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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 20
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0479
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Da8Luchfül*We
fllustnette siumilienrestung
20. «fest. 1908.

Der lfeüalrmgskl.
sioman von fjedlvig Lttin.
lvoNs-ftung und 5chluft.) — (Nachdmck verbol-n.)
^^^8^ines Tages erblühten draußen im Garten
dre ersten Schneeglöckchen, und vom früh-
iingslichten Himmel lachte warmer Son-
nenschein. Und den Schneeglöckchen folgten
die Veilchen, die Himmelsschlüsselchen, bis
sich die Rosenknospen röteten und sehnsuchtsvoll zum
Blühen drängten.
Da kam auch für Inge die Stunde, die ihrem
Warten und Hoffen Erfüllung brachte.
Der Mann, um dessen Freundschaft sie hätte
werben mögen, wie sie ehedem um seine Liebe
geworben, dem sie noch einmal zum letzten Lebe-
wohl die Hand hätte reichen mögen, ein letztes Wort
von ihm hören, das sie als Ruhe und Frieden mit
in ihre Zukunft nahm, war zurückgekehrt.
Professor Lehrmann hatte ihn bereits im Hotel
gesprochen, wo Günter abgestiegen war. Nun wußte
er seiner Frau und Inge gar nicht genug Liebens-
würdiges von ihm zu erzählen. Jellinghaus habe,
um für sich selbst einen Schlußpunkt unter sein
Studium zu setzen, an einer seinem Majorat nahe-
gelegenen Universität sein Staatsexamen gemacht,
das er ganz außerordentlich glücklich bestanden, und
wäre nun hier, um noch einmal seine Studien-
genossen und Professoren zu einer Abschiedsfeier um
sich zu versammeln, ehe er die Herrschaft aus Roten-
fels antrete.
Frau Lehrmann tat interessierte Zwischenfragen
und wandte sich mit ihrem Wort auch an Inge.
Doch Inge schwieg, als ginge die Unterhaltung über
Jellinghaus sie gar nichts an.
Kaum aber war sie ihrer häuslichen Obliegen-
heiten frei und allein mit sich in ihrem Zimmer,
da kam eine fiebernde Unruhe über sie, ein stürmen-
des Freudenempfinden, und ohne Überlegung, ohne
Scheu, ohne Zögern faßte sie einen jähen Entschluß.
Nicht vor anderen wollte sie ihm zum ersten Male
wieder gegenübertreten, nein, ohne Zeugen sollten
die ersten Worte sein, die sie zu ihm sprach — und
wahr sollten sie sein, echt und wahr!
Am Nachmittag hatte sie Besorgungen in der
Stadt zu machen. Es würde nicht auffallen, wenn
sie länger ausblieb. Sie kannte das Hotel, in welchem
Jellinghaus abgestiegen war. Es besaß einen Kon-
zertpark, den jedermann besuchen durfte. Dort
konnte sie sich aufhalten und die Terrasse beobachten,
über die er den Weg nehmen würde, wenn er ein
oder aus ging. Dort mußte sie ihm begegnen. Nicht
einen Augenblick kam ihr das Ungewöhnliche, ja
das Unschickliche ihres Einfalles zum Bewußtsein,
sie empfand ganz einfach, daß der Mensch in ihr,
nicht das Weib den anderen suchen und finden mußte.
So saß sie auf einer Bank im duftenden Flieder-
busch und wartete seiner. Der Park war noch men-
schenleer, das Konzert begann erst gegen Abend.
Von der Terrasse her drang das Geräusch klappernder
Teller zu ihr herab, dort tafelten die Gäste. Jelling-
haus war nicht unter ihnen. Suchend gingen ihre
Äugen von Tisch zu Tisch, von Platz zu Platz. Da —
am Saaleingang erschien seine hohe Gestalt. Er nahm
den Weg über die Terrasse in den Park hinunter.
Inge stand auf, das Blut sauste und brauste ihr
in den Ohren, sie hätte lachen und weinen mögen.
Fast tat sie es auch, als sie ihm dann entgegeneilte.
Günters Fuß stockte, als er sie erblickte. Über
seine Stirn flog jähe Röte, ein unsicherer, erregter
Ausdruck veränderte seine Züge. Er fühlte es: dies
Treffen war kein Zufall, Inge hatte auf ihn gewartet.
Da sprach sie es selbst aus und sah ihm groß und

XX. IS08.

ehrlich in die Augen dabei. „Ich habe Sie Wieder-
sehen wollen, Herr v. Jellinghaus, darum habe ich
hier auf Sie gewartet. Früher" — ein Zaudern
wollte ihr kommen, doch sie kämpfte es tapfer nieder
und senkte die strahlenden Augen nicht — „früher
habe ich so manchmal Ihren Weg gekreuzt, daß ich
mir dachte, ich dürfte es heute wohl auch noch ein-
mal tun."
Er wollte ihr wehren, sie verwirrte ihn. Sie
sah aus wie einst, als die heiße Lebenskraft stets
wie ein heimliches Feuer aus ihr geleuchtet hatte —
und sie war doch eine andere, sprach wie eine andere.
„Fräulein Sondegg —"

Sie ließ ihn nicht weiterreden. „Nein, nein,
sagen Sie nichts, bitte, aber hören Sie mich!"
Schweigend neigte Jellinghaus den Kopf und
machte eine Bewegung, die Inge aufforderte, mit
ihm weiterzuschreiten, tiefer in den Park hinein,
um neugierigen Blicken zu entgehen.
Sie folgte ihm. „Seit Monaten hab' ich auf
dieses Wiedersehen mit Ihnen gewartet, seit ich
daheim war und —" Hier stockte sie, aber nach
einem tiefen Atemzuge fuhr sie ernst und mutig
fort: „Ich habe nun auch alles gelesen, was Sie
damals meiner Mutter schrieben, vorher hatte ich
es nicht getan."

lagdgeschichten. klach einem öemälde von h. Xotschenreiter.
 
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