindet.
Die drei verbrachten noch eine sehr angenehme
Stunde auf dem See. Dann legte sich Georg,
stolz darauf, daß er allein das Boot führen durfte,
mit neuem Eifer in die Ruder.
Es war schon spät, als Perthal heim kam. Er
war zu Fuß von Gmunden nach Altmünster ge-
gangen und wunderte sich, als er plötzlich vor dem
Schröckenfuchshofe stand und Brunos Stimme ihn
vom offenen Fenster her grüßte. So versunken
war er in seine Gedanken.
viettes Kapitel. - -
Bruno Vittone, der zuerst so gedrückt schien,
atmete auf, als ihm Perthal am nächsten Morgen
Geld gab, damit er sich einen guten Tag bereiten
könne, denn er brauche ihn erst Abends wieder, da
er den ganzen Tag in Gmunden zu verbringen
beabsichtige. Gleich darauf fuhr er auf seinem
Fahrrad davon.
Nachdem der junge Mensch sich so fesch als
möglich gemacht hatte, verließ auch er dicht nach
dem Doktor das Haus und schlug den Weg zum
Krämer ein, bei dem er sich Zigaretten kaufte.
Er wollte auch nach dem Preis einer Halskette
fragen, die er in dem Auslagefenster gesehen hatte,
aber er besann sich und unterließ diese Frage.
Sein fernerer Weg führte ihn n8ch Traunkirchen.
Dort kaufte er eine silberne Halskette und ein ganz
besonders hübsches Kopftuch, und schlug alsdann
einen landein führenden Weg ein. Dieser Weg
führte nach der Bichtau.
Die Gemeinde dieses Namens ist von Altmünster
aus in etwa einer Gehstunde zu erreichen. Die
Entfernung von Altmünster bis nach Traunkirchen
beträgt etwa sieben Kilometer, und von Traun-
kirchen bis in die Bichtau geht man weit mehr als
eine Stunde. Bruno Vittone hatte also, um seinen
Einkauf heimlich machen zu können, einen großen
Umweg gemacht.
In der Vichtau war sein Ziel das Häuschen des
Matthias Trauner, der freilich selten daheim zu
finden war, denn er gehörte zu den Salzfahrern,
welche das Werk in Ebensee beschäftigte, und welche
fast immer auf dem Wege find zwischen dem Sud-
werk und der Mündung der Traun, woselbst das
hierhergeförderte Salz auf die großen Donaufchiffe
verladen wird.
Nun, dem Matthias Trauner galt ja auch Brunos
Besuch nicht, der war der hübschen Vroni zugedacht,
die tagelang allein zu Hause saß und ihr Alleinsein
nicht immer zu dem löblichen Zwecke ungestörten
Arbeitens ausnützte.
Die Trauner-Vroni war nämlich mehr als nur
lebenslustig, die war geradezu genußwütig, und sie

kam dieser gefährlichen Leidenschaft soweit dies
möglich war nach.
Bruno hatte sie auf einem seiner Spazier-
gänge im vorigen Sommer kennen gelernt und
zappelte bald in dem Netze des hübschen Dirnleins,
der es übrigens gewaltig imponierte, daß der schöne,
feine Mensch, der geradeswegs aus dem großen
Wien kam, sich gar so sehr um ihre Gunst bemühte.
Welch hübsche Geschenke er ihr immer brachte!
Eine ziemliche Weile hatte Vroni die Zurückhaltende
gespielt, dann aber hatte sie feinen Werbungen
gerne Gehör geschenkt.
Während Bruno Vittone sich wieder auf dem
Wege zur Trauner-Vroni befand, stieg fein Herr
an Fräulein Fridas Seite den Grünberg hinauf.
Georg lief ihnen, mit seinem Schmetterlingsnetz
in der Hand, voraus.
Die beiden fanden übereinstimmend, daß es
heute ganz besonders schön hier oben fei, fo ganz
eigenartig schön, wie es früher noch nie gewesen.
Frida wußte es eigentlich ganz genau, daß ein
Gedanke dies zu Wege brachte, oder vielmehr die
Gewißheit, daß jene schöne Pia Vittone, von der
Perthal im vorigen Sommer so oft geredet, und die
er in diesem Winter mit solchem Feuer verteidigt
hatte, daß diese Pia verlobt sei.
Ein tiefes Rot zuckt wieder eiumal über ihre
reizenden Züge, als er, nach einer Glockenblume
sich bückend, ihr nur sein Profil zuwendet, dieses
in jeder Linie feine Profil, das sie schon so oft
studiert hat. Es ist ja jetzt noch so viel Jugend, so
viel Ursprünglichkeit, so viel Idealismus und Frische
in ihm.
