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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0293
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fllustnette fgmilienreitung
12. Heft. 1908.


Modell der lfauptgruppe de; fjesserdenkmal; Mr Wien. (8. 2ö2)

ver heii'atrmal-kl.
fjoman von Hedwig kriin.
lrorlseftung.) lNachdiuck verboten.)
inder, seid doch gescheit und lacht wie-
der!" sagte Alice. „Werft doch den faden
Baron über Bord! Das Leben ist so amü-
sant, und ich bin so nett — wißt ihr, wie
nett ich sein will? Ich will Inge so ein
bißchen mit bemuttern, will ihr schöne Kleider tau-
fen, daß ganz Hallberg kopfstehen soll vor Staunen,
wenn sie wieder aus Paris zurückkommt. Selbst-
gemachte Fähnchen und so etwas, das darf sie nicht
mehr tragen — Pariser Schick soll sie bekommen,
ein gewisser wankelmütiger Herr soll Augen machen,
wenn er sie wiedersieht —"
„O nie — niemals!" entgegnete Inge.
„Ach, Unsinn! Das sagt man so! Wer weiß,
wie der noch ein Wiedersehen mit dir sucht. Du
brauchst ihm doch nicht aus dem
Wege zu gehen? Luft muß er
dir sein, einfach Luft."
„Ganz meine Meinung/' be-
stätigte die durch die in Aussicht
gestellte Reise und die an gekün-
digten schönen Kleider beglückte
Posträtin. Mein Gott, die Zu-
kunft zeigte ja wieder Licht! Sie
konnte nicht anders, sie mußte
der gutmütigen jungen Frau einen
Kuß geben. „Wenn wir dich nicht
hätten —"
„Na ja, Tantchen," lachte
Alice, blinzelte zu Inge hinüber
und rief plötzlich: „Na, Mädel,
wirst du wohl nicht solch verzerr-
tes Gesicht mehr machen! Zehn
Jahre älter siehst du aus! Was
hast du denn nur eben gedacht?"
„O etwas ganz Vergnügtes,"
sagte Inge und starrte über Alice
hinweg in die Luft. „Ich sah im
Geiste bereits die Ware aufs neue
herausgeputzt und aufs neue zu
Markte geführt und fragte mich,
ob sie wohl diesmal einen willigen
Abnehmer findet."
Wohl vernahm Alice die heim-
liche Schärfe der Worte, doch sie
hütete sich, darauf einzugehen und
antwortete, harmlos den Vergleich
weiter ausspinnend: „Warum
denn nicht? Sie muß nur in das
rechte Licht gestellt werden."
„Und der neue Beleuchtungs-
effekt wäre?"
Darauf wußte die junge Frau
nichts zu entgegnen und sie rief
ungeduldig: „Ach, rede doch lieber
ein vernünftiges Wort, Mädel!
Als ob du selber nicht am zufrie-
densten darüber wärst, gerade
jetzt recht schnell eine gute Partie
zu machen. Es braucht ja doch
nicht gerade ein Baron zu sein,
wenn er nur —"
Alice machte die Gebärde des
Geldzählens und die Posträtin
nickte Beifall. „Nun natürlich!
Selbstverständlich!"
Inge aber stand auf, sah von
einer zur anderen und sagte: „Ihr
habt ganz recht. Nur nicht wäh-

lerisch^ sein! Es tut's ja.irgend einer — irgend
einer!"
Niemand hielt sie auf, als sie hinausging. Die
beiden Zurückbleibenden starrten einander nur ver-
wundert an.
„Was war denn das?" begann endlich Alice.
„Sie sprach ja wie im Fieber."
Die Posträtin rang die Hände. „Nur nicht das
noch um den Menschen! — Na, wenigstens einen
Brief soll er kriegen, den er nicht hinter den Spiegel
steckt — das ist das mindeste, was ich tue. Inge
aber muß wirklich fort, das arme Mädchen!"
„Ja, sie muß fort!" wiederholte auch Alice.
fschtes Kapitel.-
Zu der Stunde, als Günter v. Jellinghaus
hinausfuhr in die weite Welt, ging Inge aus, um
ihren einzigen Abschiedsbesuch zu machen. Ihre
Reisevorbereitungen waren getroffen, heute mit dem
Nachtzuge würde sie abfahren. Jetzt befand sie sich
auf dem Wege, um dem Onkel Kasimir Dühring

