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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0055
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44 -
größten Laster auf Erden ist. Jedenfalls fand er
es vom Oberförster sehr begreiflich, daß er dieses
reizende Persönchen geheiratet hatte.
Gar beweglich bat Frau Adele um Gewährung
eines Urlaubes zu einer Hochzeitsreise. Und einmal
im Redeflüsse drinnen, klagte sie auch bald über
den „unbarmherzigen Dienst", der ihr den Gatten
schon am zweiten Ehetage geraubt habe.
Vergnügt lächelnd ließ Schragenstein die aller-
liebste Strohwittib plaudern und klagen. Dann
aber beglückte er sie mit Erteilung eines vierwöchigen
Urlaubs für den Gatten. Den Trumpf auf die
Anklage der Grausamkeit spielte er jedoch erst am
Schlüsse der Unterredung aus mit dem Hinweis,
daß der Oberförster sich zur Zeit durchaus nicht im
Dienst befinde, sondern zur Befriedigung seiner
Weidmannslust hinauf zum Zeyritzkampel gewandert
sei, wo er den ihm freigegebenen Zwölferhirfch
schießen wolle. Als Kavalier vollendetster Art stellte
Baron Schragenstein, in dessen Augen der Schalk
lachte, einen Jagdgehilfen als Führer zur Verfügung,
falls Frau Adele etwa dem Gatten hoch oben am
Zeyritzkampel einen Besuch abstatten, ihm beim Ab-
schuß des Brunfthirsches „behilflich" sein wolle.
Adele sah in der plötzlich entfachten Empörung
nicht das Lachen im Auge des Barons; sie nahm
dankend die Beistellung eines Führers an, der in
einer Stunde marschbereit an der Villa auf sie
warten solle. Ein Knicks, dann trippelte das zorn-
glühende, tiefbeleidigte Frauchen davon.
Rache, Rache, Rache für den schändlichen Be-
trug! Zum Vergnügen, nein — seiner Mordlust
wegen — hat der junge „zweitägige" Ehemann sein
Weib verlassen! Eine Rücksichtslosigkeit, eine Nicht-
achtung sondergleichen! Der Gattin einen Hirsch
vorziehen! Seit die Welt bdsteht, ist so eine Bru-
talität noch nicht dagewesen! Aber dem treulosen
Gatten sollen die Jagdmucken ausgetrieben werden
gründlich und für immer — heute noch! Auf den
Knieen muß Hubert Abbitte leisten, schwören, nie
wieder einen Hirsch oder anderes Wild zu schießen,
überhaupt nicht mehr zu jagen, das Wildmorden,
das ihn zu so niederträchtigem Verrat an den hei-
ligsten Gefühlen verleidet, gänzlich zu unterlassen!
Und wenn Hubert nicht augenblicklich das Revier
verlassen, mit Adele die Hochzeitsreise antreten sollte,
wird es zum Äußersten kommen!
Auf die Minute pünktlich erschien Fran Adele
in schmucker Lodentoilette an der Jagdvilla, wo der
Jäger bereits ihrer harrte; ihre gerechte Empörung
hatte diese ungewöhnliche Pünktlichkeit bewirkt, ihre
gerechte Empörung gab ihr auch Kraft und Aus-
dauer, die Strapazen des ermüdenden Aufstieges
durch den düsteren, wildromantischen Teuchengraben
zu ertragen.
Gegen Abend kam Adele in das Revier, wo nach
der Versicherung des Jägers sich der Oberförster
befand. Müde zum Umfallen war die junge Frau,
zugleich aber so erbittert auf den Gatten, daß sie
trotz aller Erschöpfung sogleich den Kampf mit
Hubert aufzunehmen entschlossen war. Hierzu wollte
Adele aber keinen Zeugen haben. Der Führer wurde
heimgeschickt. Die Jagddiensthütte stand deutlich
oben in Sicht, der Pfad konnte nicht verfehlt wer-
den. —
Herrlich lag die braunverwitterte Jagdhütte am
Rande eines dichten Tannenwaldes; eine kleine
Rodung davor, ein Wiesenstreifen. Die Stätte
heiligen Bergfriedens von würziger Luft umweht,
vergoldet von den Strahlen der scheidenden Sonne.
Tiefe Stille ringsum, märchenhafter Zauber.
