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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 16
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0386
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sllustllette stsmikienreitung
16. kiest. 1608.

ver steiratsmarkt.
k^oman von stedroig Listm.
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Ä^R?och ein Stück weiter den Pfad hinunter
I /X I man hatte die Turmspitze der Weiher-
Il/ttl E>urg sehen können. Jetzt war die Stelle
leer. Das Haus wurde nicht wieder auf-
gebaut, die Gläubiger sollten von der
Versicherungssumme bezahlt worden sein. Alice
hatte das neulich erzählt. Und sie hatte noch mehr
erzählt. Jellinghaus sollte vor der Möglichkeit stehen,
jede Stunde ruiniert zu sein. Er — vom Glück ver-
schmäht, wie Inge Sondegg von ihm!
Gegen den Wind sich anstemmend und nicht rechts
noch links blickend schritt Inge weiter, immer ge-
rade aus — ebenso in sich selbst versunken, wie ein
anderer, der ihr entgegen kam und ihrer nicht ge-
wahr wurde, wie sie seiner nicht, bis sie plötzlich so
jäh, so unerwartet dicht voreinander standen, als
hätte der Wind sie zusammengeweht.
Erschrocken hob Inge den Kopf und blickte Günter
v. Jellinghaus ins Gesicht. Und im selben Augen-

blick fuhr ihre Hand so heftig in das dürre Weiden-
geäst ihr zur Seite, daß der Zweig sich bog, sie mit
sich riß, ihr Fuß von der Böschung abrutschte und
sie taumelnd ein Stück hinunter glitt, bis ein Baum-
stamm ihr Halt bot.
Mit einem Schritt war er bei ihr und streckte ihr
die Hand entgegen.
Dunkel flammten ihre Augen ihn an, ihre Lippen
preßten sich aufeinander und vorüber an der stützenden
Hand sprang sie gewandt und sicher die Böschung hin-
auf. Uber denHandschuh an ihrer Linken rieselte Blut.
„Sie haben sich verletzt, darf ich Ihnen helfen?"
Er fragte es ruhig, sachlich, wie es jeder ritterliche
Fremde in dem Falle auch getan haben würde.
„Sie wissen, ich bin ein halber Mediziner," setzte
er lächelnd hinzu.
Glutende Scham jagte ihr über das Gesicht, und
beim ersten Klange seiner Stimme, die sie so lange
nicht vernommen, war sie erzittert. Doch dessen
sollte er sich nicht rühmen. Ohne ihm zu antworten
riß sie sich den Handschuh herab, nahm ihr Taschen-
tuch und drückte es auf die kleine Rißwunde.
„Wollen Sie mir die Verletzung nicht zeigen,
Fräulein Sondegg? Sie könnten einen Splitter in
der Hand haben." Wieder klang seine Stimme

völlig ruhig. Doch Inge glaubte jetzt einen müden
Ton heraus zu hören, den sie vorher nicht gekannt.
Litt er, waren die Gerüchte wahr, daß die Sorge bei
ihm umging?
Neugierig zuckten ihre Blicke ihm ins Gesicht,
dann bog sie sich zurück und sagte feindselig: „Geben
Sie mir den Weg frei, Herr v. Jellinghaus."
Es war, als hätte er sie nicht gehört. Er rührte
sich nicht von der Stelle, stand und starrte nur un-
entwegt auf ihre Hand hernieder, von der das
Tuch geglitten war und über die ein roter Streifen
floß. In Blut getaucht war der blitzende Goldreif
ihres goldenen Glücks! Blutige Tränen, die dar-
über rieselten?
Jäh verwandelt, ein Drohen in den aufflam-
menden Augen hatte Günter v. Jellinghaus plötz-
lich die mit Blut gezeichnete Hand gepackt und dann
wieder von sich geschleudert wie etwas Schmutziges«
Kein Wort war von seinen Lippen gekommen. Jetzt
aber wandte er sich kurz um und ging mit hastigen
Schritten seines Weges weiter.
Wie gelähmt ihm nachstarrend blieb Inge zurück.
Das hat er gewagt — das hat er gewagt! Der
Gedanke warf sich über sie wie siedende Flut. Ihre
Hand — vom Körper hätte sie sich die reißen mögen!


Modell des lohann 51cauh-venkmal5 für Wien. (5. 350)

XVI IMS.
 
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