ein pflichtschuldiges kurzes Lebewohl zu sagen. Der
Gang wurde ihr schwer, denn ihre Seele war noch
immer so voll Scham und Bitternis, daß sie am
liebsten vor allen Menschen geflohen wäre. Schon
daß sie sich auf der Straße zeigen, daß sie Begeg-
nungen gewärtigen mußte, war ihr eine Pein. Sie
sah nicht rechts noch links.
Da hielten ihr zur Seite andere Schritte gleichen
Takt mit den ihren, und eine Stimme sagte: „Wo
du hingehst, da will ich auch hingehen, dein Weg ist
mein Weg! — Guten Tag, mein gnädiges Fräu-
lein."
Mit jener nachlässig kecken Manier, die den jungen
Damen so gut gefiel an Frank Ortloff, verbeugte
sich dieser vor Inge. Sie war rot und blaß geworden
schon bei seinen ersten Worten, steif neigte sie jetzt
ein wenig den Kopf und wollte weitergehen.
Da kniff er die Augen zu und lachte: „Warum
behandeln Sie' mich eigentlich so schlecht, meine
Allerungnädigste?" Er blieb ihr zur Seite, wie
sie auch strebte, von ihm fortzukommen. Mit einem
eigentümlichen Lauern beobach-
tete er den jähen Schreck, die
Pein in ihrem gesenkten Gesicht.
„Jst's darum, weil Sie sich neulich
aufdemRosenfeste verlobthaben?"
Mit einem Ruck war sie stehen
geblieben.
„Soll ich feurige Kohlen auf
Ihr Haupt sammeln," fuhr Ort-
losf fort, „soll ich dem Herrn von
der Weiherburg ein Loch in den
Schädel knallen?"
Inge fuhr zurück, als wären
feine brutalen Worte Faustschläge
gewesen. Sie hatte nur die eine
Vorstellung: so wußte er's, so
wußten sie's alle schon, so würde
Schmach auf Schmach sie treffen!
Ohne ein Wort . zu erwidern,
hastete sie die Straße zurück, die
sie gekommen war. Nur fort, nur
fort, so schnell sie ihre Füße tragen
wollten!
Doktor Ortloff blickte ihr ver-
blüfft nach. Seine Mundwinkel
zerrten sich herab, sein Stock durch-
schnitt pfeifend die Lust. So also
lagen die Dinge! Positiv gewußt
hatte er nicht einmal, wie sich die
Verlobungsaffäre, von der man
dies und jenes munkelte, eigent-
lich zugetragen. Aber man hatte
ja schließlich Phantasie — und jetzt
war die törichte blonde Inge sei-
nen Fragen so tadellos auf den
Leim gegangen, wie der abtrün-
nige Baron auf den der Mama
Sondegg gekrochen war.
Wie sie verstört dreingeschaut
hatte, das arme Ding! Auf der
Höhe der Situation befand sie sich
entschieden nicht! Nichts mehr
und nichts weniger war sie, als
eben nur ein hübsches Mädchen;
das aber war zu wenig für einen,
der Frank Ortloff hieß.
Kurz schwenkte er herum und
schritt seines Weges weiter. Ein Ziel
hatte ernicht,erbummelte solange,
bis er wußte, daß in seiner ele-
ganten Junggesellenwohnung der
Diener auf ihn warte. Flüchtig
dachte er daran, Sonja abzuholen
und mit ihr irgendwohin ins


MW






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