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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 43.1908

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.60739#0167
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148 — - . .-
traust dir zu, mit diesem Schatten fertig zu wer-
den?"
„Ja, Tante Doll, denn ich liebe ihn, und das
gibt Kraft und Mut! Wenn er traurig ist, will ich
ihn erheitern, wenn er leidet, will ich ihm tragen
helfen. Meinst du nicht, daß dies Pflicht ist in der
Ehe, und daß eine wahre große Liebe sich stark
genug fühlt dazu?"
Die Baronin küßte das junge Mädchen aus die
Stirn. „Du bist ein gutes Kind, Lori!" sagte sie
warm, „Gott gebe, daß du glücklich wirst mit Walter!
— Wie steht ihr denn eigentlich miteinander? Hat
sich Walter schon irgendwie erklärt?"
„Ja und nein. Du kennst ihn ja, Tante: es fällt
ihm so schwer, einen Entschluß zu fassen! Wenn
wir beisammen sind, dann lese ich es wohl in seinen
Augen, daß er mich gern hat, und manchmal ent-
schlüpft ihm auch ein Wort darüber. Er möchte,
daß ich immer hier bliebe, er kann sich das Wirt-
schaften auf Dollenau ohne mich nicht mehr denken,
aber dann kommen wieder Stunden, wo er grübelt
und traurig ist. Dann denkt er an Sylvia — das
fühle ich. Aber ich fühle auch, daß meine Liebe
für ihn ein Talisman ist gegen diese Erinnerungen,
und das macht mich wieder froh und glücklich. Du
wirst schon sehen, daß noch alles gut werden wird!
Schließlich ist die Hauptsache, daß Sylvia ihn nie
liebte und nun für ihn ganz verloren ist."
Die Baronin dachte eine Weile nach. „Hast du
nicht gesagt, daß heute ein Brief von Sylvia an
ihn kam?"
„Ja — ein schrecklich dicker noch dazu. Ich legte
ihn in sein Zimmer, damit er ihn gleich findet,
wenn er von Moorbach zurückkommt."
„Was sie ihm nur zu schreiben hat?" sagte die
Baronin kopfschüttelnd. „Sonst schrieb sie doch
immer an mich? Überhaupt Sylvia! Ich kann
dir gar nicht sagen, wie ich mich um sie sorge! Es
ist etwas in ihren Briefen, das mich gar nicht zur
Ruhe kommen läßt. Sie schreibt so vielerlei und
doch von sich selbst so gut wie nichts!"
„Meinst du denn, daß sie nicht glücklich ist,
Tante Doll? Sylvia hat Riedberg doch aus Liebe
geheiratet!"
„Ja, ja — gewiß," antwortete die Baronin
hastig, „aber weißt du, Kind, die Ehe ist doch immer
eine ernste, schwere Sache, und es gefällt mir gar
nicht —" sie brach ab und starrte vor sich hin.
Draußen auf der Treppe klang ein eiliger Schritt.
„Walter!" rief Lori aufspringend, während ein
freudiges Rot über ihr Gesicht glitt.
Auch die Baronin stand auf. „Laß uns Licht
machen und ans Abendbrot denken, Kind. Er wird
hungrig sein von dem langen Ritt, und in Moor-
bach wird er Mittag auch nichts Ordentliches be-
kommen haben."
Sie klingelte. Während das Stubenmädchen
dann den Tisch deckte, ging die Baronin ins Neben-
zimmer, um ihren Gatten zu wecken. Lori trat ans
Fenster und blickte hinaus. Sie war so glücklich, daß
er wieder da war, nachdem er einen ganzen Tag
lang auf dem Pachtgut Moorbach verbracht hatte!
Und wie jeden Tag schwellte ein erwartungsvolles
Glücksgefühl ihr Herz. —
Eine Viertelstunde später betrat Walter das
Zimmer, und man setzte sich bald darauf zu Tisch.
Loris Freude war gleich bei Walters Eintritt
jäh verflogen. Ein einziger Blick hatte genügt, um
ihr zu zeigen, daß er heute zerstreuter war als je.
Dunkle Schatten lagen auf seiner Stirn. Irgend
etwas beschäftigte ihn innerlich unausgesetzt.
