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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0166
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V^LuchsüffM
Illustnette fgmilienreilung
7. kjest. 1908.

flii-stm 5aja.
koman von krich kdenstein.
(foftsestung.) . . (Nachdruck verboten.)

fünf?ehnte5 Kapitel.
ephine v. Doll saß mit Lori v. Graden in
dem kleinen Erker des Wohnzimmers.
Beide hatten sich mit Näharbeiten be-
schäftigt.
Im Nebenzimmer lag der alte Frei-
herr und schlief. Er hatte sich so ziemlich von den
Folgen des Schlaganfalles erholt, nur eine leichte
Steifheit in den Beinen war zurückgeblieben, und
noch kindischer war er geworden.
Lori v. Graden war unter dem Vorwand ge-
kommen, der Baronin bei der Pflege zu helfen,
und weilte nun schon wochenlang auf Dollenau.
Sie und die Baronin waren einander sehr nahe
gekommen in dieser Zeit. Sephine wollte, daß


Lori zu dem schon gebräuchlichen „Tante" nun auch
das „Du" hinzufügte, und in der letzten Zeit kam
es manchmal vor, daß sie selbst Lori „Töchterchen"
nannte.
Walter, der seit Sylvias Heirat sehr still ge-
worden war, lebte jetzt unter Loris fröhlicher Ka-
meradschaft allmählich wieder auf. Sie ritten zu-
sammen, spielten Abends mit der Baronin Tarock
und verstanden sich immer besser. Lori schwärmte
für die Landwirtschaft, und feit sie Walter nach den
Ställen und Feldern begleitete, in denen sie bald
so gut Bescheid wußte wie er, machte ihm die Öko-
nomie plötzlich wirklich Freude. Während der
Krankheit des alten Freiherrn hatte Lori, um die
„Tante" zu entlasten, sogar die Leitung der Milch-
wirtschaft übernommen, und die Dienstboten flüster-
ten es sich bereits leise zu: Das wird noch die Herrin
auf Dollenau.
Auch Sephine dachte es immer öfter, und darum
hatte sie sich heute entschlossen, offen über mancherlei
mit Lori zu sprechen, das ihr am Herzen lag. Sie
hatte das Mädchen so lieb gewonnen, daß sie auf-

richtig ihr Glück wünschte. Dies aber konnte ihrer
Meinung nach nur seiu, wenn Lori offenen Auges
in die Ehe trat und wußte, daß Walters Herz schon
einmal gesprochen hatte.
Draußen dämmerte es schon ein wenig. Die
Baronin rollte ihre Näharbeit zusammen und seufzte
leicht auf. „So, Kind, nun weißt du alles. Ich
glaube nicht, daß Walter Sylvia heute noch liebt,
aber du sollst wenigstens ganz klar sehen. Es wäre
ja möglich, daß du manchmal den Schatten einer
Erinnerung auf seiner Stirn erblicktest, dann sollst
du wissen, was er bedeutet."
Auch Lori packte ihre Arbeit zusammen. Ihr
frisches Gesichtchen war etwas blaß, und die blonden
Löckchen auf der Stirn zitterten leise. „Ich wußte
es längst, Tante Doll," sagte sie leise. „Besser und
früher, als Walter selbst, denn ich habe ihn ja
so lieb, lange schon! Darum kam ich ja immer so
furchtbar gern nach Dollenau. Aber ich weiß es
auch genau: Sylvia erwiderte seine Liebe nicht.
Deshalb habe ich auch nie aufgehört zu hoffen."
„Und du fürchtest nichts für die Zukunft? Du

Der fayryundertbrunnen in essen a. d. ll. (8. 153)


VII. IU8.
 
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