Jetzt reicht er ihr die Blume und lächelt so ver-
träumt, so lieb dabei, daß es ihr noch viel, viel
wärmer ums Herz wird.
„Herr Doktor — Herr Doktor, schauen Sie doch!
Da ist eine Totenkopfraupe!" schreit Georg und
kniet schon neben der Eiche, an deren Stamm das
Tier hinaufkriecht.
Perthal und Frida stehen gleich darauf an der
Eiche. „Geben Sie acht, Georg!" ruft Perthal.
„Da — bei Ihren Füßen regt es sich."
„Eine Blindschleiche!" entgegnet sorglos der
eifrige Sammler, der nur an die seltene Raupe
denkt. Im nächsten Augenblick aber schreit er auf
und mit ihm Frida.
Perthal aber stürzt sich auf die Schlange, welche
sich blitzschnell um Georgs Bein gewunden hat.
Es ist eine Kreuzotter und sie hat schon gebissen.
Perthal reißt sie los von ihrem Opfer und dann
zerschmettert er ihren Kopf an dem Baum und wirft
die Getötete hinter sich.
Dies alles ist das Werk einiger Sekunden.
„Den Strumpf herunter, Georg!" sagt rasch,
aber doch ganz ruhig Perthal, und dann, sich auf das
Knie niederlassend, fetzt er hinzu: „Sie sind gebissen?"
„Ja. War's denn eine Giftschlange?"
„Franz!" schreit da seine Schwester, „Franz,
was wollen Sie tun?"
Perthals Mund preßt sich schon auf die Biß-
wuude. Eine Weile saugt er, dann erhebt er sich,
spuckt ein paarmal kräftig aus, zieht eiue flache
kleine Flasche aus der Uberziehertasche und tut,
nachdem er sich mit einem Teil ihres Inhaltes den
Mund ausgespült, einen tüchtigen Schluck.
„So, und was noch darin ist, trinken Sie," sagt
er zu dem noch immer ganz verwirrten Georg und
hält ihm das Fläschchen hin, das der Knabe, fast
unwillkürlich gehorchend, an die Lippen setzt.
Erst als kein Tropfen von dem Kognak mehr
da ist, wird Perthal ganz ruhig. Ein Freuden-
schimmer verklärt sogar seine Züge, klingt ihm doch
der Ruf Fridas in seinem Herzen nach: „Franz —
Franz, was wollen Sie tun!"
Perthal faßt sich gewaltsam und beschäftigt sich
mit Georg, der ihm mit leidenschaftlichen Worten
dankt und ihm krampfhaft die Hand preßt.
„Lassen Sie den Strumpf unten und gehen Sie
recht schnell. Wir kehren sofort um — nicht wahr,
Fräulein Frida?"
So fragt der Doktor und fieht jetzt erst Frida an.
„Natürlich — gewiß!" antwortet sie, hochrot im
Gesicht und öffnet, wiewohl sie im tiefen Schatten
stehen, ihren Sonnenschirm, hinter welchem ihr Kopf
verschwindet.
Perthal lächelt glückselig, reicht Georg Hut und
Schmetterlingsnetz, die neben der Eiche im Grafe
liegen. „So, mein Lieber, nun hält uns nichts
mehr hier zurück. Gehen Sie so fckmell als möglich
voraus. Sie müssen in Schweiß kommen, wir
werden die Nachhut bilden."
Georg rennt davon.
„Fräulein Frida!" Ganz sanft klingt es, und
Perthal bietet dabei dem lieben Mädchen feinen
Arm, den sie zögernd nimmt.
„Wollen Sie nicht die Güte haben, den Schirin
zu schließen?"

Frida schließt den Schirm und blickt dabei hart-
näckig zu Boden.
„Ich bin sehr, sehr glücklich," fährt der Doktor
ohne Übergang fort. Dann setzt er, warm und so
leise, daß es Georg ganz bestimmt nicht hören kann,
hinzu: „Wünschen Sie nicht zu wissen, weshalb ich
gar so glücklich bin?"
Noch tiefer senkt sich das liebe Gesichtchen, noch
dunkler färbt sich die Wange.
„Ich habe bis jetzt gar nicht gewußt, wie wunder-
schön mein Name ist."
Nun schlägt die Verlegenheit über Frida Ma-
nusius zusammen. „Herr Doktor!" stammelt sie.