Als dann später der Freiherr wieder zu Bett
gebracht worden war, sagte Walter plötzlich: „Sei
so gut, Großmama, und lasse meinen Kosferherunter-
schaffen: ich muß morgen früh nach Riedenau zu
Rainer und Sylvia."
Die Baronin meinte nicht recht gehört zu haben.
Ein erschreckter Blick flog zu Lori hinüber. „Zu Rai-
ner und Sylvia?" wiederholte sie mechanisch. „Was
willst du denn dort? Haben sie dich eingeladen?"
„Nein. Aber ich muß hin und zwar sofort,
ehe —" er vollendete nicht, sein Blick nahm wieder
einen starren Ausdruck an.
Lori saß da, ohne sich zu rühren. Ein dunkler
Schleier hatte sich ihr plötzlich über alle Dinge
ringsum gebreitet.
Die Baronin klingelte und gab den Auftrag,
einen Koffer vom Boden herab in ihres Enkels
Zimmer schaffen zu lassen. Als das Mädchen ge-
gangen war, wandte sie sich wieder an Walter:
„Willst du denn lange bleiben?"
„Ich weiß es selbst nicht. Aber ich denke wohl,
daß ich einige Zeit brauchen werde, um —" Wieder
verstummte er.
Da sagte Sephine Doll ernst: „Lieber Walter,
hast du überlegt, was du tun willst? Es gibt Ge-
fahren, denen man lieber aus dem Wege gehen
sollte, Dinge, in die man sich besser nicht einmengt."

- V35 Luch fül- Mle . . _
„Ich muß aber, Großniama. Ich wäre nie
Sylvias Freund gewesen, wenn ich sie jetzt im Stich
ließe."
Die Baronin erschrak. „Mein Gott, hat es etwas
gegeben auf Riedenau? Weshalb willst du denn
eigentlich hin?"
Walter zögerte einen Moment, dann antwortete
er entschlossen: „Verzeih, wenn ich dir darauf die
Antwort schuldig bleibe, aber es handelt sich nicht
um nreine eigenen Angelegenheiten. Glaube mir
nur: Sylvia braucht mich jetzt."
Er sah die Unruhe, welche sich in dem Gesicht
der alten Dame spiegelte, aber er konnte ihr nicht
helfen. Ihr sagen: Sylvia will sich scheiden lassen
und deshalb schon in den nächsten Tagen nach
Mahrenberg zurück, ich aber will hin, um selber zu
sehen, wie es steht, und sie vielleicht noch rechtzeitig
vor einem übereilten Schritt bewahren — das hieße
Sylvias Vertrauen täuschen.
Dann fiel sein Blick auf Loris blasses Gesicht,
und das Scheiden kam ihm plötzlich schwer an. Wie
schön waren die letzten Wochen gewesen! Würde
er Lori noch in Dollenau finden, wenn er zurück-
kam? Er wußte, daß ihre Abreise für die nächste
Woche bestimmt war ...
Warm drückte er ihr die Hand. „Nicht wahr,
Sie bleiben bei Großmama?" fragte er.
Lori fühlte: in diesem Augenblick dachte er nicht
an Sylvia, sondern nur an sie. Trotzdem antwortete
sie weniger warm als sonst: „Bis nächste Woche.
Sie wissen ja, daß Mama mich dann in Dobrinka
erwartet, wo Marys Verlobung mit meinem
Vetter Jaromir gefeiert werden soll."
„Und wenn ich bis dahin nicht zurück bin, Kom-
tesse?"
Sie zuckte die Achseln. „Dann sehen wir uns
vermutlich vor dem Herbst nicht wieder."
„Das wäre mir aber sehr leid!" Er zögerte,
ihre Hand loszulassen, dann setzte er mit einem
plötzlichen Entschluß hinzu: „Ich werde mich be-
eilen, und nicht wahr, Sie — Sie werden warten?"
Bildete sie es sich ein, oder lag wirklich ein be-
sonderer Ton in dieser Bitte? Jedenfalls schoß
ihr das Blut in die Wangen, und sie antwortete
leise: „Ja. Aber lassen Sie mich nicht zu lange
warten!"
Etwas erleichtert verließ Walter v. Sternberg
das Wohnzimmer, um sein Gepäck in Ordnung zu
bringen.
