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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0216
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fllusteiette stsmilienreitung
Y. Üest. 1908.

vep kjeipatsmapkt.
^oman von fjedrvig Lrlin.
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wie schade, das; meine Tochter ge-
U/X> rade heute ausgegaugen ist! Es wird ihr
I//uI sc'hr leid tuu, Sie verfehlt zu haben, Herr
» Baron. Sie plaudert zu gern mit Ihnen."
Günter v. Jellinghaus verbeugte sich
dankend. Er hatte der Frau Posträtin Sondegg
schon mehrmals sein Bedauern darüber ausge-
sprochen, das gnädige Fräulein nicht daheim ge-
troffen zu haben, nun tat er es noch einmal. Dann
machte er Miene, sich zu erheben.
Doch die Hausfrau wehrte lebhaft ab: „Aber Sie
haben ja kaum Platz genommen, Herr Baron!"
Uber sein Gesicht lief ein nervöses Zucken. Dieses
so oft wiederholte „Herr Baron!" Es war, als wenn
die Frau Posträtin einen ganz besonderen Klang
für diese Worte zur Verfügung hätte. Ihre Stimme
liebkoste und betonte sie zu gleicher Zeit. Ihm war
das schon öfter aufgefallen, heut berührte es ihn
geradezu peinlich. Ließ ihn die Enttäuschung über
der Tochter Abwesenheit gereizt gegen die Mutter
sein?
Er zwang sich aber, nochmals ein Gespräch an-
zuknüpfen, fragte nach diesem und jenem und kam
schließlich darauf, sich nach den sommerlichen Reise-
plänen der Damen zu erkundigen.
Die Mutter antwortete voll geschäftigen Eifers.
Dabei beobachteten ihre dunklen, nicht unschönen
Augen mit lauern-
dem Ausdruck ihren
Gast. „Ja, denken
Sie nur, Herr Ba-
ron," begann sie,
„wir werden wahr-
scheinlich gar nicht
reisen diesmal. Inge
will nicht fort von
Hallberg. Wenn ich
bloß wüßte, welcher
Magnet das Kind
hier fesselt!"
Ein ausdrucks-
voller Seufzer und
die Posträtin ver-
stummte.
„Das gnädige
Fräulein wird sich
hier so herrlich ver-
gnügen, daß sie sich
nicht nach Sommer-
frischidyllen sehnt."
Ein langsames,
vielsagendes Kopf-
schütteln verwarf
den Einwurf. „Ach
nein, Herr Baron
— so ist sie nicht!
Sie glauben ja gar
nicht, wieausprucbs-
los sie ist! Ver-
gnügungen allein
könnten sie niemals
wirklich fesseln. Sie
ist überhaupt eine
tiefer angelegte Natur, meine Inge. Wenn
man's ihr auch nicht so anmerkt — sie hat das von
ihrem Vater, Herr Baron. Dem sieht sie auch so
ähnlich! Von ihm hat sie das ganz Helle Haar!
Er stammte vom Morden, ein Holsteiner, Gott hab'
ihn selig."

„Ihr Herr Gemahl ist schon lauge tot, gnädige
Frau?"
Die Postrütin nickte wehmutsvoll. „Inge ist
jetzt dreiundzwanzig Jahre alt, sie war gerade zwölf
geworden, als er starb — am Herzschlag, ganz plötz-
lich. Wir beide, meine Einzige und ich, haben es
tragen müssen und uns umso fester aneinander an-
geschlossen."
Mit raschem, durchdringendem Ausblick forschten
des Mannes Augen in den Zügen der Mutter, als
wollten sie fragen: Ist das wirklich so, habt ihr euch
umso fester aneinander angeschlossen? Seid ihr doch
von derselben Art, wie groß auch der Unterschied
zwischen euch scheine? Laut aber sagte er ruhig,
in höflicher Anteilnahme, wie er zuvor gesprochen:
„Da wird es Ihnen einstmals sehr schwer werden,
Ihre Fräulein Tochter einem Manne zu geben,
gnädige Frau."
Es war, als würde die Posträtin von einer un-
sichtbaren Spiralfeder emporgeschnellt, so daß sie
sich fast vertraulich gegen ihren Besucher neigte.
Dabei strahlte ihr rundes, von leicht ergrautem Haar
umwalltes Gesicht wie eitel Sonnenschein, und ihre
Stimme wurde schmelzend. „Sie meinen, wenn
meine Inge einmal heiratet, Herr Baron? Gott
geb's, daß ich das noch erleben dürste! Welche
Mutter trennte sich nicht gerne von ihrem Kinde in
solch einem Falle! Freilich, ich werde noch lange
warten können bis dahin, denn meine Inge ist sehr
wählerisch. Da darf einer so nicht sein und so nicht.
Brünett zum Beispiel darf er nicht sein, denn sie
mag nur blonde Männer leiden, und einen Voll-
bart darf er nicht haben und groß muß er sein —"