„Herr Doktor —"
„O nein!" fällt er ihr ins Wort. „Tas war für
früher gut. Von jetzt an bin ich damit nicht mehr
zufrieden. Friedl, liebste, teuerste Friedl, Sie
dürfen den ,Franz' nicht mehr zurücknehmen, denn
dieser Name zeigte mir, daß mein Sehnen und
Wünschen nicht zu vermessen war, daß noch ein
Glück, ein großes Glück auf mich wartet."
Keine Antwort erfolgt.
Und doch eine Antwort!
Friedls Arm zittert, und sie muß tief Atem holen.
Und dann erhebt sie ihr Gesicht, und ihr Blick senkt
sich in den seinigen.
„Friedl — meine Friedl!" sagt er leise.
Frohen Kindern gleich eilen sie dann den Berg
hinunter. Sehr rasch gehen sie, da sie sich um
Georg doch noch heimlich sorgen. Sie sehen ihn
noch von weitem und bemerken, daß er jetzt sehr,
sehr unsicher geht.
Frida schaut ängstlich den Doktor an. „Kann
das von dem Biß kommen?" fragt sie.
Perthal schüttelt den Kopf und entgegnet ruhig:
„Nein — nein, wir wollen hoffen, daß dieser Schwin-
del bloß vom Kognak kommt und daß Georg einen
tüchtigen Rausch hat."
Es schien tatsächlich so zu sein, denn Georg war so
wohlgelaunt und wurde schließlich so kreuzfidel, daß
Frida, der jedes Aufsehen peinlich war, froh war,
Heimzukommen.
Natürlich wurde fofort ein Arzt berufen, der zu
aller Beruhigung erklärte, daß keine Gefahr mehr
vorhanden fei.
Auch Perthal mußte sich gründlich untersuchen
lassen, aber auch das Resultat dieser Nachschau war
ein vollkommen befriedigendes, und so folgte aus
den kurzen Schrecken, den alle gehabt, ein außer-
ordentlich froher Abend, denn natürlich machten die
Liebenden kein Geheimnis daraus, daß sie mit-
einander ins reine gekommen waren. Die Eltern
waren's gern zufrieden, und es gab also eine richtige
Verlobungsfeier, bei welcher Georg, der für den
künftigen Schwager schwärmte, einen launigen Toast
auf die Kreuzottern ausbrachte.
Die Nacht war schon weit vorgerückt, als Perthal
vor seiner Wohnung vom Rade stieg.
„Je, der Herr Doktor schaut aber heut' freundlich
drein!" sagte die Resi, die mit dem Knecht noch vor
der Tür faß.
Perthal nickte ihr zu. „Bin ich denn nicht immer
freundlich?" erkundigte er sich.
„Wohl — wohl, das schon, aber heut' ist noch
was anders dabei. Der Herr Doktor dürft's schon
wissen, daß heut' eine Menge Geld für ihn kommen
ist. Der Vater sitzt eh', seit's da ist, als wie a Drach'
dabei."
„Das weiß ich wirklich schon," entgegnete
Perthal. „Ich war ja auf dem Postamt und habe
dort die Weisung hinterlassen, daß man das Geld
Ihrem Vater ausfolgen soll."
„Na also!" sagte die Resi, fest davon überzeugt,
daß die zweitausend Kronen, welche eingetroffen
waren, des Doktors gute Laune zur Folge hätten.
Als Perthal bald danach allein in seinem Zimmer
war, fiel sein Blick zufällig iu den Spiegel und blieb,
was sonst nicht der Fall zu sein pflegte, darauf
haften.
„Wahrhaftig, das Glück macht einen jung!"
dachte er. „So sehe ich doch für gewöhnlich nicht
aus!" und dann mußte er lächeln, als er daran
dachte, daß er feine Verlobung im Radfahrkostüm
gefeiert hatte.
Aber rasch wurde er wieder ernst, setzte sich an
seinen Schreibtisch und schrieb und schrieb.
Er schrieb die Entgegnung auf jenen Artikel, den
er bei feiner Herfahrt mit so grimmigen Empfin-
dungen gelesen hatte. Er schrieb sie mit edlem
Eifer und doch auch wieder mit sachgemäßer Ruhe.
Vor seinem inneren Auge sah er die spöttischen
Mienen Lautenbachs, doch sah er sie auch sich mehr
und mehr verzerren, je länger er schrieb.
Und doch Hütte Lautenbach sehr vergnügt
lächeln können, war er doch erst kürzlich zum Ober-
staatsanwalt im benachbarten Wels befördert wor-
den. Staatsanwaltlicher Eifer lohnt sich immer!
 
Annotationen