Tief unten inden Schieferschluchten wogte der Nebel.
Noch war es für die Hirsche zu warm, daher
schrieen sie nicht.
Verschlossen war die Jagdhütte. Erschöpft ließ
sich Adele auf der kleinen Holzbank vor der Hütte
nieder. Ein todmüdes, schutzbedürftiges, verschmach-
tendes Weib, tief unglücklich in dieser Bergeinsam-
keit, schmerzlichst enttäuscht, so allein und verlassen
zu sein. Ein unsäglich glühender Haß flammte im
Frauenherzen auf gegen Wild und Wald, gegen Jagd
und Jäger, gegen die ganze Bergwelt.
Um eines Hirsches willen die vor wenigen Tagen
angetraute Gattin verlassen! Schändlich! Eine
empörende Leidenschaft, diese Jagdleidenschaft, die
gesetzlich mit Gefängnis bestraft werden sollte!
Wo Hubert sein wird? Wann wird er kommen?
Endlich wurde Adele ruhiger, der Atem ging
normal, die Aufregung schwand. Der Blick weitete
sich; es erwachte das Interesse für die nächste Um-
gebung der einsamen Hütte, es dämmerte ein Ver-
ständnis auf für die Idylle dieses so herrlich ge-
legenen Erdenwinkels.
Adele empfand also die erhabene Schönheit dieser
Bergwelt, den hehren Frieden dieses Abends mit
seiner ergreifenden Feierlichkeit. Sie fühlte eine
ungeahnte Majestät, die erquickte, zur Andacht
stimmte, zur Dankbarkeit für den Schöpfqr.

- buch fül- Mle -. —
Willig gab sich die einsame Frau dem Zauber
dieses Abends hin, und MMe zog ein ins Herz.
Doch der Gedanke an die Rücksichtslosigkeit Huberts
verscheuchte schließlich doch wieder jedes Zartgefühl.
Jagdlust kann doch nichts anderes sein als Mord-
gier, Schießwut, ins Maßlose gesteigerte Brutalität
verrohter Männer!
Und solcher grausamen Barbarei frönt der eigene
Gatte! Zwei Tage nach der Trauung!
Adeles Blick fiel auf den Waldrand unterhalb
der Diensthütte, wo ein Rehkitz ausgetreten war,
zaghaft äugte und dann zum Gräsernaschen den
kleinen Äser senkte.
Voll Entzücken betrachtete die Einsame das zier-
liche kleine Geschöpf, das zeitweilig das Köpfchen
hob, als wenn es nach der Mutter äugen wollte.
Die Geiß war aber nicht zu sehen.
Plötzlich gewahrte Frau Adele ein rötlich ge-
färbtes Tier, das dem Waldesrand entlangschlich,
zweifellos mit schlimmen Absichten auf das aller-
liebste ahnungslose Kitz. Eine geradezu lähmende
Angst erfüllte Adeles Herz, die Sorge um das kleine
zierliche Tierchen ließ sie erzittern. Adele wollte
helfen, das Kitz von dem Räuber und Mörder be-
freien, retten aus entsetzlicher Gefahr, und wußte
doch nicht, wie dies geschehen könnte.
Immer näher rückte der schleichende Fuchs; schon
duckte sich Meister Reineke zum Sprung.
Adele wollte schreien, brachte aber in der Auf-
regung keinen Ton aus der Kehle. Das flimmernde
Auge bemaß im Nu die Entfernung, sie wollte hinab-
springen, den roten Mörder verscheuchen. Aber die
zitternden Füße versagten den Dienst. Schreck-
erfüllt starrte Adele auf das dem sicheren Tode ge-
weihte Rehkitz.
Der Fuchs sprang. Da — ein Blitz, ein Knall.
Reineke rollte sich zusammen und fiel leblos nieder,
das Kitz flüchtete waldeinwärts.
Auf dem Steig neben dem Waldesrand erschien
der Oberförster Hubert Kofler.
Ein Jubelruf klang hell von der Jagdhütte,
und den steinigen Steig herab wirbelte Adele —
ein Flattern, ein jubelndes Frohlocken.
Wenige Augenblicke später lag die junge Frau
in den Armen des überraschten Gatten, weinend vor
Glück und Seligkeit, ihren Hubert küssend in innigster
Liebe.