Zur selben Stunde saß in Mahrenberg Sylvias
Großmutter in ihrem Lehnstuhl und las den Brief
ihrer Enkelin, worin diese den Wunsch aussprach,
nach Mahrenberg zurückzukehren.
Monika räumte eben die Reste des Abendbrotes
fort und wollte das Zimmer verlassen, als ein Ruf
der alten Dame sie zurückhielt.
„Monika — sie will wieder zurück! Was sagst
du dazu?"
Monika sagte zunächst gar nichts, sondern riß
nur die Augen groß auf. Endlich stieß sie fast zornig
heraus: „Na, das kann ja nett werden! Da dürfen
Euer Gnaden nur tief in den Beutel greifen! Mit
Butterbrot wird die jetzt nicht mehr zu füttern sein,
wo sie die vollen Schüsseln gewöhnt ist. Kommt
der Graf etwa auch?"
„Gott bewahre. Von ihm schreibt sie gar nichts.
Nur daß sie Heimweh hätte und ihr die Luft in
Riedenau nicht bekomme."
Monika lachte spöttisch auf und sagte nichts als:
„Aha!"
Sie durfte sich das erlauben, denn sie diente der
Baronin vierzig Jahre, und da sie mit den Jahren
die Gewohnheiten ihrer Herrin angenommen hatte,
ja diese an Geiz und Sparsamkeit sogar noch über-
traf, so galt sie außerordentlich viel bei Sylvias
Großmutter.
Die alte Dame zupfte aufgeregt an ihren weißen
Löckchen herum und blickte dabei ihr Faktotum
unsicher an. „Was meinst du denn eigentlich,
Monika?"
„Dasselbe, was Euer Gnaden meinen. Genau
dasselbe! Daß da was anderes dahinter steckt als
Heimweh, daß wir die Gräfin überhaupt nicht mehr
los werden, wenn sie erst einmal da ist!"
Die Baronin geriet immer mehr in Aufregung.
„Es wäre ja undenkbar! Sie sollte Gott alle Tage
auf den Knieen danken! Peneda und die Gräfin
Graden haben mir geschildert, wie es auf Riedenau
ist — alles großartig, fabelhaft! Ich bitte dich,
wenn ihr Rainer als Hochzeitsgeschenk ein Gut
schenkt wie Föhrenhain! Dienerschaft, Equipagen,
Reitpferde, Toiletten — alles fürstlich! Mir
schwindelt, wenn ich bloß denke, daß Sylvia so
töricht sein könnte. Nein, nein, Monika —"
„Unsere Baronesse ist's im stände! Denken
Euer Gnaden nur, was die für einen Kopf hatte!
Biegen? Fügen? Gott bewahre — immer bloß

— liest 7
durch die Wand, wenn sie sich was einbildete.
Da braucht's nur einen Streit gegeben zu haben —
so was kommt doch überall vor — und sie will nun
die ganze Herrlichkeit mir nichts dir nichts hinwerfen."
„Aber was soll ich denn tun? Ich kann ihr
Mahrenberg doch nicht zusperren?"
Monika dachte einen Augenblick nach. „Euer
Gnaden schreiben ihr einfach, daß Sie jetzt unmöglich
Besuch brauchen könnten, weil wir die Zimmer
malen lassen müßten. Nachher ist großes Reine-
machen — dabei vergehen ein paar Wochen, und
alles ist gut."
„Malen lassen?" Die Baronin war entsetzt.
„Woher denn? Fällt mir doch gar nicht ein!"
„Natürlich nicht. Für uns ist's ja auch lange
noch gut genug."
„Und wenn sie dann kommt und sieht, daß —"
„Sie kommt ja nicht! In vier Wochen ist der
Raptus längst vorüber, und sie ist wieder froh, daß
sie in Riedenau bleiben kann. Euer Gnaden müssen
es halt diplomatisch machen!"
Das Wort „diplomatisch" weckte in der alten
Dame die Erinnerung, daß mehrere Mahrenbergs
sich als Diplomaten erfolgreich betätigt hatten,
zuletzt ihr eigener Mann, und sie zweifelte nicht,
daß auch sie, sobald es darauf ankam, Geschick dafür
bekunden würde. Sie beschloß denn auch, sogleich
ans Werk zu gehen und lieber einen Teil ihrer
Nachtruhe zu opfern, als mit dem Bewußtsein dieser
drohenden Gefahr zu Bett zu gehen.