ZchwZliner fjochreitsgesellschast. (8. G7)
Ein lächelnder, bedeutsamer Blick der Mutter
streifte die kraftvolle, hochgewachsene Gestalt ihres
Gastes, dessen blonder Kopf mit den ausdrucksvollen,
Hellen Augen wohl dem Schönheitsideal eines sehr
anspruchsvollen Mädchens genügen konnte.
Er aber siel ihr jetzt nicht in die zögernde Rede,

wie sie erwartet hatte. Er sah zu Boden, einen
sonderbaren, verkniffenen Zug um die Lippen.
War sie noch nicht deutlich genug geworden?
Wie schwerfällig solch ein Mann doch ist! Er ver-
ehrte doch die Inge, er hatte das in den sechs Wochen,
seit man sich auf einem Balle kennen gelernt, deutlich
genug gezeigt, und sein Besuch heute mußte doch
noch einen anderen Zweck gehabt haben, als den,
sich nach dem Befinden der Damen zu erkundigen.
Ein wenig näher noch bog sie den Oberkörper ihm
zu und fragte sanft ermunternd: „Ein bißchen viel
Wünsche — meinen Sie nicht auch, Herr Baron?"
„Soweit sie sich nur auf das Außere eines Mannes
erstrecken, sind die Wünsche einer jungen Dame wohl
leicht zu erfüllen."
Tie Antwort klang kühl und zurückhaltend.
Was hatte er denn nur? Die Postrütin wurde
einen Augenblick verwirrt. Plötzlich glaubte sie
richtig verstanden zu haben und atmete auf.
„Selbstverständlich bleibt das innere Wesen des
Mannes immer die Hauptsache. Das steht natür-
lich meiner Inge allem voran. Sogar dem Reich-
tum, oder einem hochklingenden Namen."
Günter v. Jellinghaus fuhr sich über die Stirn
und atmete tief auf wie einer, dem es eng und un-
behaglich zu Mute zu werden beginnt und der diesem
Zustand nicht entfliehen kann.
Die Posträtin aber achtete nicht auf ihn. Der
Eifer, auf ihr Ziel zuzusteuern, den Schwerfälligen
zur Aussprache zu bringen, machte sie blind für
alles andere, und mit süßlich weichem Stimmenklang
redete sie weiter auf ihn ein: „Sie glauben ja gar
nicht, Herr Baron, wie feinsinnig das Kind veran-
lagt ist, und wie sie
Wert auf Herz und
Gemütbeiden Men-
schen legt! Darin
denkt sie gar nicht
modern. Ohne Über-
hebung, und obwohl
ich als Mutter das
gar nicht sagen
dürfte: sie ist ein
Schatz für den
Mann, den sie ein-
mal bekommt. Da-
bei Hausfrau durch
und durch. Ich
habe dafür gesorgt,
daß sie nicht bloß
in Wissenschaften
und schönen Künsten
gebildet ist, sondern
alles lernt, was zur
Wirtschaftsführung
gehört. Sie kann
alles — ja, ich
glaube, wenn sie
aufs Land hinaus-
käme, sie könnte
sogar Kälber päp-
peln, wenn's sein
müßte."
Jellinghaus sagte
eine höfliche Re-
densart, von der er
selber fühlte, wie leer
und inhaltlos sie
klang. Aber er konnte
nicht anders, cs kam ihm kein warmes Wort auf die
Lippen, und sein Herz hatte doch so warm für
die blonde Inge geschlagen, als er vor einer
knappen halben Stunde dies Haus betreten. Jetzt
aber empfand er nichts als ein drängendes
Heimverlangen nach der weiten, stillen, vornehmen


rx. Ȋs.
 
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