Dann aber riß sich Adele los, lief zum Fuchs
hin und versetzte dem toten Reineke einen Fußtritt,
daß er drei Schritte weiter flog.
Ein Ahnen überkam Hubert, ein Verständnis für
diese Szene. Und ein Lächeln der Befriedigung
huschte über seine Lippen.
Frau Adele trug triumphierend den Fuchs da-
von und jubelte immer wieder darüber, daß Hubert
zur rechten Zeit gekommen sei, um dem roten Mör-
der das Lebenslicht auszublasen. Nun sei alles gut!
„Du hast also um das Leben des kleinen Rehs
gebangt?"
„Und wie! Gar nicht zu sagen!"
„Also lebt in dir ein warmes Interesse für Wild
und Wald?"
„Ja, Hubert! In dieser Stunde der Angst ist
Liebe und Verständnis für Wild und Wald in mir
erwacht!"
Das Paar war an der Jagdhütte angelangt.
Adele versetzte dem Fuchs geschwind noch etliche
Püffe mit geballter Faust.
Die Tür aufschließend, fragte Hubert: „Und
warum ist mein süßes geliebtes Weibchen herauf-
gekommen in die Bergeinsamkeit?"
Ein inniger Kuß war die Antwort.
Wenn es zum Abendimbiß auch nur Speck und
Brot gab — es schmeckte dem Pärchen ausgezeichnet
bei munterem Geplauder und unzähligen Küssen.
Und zum Zwölfender, den Hubert noch nicht zur
„Strecke" gebracht hatte, wünschte Adele aus vollem
Herzen Weidmannsheil.
Schmunzelnd meinte der Gatte, daß ihm Adele
vielleicht den bisher verwehrten Erfolg bringe. Zu-
nächst müsse die Gattin freilich kaltes Wetter bestellen.
In der Tat brachte die Nacht Frost. Zwar fror
die junge Frau im kalten Nachtwind, der durch die
Fugen der Blockhütte zog, jämmerlich, doch sie fror
gern und freute sich der kalten Luft, des guten
Brunftwetters. Beim ersten dröhnenden Hirsch-
schrei erschrak sie freilich schier auf den Tod und
ängstlich suchte sie Schutz an des Mannes Brust.
Als aber Hubert den Lärm erklärt hatte, und
das Orgeln immer lebhafter und mächtigeLerdröhnte,
da jubelte Adele auf, und sie war es selbst, die zum
Aufbruch drängte, damit der Gatte an seinen Hirsch
komme und Weidmannsheil erlange.
Beim Abschied fragte Hubert, ob er Adele viel-
leicht in der Hütte einschließen solle.
„Was dir nicht einfällt! Ich bin eine Jägers-
frau und fürchte mich nicht! Weidmannsheil,
Manndi!"

- heft 2
„Weidmannsdank!"
Ein letzter Kuß. Dann trat Hubert hinaus in
den kalten, nebligen Herbstmorgen.
Die Hirsche schrieen prächtig — ein herrlich
Orgeln das Brunftkonzert'
Wie gönnte Adele, die, in einen Wettermantel
gehüllt, auf der Holzbank vor der Hütte saß, dem
Gatten die Weidmannsfreude! Sie freute sich ihrer
Bekehrung, des erwachten Verständnisses, und
schämte sich der rachsüchtigen Gedanken des ver-
flossenen Abends.
Ein Schuß erdröhnte und weckte das Echo in
den Bergen. Ein Brechen und Knattern — ein
dumpfer Fall. Dann ward es für eine Weile still.
Vor der Hütte stand im Sonnenlicht des klar
gewordenen frischen Morgens Frau Adele, zitternd
vor Erwartung, mit einem Tannenzweiglein in der
bebenden Hand.
Freudestrahlend kam Hubert zur Hütte herauf.
Glückselig überreichte Adele dem glücklichen Schützen
den verdienten „grünen Bruch".
Von der Hochzeitsreise war keine Rede mehr.
Adele meinte, es könne ja nirgends schöner sein als
in steierischen Bergen und in der wilden schwarzen
Teuchen.
