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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 17
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0410
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fllustnette 7amilienreitung

17. ifest. 1Y08.

Den Ifeirgtrmai'kl.
I^oman von Hedwig krli'n.

kottssstung.) -(Nachdruck oerdolsn.

IV
geworden war.

A

Mutter! Das Wort war der Keulenschlag,
der die Tore von Inges Bewußtsein
A sprengte; alles schleuderte ihr das
I Wort entgegen, den Inhalt ihres
18 Lebens, wie es gewesen, und was es

Beide Hände streckte sie plötzlich weit von sich.
„Rührt mich nicht an!" schrie sie, „rührt mich nicht
an, sag' ich euch! Du nicht und du nicht!"
„Ach, Kind, Kind, wen siehst du denn? Sei
doch nur ruhig, deine Mutter ist ja bei dir!"
Die zitternde Frau versuchte den Arm um Inge
zu legen.
„Rühr' mich nicht an! — Du bist keine Mutter!
Du hast mich schlecht geführt!"
Die Posträtin verharrte diesem Ausbruch gegen-
über wie gelähmt, auch Alice versagte zunächst das
Wort, dann aber tat sie das, was ihrer Wesensart
am bequemsten war, sie suchte zu vermitteln, ein-
zulenken: „Aber Inge, was hat dir denn deine arme
Mutter getan? Was kann die dafür, wenn —"
„Laßt mich — du — du auch! Die Fetzen auf
meinem Leibe, du hast sie bezahlt! Du hast die
Ware schmücken helfen, die dazu da war, um zu
Markte geführt zu werden! Nur dazu war ich auf
der Welt für euch, nur dazu! Wie sie brennen, wie
fressendes Feuer!"
Krampfhaft fuhren ihre Finger in das leichte
seidene Gewebe ihrer Bluse, daß es zerriß.
„Aber sie ist ja wahnsinnig! Kind, Inge, be-
sinne dich doch —"
Vorüber an den beiden stürzte Inge. In ihren:
Zimmer schloß sie sich ein, tat ein paar Schritte,
aber vor dem Sofa fiel sie auf die Kuiee, wühlte den
Kopf in die Polster und weinte laut auf, als solle
ihre Seele in Tränenfluten dahinströmen, weinte,
als wolle sie in Tränen Schuld und Qual ertränken,
weinte, als wolle sie sterben in der Flut ihrer Reue.
Es klopfte laut und wiederholt. Er war es, auf
den sie gewartet hatte. Kommen sollte er, das
Kainszeichen wollte sie auf feiner Stirn brennen

sehen.
Der Riegel flog zurück, Frank Ortloff stand vor
ihr. „Es ist furchtbar — es ist furchtbar!" Es war,
als schlugen seine Zähne aufeinander dabei. „Wer
hätte das voraussehen können! Sie muß krank ge-
wesen sein, total verwirrt —"
„Sahst du sie?"
Es blieb still.

„Sahst du sie?" Noch einmal die fordernde,
fürchterliche Frage.
Nein."
„Du hast dir das also erspart?" All seine Wort-
gewandtheit verließ ihn. „Erspart?" stammelte er
mühsam. „Ja, warum soll ich mir das Unabänder-
liche denn noch grauenhafter machen? Wir müssen
es eben tragen und sehen, wie wir damit fertig
werden."

„Wir? Sagtest du so?"
„Wir — natürlich! Wer sonst? Wenn je zwei
Menschen zusammengehörten für Freud und Leid
des Lebens, so sind wir es jetzt."
„Meinst du?"
„Laß das Gefrage," fuhr er sie jetzt an. „Du
bist doch sonst nicht von so unbeweglichen Begriffen!
Wir haben beide unser Teil an der unglückseligen
Geschichte zu tragen. Darum tragen wir's eben
zusammen, dann ist's leichter."
Die Tischplatte, darauf Inge sich stützte, ächzte


lnllhttng. Nach einem Semälde von s. c. LanS.

cooeright iw5 d» p Laos.

XVII N08.
 
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