Va8 Luch fülMe
Illuftnette vamilienreitung
10. liest. 1908.
vep ste>ssi5mgi-kt.
voman von stedcvig Ofli'n.
lvortseliung.) - tNachdrulk verboten.)
vierter Kapitel.
uf zwei Visitenkarten, die im vierten Stock-
werk eines großen Miethauses an der
Korndortür befestigt waren, standen die
Namen Elisabeth Wettach und Sonja
8 Wettach. Geschwister — das dachte wohl
jeder, der vorüberging und die gleichlautenden
Namen las, Geschwister mit bescheidenen Ansprüchen
und bescheidenen Mitteln, vom Schicksal nicht für
die Beletagen des Lebens auserkorene Mansarden-
bewohner. Wenige nnr waren es, die mit den
Schwestern in persönlichem Verkehr standen, und
allerlei flüsterte man über ihrer beider Schicksal im
Hause herum.
Sie waren Stiefgeschwister und im Alter fast
zwölf Jahre voneinander getrennt. In einer der
deutsch-russischen Grenzstädte hatten sie gelebt, bis
häusliche Unglücksfälle ihnen alles genommen, was
das Dasein hell und heiter gestaltet. Ihr Vater
hatte dort als beliebter Porträtmaler in hohem An-
sehen gestanden. Elisabeth, sein einziges Kind aus
erster Ehe, hatte ihre Mutter nie gekannt und war
glücklich gewesen, als der Vater sich mit einer jungen
Russin wieder verheiratete. Dieser Ehe entstammte
Sonja, das Abbild ihrer schönen, russischen Mutter.
Dann war das Verhängnis bereingebrochen. Son-
jas Mutter hatte eine tiefe schwärmerische, aber un-
erwiderte Liebe zu einem Freunde ihres Mannes
gefaßt, war schwermütig darüber geworden, und
eines Tages hatte man sie erschossen in ihrem
Zimmer aufgefunden.
Diesem furchtbaren Schicksalsschlag war der Gatte
nicht gewachsen gewesen und hatte ihn nur wenige
Jahre überlebt. Mittellos waren die beiden Schwe-
stern zurückgeblieben, nur auf sich angewiesen, und
Elisabeth kannte nur noch eine Lebenspflicht, einen
Lebensinhalt, das war Sonja, die sie mit all der
schrankenlosen Zärtlichkeit liebte, deren ihr stilles,
fast scheues und doch in seinen Tiefen leidenschaft-
liches Wesen fähig war. Um Sonjas willen hatte sie
sich rat- und hilfesuchend an eine alte Freundin
ihres Vaters, die in Hallberg lebte, gewandt, und
schließlich waren die Schwestern hierhergezogen, um
sich eine Existenz zu gründen. Die Ältere hatte
ihre russischen Sprachkenntnisse zu verwerten ge-
sucht, auch feine Handarbeiten für ein Geschäft an-
gefertigt, und hatte es durch unermüdlichen Fleiß
ermöglicht, daß Sonja, die damals kaum Siebzehn-
jährige, ihr Maltalent auf der Kunstgewerbefchule
ausbilden durfte.
Vie fubilällML-vulomobilausstellung im Srand Palais ru Paris. (5. 218)
x. IMS.
Illuftnette vamilienreitung
10. liest. 1908.
vep ste>ssi5mgi-kt.
voman von stedcvig Ofli'n.
lvortseliung.) - tNachdrulk verboten.)
vierter Kapitel.
uf zwei Visitenkarten, die im vierten Stock-
werk eines großen Miethauses an der
Korndortür befestigt waren, standen die
Namen Elisabeth Wettach und Sonja
8 Wettach. Geschwister — das dachte wohl
jeder, der vorüberging und die gleichlautenden
Namen las, Geschwister mit bescheidenen Ansprüchen
und bescheidenen Mitteln, vom Schicksal nicht für
die Beletagen des Lebens auserkorene Mansarden-
bewohner. Wenige nnr waren es, die mit den
Schwestern in persönlichem Verkehr standen, und
allerlei flüsterte man über ihrer beider Schicksal im
Hause herum.
Sie waren Stiefgeschwister und im Alter fast
zwölf Jahre voneinander getrennt. In einer der
deutsch-russischen Grenzstädte hatten sie gelebt, bis
häusliche Unglücksfälle ihnen alles genommen, was
das Dasein hell und heiter gestaltet. Ihr Vater
hatte dort als beliebter Porträtmaler in hohem An-
sehen gestanden. Elisabeth, sein einziges Kind aus
erster Ehe, hatte ihre Mutter nie gekannt und war
glücklich gewesen, als der Vater sich mit einer jungen
Russin wieder verheiratete. Dieser Ehe entstammte
Sonja, das Abbild ihrer schönen, russischen Mutter.
Dann war das Verhängnis bereingebrochen. Son-
jas Mutter hatte eine tiefe schwärmerische, aber un-
erwiderte Liebe zu einem Freunde ihres Mannes
gefaßt, war schwermütig darüber geworden, und
eines Tages hatte man sie erschossen in ihrem
Zimmer aufgefunden.
Diesem furchtbaren Schicksalsschlag war der Gatte
nicht gewachsen gewesen und hatte ihn nur wenige
Jahre überlebt. Mittellos waren die beiden Schwe-
stern zurückgeblieben, nur auf sich angewiesen, und
Elisabeth kannte nur noch eine Lebenspflicht, einen
Lebensinhalt, das war Sonja, die sie mit all der
schrankenlosen Zärtlichkeit liebte, deren ihr stilles,
fast scheues und doch in seinen Tiefen leidenschaft-
liches Wesen fähig war. Um Sonjas willen hatte sie
sich rat- und hilfesuchend an eine alte Freundin
ihres Vaters, die in Hallberg lebte, gewandt, und
schließlich waren die Schwestern hierhergezogen, um
sich eine Existenz zu gründen. Die Ältere hatte
ihre russischen Sprachkenntnisse zu verwerten ge-
sucht, auch feine Handarbeiten für ein Geschäft an-
gefertigt, und hatte es durch unermüdlichen Fleiß
ermöglicht, daß Sonja, die damals kaum Siebzehn-
jährige, ihr Maltalent auf der Kunstgewerbefchule
ausbilden durfte.
Vie fubilällML-vulomobilausstellung im Srand Palais ru Paris. (5. 218)
x. IMS.