*
Der Dichter des Liedes: „Der Weg zu mein'
Dirndl ist steinig" muß den Pfad gemeint haben,
der durch das Tal der sogenannten kurzen Teuchen
sich steil aufwärts drei Stunden lang hinzieht, reich
an Geröll, Schieferplatten und Gneisbrocken, sich
dann durch einen wunderherrlichen Hochwald schlän-
gelt und auf dem Weideboden der Zeyritzalm endet.
Ein steiniger Weg, aber lohnend, denn er führt in
eine entzückend romantische Alpenwildnis und zur
Brentlerin Sanna, die sommersüber auf der ein-
samen Zeyritzalm residiert und sich eines besonderen
Rufes bei den wenigen Touristen erfreut, von denen
etliche als alpine Feinschmecker dem breiten Rücken
der Zeyritzkampel oder den mit Edelweiß reich be-
deckten Gefilden der „Schafzähne" zustreben. Sanna
galt als tüchtige Sennerin und fleißige, freundliche
Schafferin, zeigte etwaigen Besuchern aber sofort
die Zähne und die Hüttentür, wenn man sie nach
ihrem Schatz fragte oder sonstwie sich Anspielungen
auf Beziehungen zu Wildbretschützen erlaubte.
Hübsch war das etwa vierundzwanzigjährige Mädel
gerade nicht, aber ein nettes, tannenschlank ge-
wachsenes Persönchen mit rabenschwarzem Haar und
feurigen Augen. Ein mundflinkes, emsig schaffen-
des Dirndl, lebhaft und resolut.
Für die allzeit muntere Sanna, die von den
ringsum in den Wäldern arbeitenden Holzknechten
kurzweg die „Zeyritzin" genannt wurde, war eine
Zeit gekommen, welche ihr die Munterkeit und
Lebensfreude schmälerte. Das silberhelle Lachen
erstarb, trüb ward der Blick, gedrückt die Stimmung.
Tagelang sann das Mädel darüber nach, wie dem
Franzt, ihrem Zukünftigen, die schlechte Laune ge-
bessert, eine Freude bereitet werden könnte ohne
große Kosten. Franzl hatte sich nämlich in letzter
Zeit oft recht verdrossen gezeigt und über die scharfe
Überwachung der Teuchenreviere seitens der frei-
herrlichen Jäger geklagt. Für heimliche Wildbret-
schützen war fast nichts mehr zu machen, die Gefahr
des Erwischtwerdens übergroß geworden. Wild
mehr als genug, aber unmöglich ein Schuß. Dabei
hatte der Franzl, Sannas Bräutigam, seinen be-
sonderen Stolz, denn er wollte das Wild nur mit
Pulver und Blei weidgerecht zur Strecke bringen,
die Jagdfreuden genießen wie die Kavaliere, neben-
bei allerdings auch den Nutzen der Wildbretver-
wertung einheimsen. Seit der Jagdherr, der Baron
Schragenstein, nun das Schutzpersonal vermehrt
hatte, war es mit der Wilderei zu Ende. Diese
Erkenntnis hatte dem Franzl den Frohsinn und die
Lebensfreude geraubt. Und Sanna wollte helfen,
den Franzl wieder munter und lustig machen, wußte
aber nicht, wie sie das anstellen sollte. So viel sie
auch sinnierte, kein guter kluger Gedanke wollte sich
einstellen.
In den Stunden des Abends nach vollbrachter
Arbeit vor der Hütte sitzend, den Blick über den
Almboden zum Hochwald gerichtet, dachte Sanna
besonders über Franzis Klage nach, daß es un-
möglich geworden sei, Rehe und Hirsche weidgerecht
mit Pulver und Blei zu holen. Und die Brentlerin
fragte sich selbst, warum sich Franzl just auf diese
Jagdart versteife? Sanna erinnerte sich der Tat-
sachte, daß ihr Bruder schon so manches Mal Wild
und Geflügel heimgebracht hatte, das mit schlau
gestellten Schlingen gefangen worden war.
In der Hütte war der Vorrat an Fichtenreisig
zu Ende gegangen, und da Sanna es liebte, frisches
Reisig gleichsam als Teppich sowohl im Herdraum
wie auch auf dem Boden bis zum Brunnen zu legen,
das alte aber abgebraucht und verdorrt war, so
mußte frischer Ersatz beschafft werden. Da schritt
 
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