In wohlgesetzten Worten teilte sie ihrer Enkelin
mit, daß leider momentan in Mahrenberg kein
Platz für sie sei, daß sie sich aber natürlich späterhin,
sobald nur alles wieder in Ordnung sei, sehr freuen
würde, Sylvia bei sich zu sehen.
Es wurde wirklich ein ganz diplomatisches
Schriftstück, sozusagen amtlich bekräftigt durch das
große Mahrenberger Wappen, welches in rotem
Siegellack den Umschlag feierlich verschloß.
8echietMe5 Kapitel.-- - ——
Der Regen im Riedenauer Tal hielt einige Tage
an und bannte die Bewohner ins Haus. Rainer
hatte sich allen Ernstes an sein Reisewerk gemacht
und schrieb eifrig. Er mußte etwas haben, das ihn
geistig beschäftigte und in Atem hielt. Denn sowie
er sich Ruhe gönnte, überfielen ihn Gedanken
quälendster Art, Gedanken, die er fürchtete, mit
welchen er nicht fertig werden konnte.
Nach Bärenegg war er nicht mehr geritten.
Wohl hatte ihm die Fürstin in einein Billett mit-
geteilt, daß sie wieder eine neue Köchin habe und
ihn bestimmt in den nächsten Tagen erwarte, aber
er ließ die Einladung unberücksichtigt.
Da er sein Zimmer nur zu den Mahlzeiten
verließ und sich mit wahrer Wut in die Arbeit stürzte,
begann sein an Lust und Bewegung gewöhnter
Körper unter der ungewohnten Lebensweise zu
leiden, er wurde blaß, verlor den Appetit und warf
sich Nachts stundenlang schlaflos auf seinem Lager
herum.
Bon seinem früheren fröhlichen, sicheren Wesen
war kaum mehr eine Spur vorhanden. Scheu und
gedrückt schlich er herum. Wenn er an Laja dachte,
kam er sich wie ein Wortbrüchiger vor, und Sylvias
Anblick verursachte ihm eine schmerzlich süße Qual.
Von Tag zu Tag gingen ihm mehr die Augen
auf über das, was sie seinem Hause war. Er sah sie
scheinbar ruhig und unbekümmert neben sich schalten,
sah, wie ihr die Herzen der Untergebenen zuflogen,
wie alles unter ihren Händen einen anderen,
schöneren Anstrich bekam.
Es war, als wäre seine Mutter, die er abgöttisch
geliebt hatte, wieder auferstanden.
Das Bild der Fürstin Laja schrumpfte in seinem
Innern von Tag zu Tag mehr zusammen. Was
hatte er denn nur eigentlich an ihr so bezaubernd
gefunden? Ihr Geplauder? Tas kam ihm plötzlich
so unbedeutend, so gemacht vor. Ihre Eleganz?
Sie war eine Modepuppe — Sylvia aber besaß
durchaus eigenen Geschmack. Oder ihre Schönheit?
Das rote Haar, die dunklen Augen? Sylvia war
tausendmal schöner! Und sie war gut dabei, was
schon mehr wog als alles andere. Nie hatte er sie
irgend jemand ein scharfes Wort sagen hören, nie
befahl sie. Mit der gütigen Sanftmut eines Blickes,
eines freundlichen Wortes lenkte sie ihre Leute —
genau so wie seine Mutter es getan hatte. Lajas
hochfahrendes, rücksichtsloses Wesen ihren Unter-
gebenen gegenüber hatte Rainer immer verletzt.
Nur in einem war Sylvia anders als seine
Mutter: gegen ihn selbst. Rainers Eltern hatten
sich unendlich lieb gehabt und in glücklichster Ehe
gelebt. Er erinnerte sich, wie seiner Mutter Augen
aufgeleuchtet hatten, so oft sein Vater ins Zimmer
trat. Sylvias Blick aber verdunkelte sich, wenn er
in ihre Nähe kam. Gegen ihn war sie nicht gütig.
So lange er bei Tisch neben ihr saß, war sie stumm.
 
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