^22- - - " - buch fül büe
i^est 14
Der k)eii'gl5mai'kt.
fsoman von Hedwig Lilin.
(forlsetiung.) — lNschbrurk verboten.)
rank Ortloff betrachtete Inge mit einem
Lächeln. Er hatte sie nicht erst jetzt erblickt.
Von ihr ungesehen hatte er sie vom ersten
Augenblick ihres Erscheinens an beobach-
tet. Wie sie die Mutter sich hübsch aus
dem Wege räumte, wie sie sich Alice abwimmelte,
wie sie lachte und kokettierte und dabei immer heim-
lich die Blicke schweifen ließ — das alles hatte er
gesehen. Und auch ihre Schönheit sah er, den fast
sinnverwirrenden Reiz, der von ihr ausging, und
eine boshafte Freude prickelte in ihm: sie sollte ihres
Sieges nicht allzu sicher werden, sollte nicht trium-
phieren, daß sie sich in Frank Ortloffs gutem Ge-
dächtnis nicht geirrt. Den Walzer jetzt, den sollte
sie verlieren, sich zur Übung in Bescheidenheit, ihm
zur Augenweide.
Der schwere Wandteppich, hinter dem er stand,
verbarg ihn gut, nur seine Augen spähten hervor.
Plötzlich zuckte aus ihnen ein Blitz. Inges Blick
hatte sich in dem seinen gefangen, und Inge lächelte
das triumphierende Lächeln, das er ihr nicht hatte
gönnen wollen.
Nun trat er hinter seinem Versteck hervor, eilte
hin zu ihr, die schwarze Mephistogestalt in dem rot-
gefütterten Mantel, und streckte ihr den Arm ent-
gegen, wortlos, nur mit dem drängenden Gefühl,
das ihn plötzlich erfaßt hatte, sie an sich zu ziehen.
Doch Inge schüttelte den Kopf. „Es lohnt kaum
noch, der Tanz ist gleich zu Ende."
„Mir lohnt es noch, und was Sie so treulich für
mich aufbewahrt, will ich nun auch haben!"
Sie umschlingend, zog er sie zwischen den
Pflanzen hervor und zwang sie mit sich davon.
Einen Augenblick war ihr feiner Körper wie erstarrt,
als sie durch die feinen Hüllen fühlte, wie er so fast
brutal sie hielt. Dann lösten ihre Füße sich vom
Boden, und sie tanzte mit ihm. Und während erste
noch fester an sich zog, und seine Blicke auf sie her-
niedergingen, begann er raunend auf sie einzureden.
„Schöne Undine, wonach haben Sie vorhin so
sehnsüchtig ausgeschaut?"
Wieder streckte sich ihre schlanke Gestalt, drängte
von der seinen zurück. „Undinen sind seelenlose
Wesen und kennen keine Sehnsucht."
„So hätte dieser Körper also keine Seele, hätte
nie eine gehabt?"
„Es war einmal — aber es ist lange her."
„Wie lange? So lange, als im Juni einst die
roten Rosen blühten?"
Sie lachte. „Viel länger noch. Ich kann mich
nicht mehr darauf besinnen. Und unser Tanz ist
aus."
Die Musik war verstummt, und Inge hatte sich
Ortloffs Arm entwunden. Doch er bemächtigte sich
des ihren wieder, führte sie zu der Pflanzengruppe
zurück, wo sie zuvor gestanden, und flüsterte mit
einem heißen Klang: „Der eine Tanz ist aus, doch
es soll nicht unser letzter sein. Sie haben mir den
Geschmack daran beigebracht, Sie im Arm zu
halten."
Sie verstand ihn. Er hatte Geschmack an ihr
gefunden, doch Inge Sondegg zu seiner Frau zu
machen, daran dachte er nicht. Ihre zarten Schul-
tern bogen sich zurück, er sah, wie die feine Haut
unter einem tiefen Atemzug sich spannte, wie das
rote Blut in ihren Schläfen schimmerte, und ihre
Lippen dunkler glühten, wie brennende Granaten.
Die brennenden Lippen ihr küssen! Das jähe
Verlangen sprang wie Feuer auf den seinen empor.
Wie der Blitz hatte er Inge hinter die Pflanzen-
gruppe gezogen, bog ihren Kopf in den Nacken und
neigte sein Gesicht dicht über das ihre.
Sie stieß ihn nicht zurück, aber ihre Gestalt
schnellte auf vor ihm wie ein von der Sehne gesprun-
gener Pfeil, und in ihren Augen glühten zwei wilde
Flammen.
Das stumme Wehren machte ihn nur begehr-
licher. Noch einmal beugte er sich über sie. „Inge
— wer wird so geizen!"
„Ich geize nicht. Ich spare nur für meinen
künstigen Mann."
Unter seinem Arm war sie weggeschlüpft, drängte
zwischen den Pflanzen hindurch und tauchte in das
Gewühl des Ballsaales hinein.
Langsam trat Frank Ortloff wieder hervor. Ab-
geblitzt! Klug war sie, die blonde Inge, wußte gut,
was den Appetit am besten reizte, und hatte es ihm
gleich deutlich herausgesagt. .
Und dieser Künftige — Frank Ortloff vielleicht.
Er lachte kurz hinaus. War die blonde Inge heut
wieder auf den Gimpelfang gezogen? Es war ;a
heut wieder ein Fest — genau wie damals im Ium.
Gedachte sie nun ihm zu, wofür ein anderer sich
bedankt? Ein häßlicher Zug verzerrte sein Gesicht,
als habe er an einer schmackhaften Frucht plötzlich eine
widerwärtige Stelle entdeckt, und seine Hand machte
eine Bewegung, als werfe er etwas von sich.
Doch wissen hätte er wohl mögen, was sich da-
mals in Wahrheit zwischen Jellinghaus und Inge
Sondegg abgespielt hatte.
Langsam ging er wieder in den Saal hinein —
der Richtung nach, in der sie seinem Blick entschwun-
den war. Die Musik hatte wieder zu spielen be-
gonnen, die Paare drehten sich. Ortloff trat an
den Ring heran, der die für den Tanz freigelassene
Saalmitte umschloß. Dort schwebte Inge. Ihre
schillernden Schleier flatterten, und ihre scheinbar
nackten Füße berührten kaum den Boden. Grazie
war in jeder ihrer Bewegungen.
Als der Tanz zu Ende war, und Inge ihren Part-
ner verabschiedet hatte, trat Ortloff wieder an sie
heran.
„Wollen wir nachher die große Pause mitein-
ander totzuschlagen suchen?"
So formte er seine Bitte, sie zu Tisch führen zu
dürfen.
Fest sah sie ihn an. „Alices Mann hat für
Mama und mich schon Plätze belegt."
Er wirbelte den Schnurrbart auf. Das hieß,
sie bestand auf ihrem Schein, ernsthaft genommen
zu werden, schien charaktervoll in dem, was sie für
ihren Künftigen sparen wollte. So mußte man
doch wohl zu einer anderen Tonart überspringen.
Er schlug die Hacken zusammen. „Aber meines
Armes zu einer Promenade um den Saal bedienen
Sie sich vielleicht?"
Sie nickte leichthin, legte die Spitzen ihrer Finger
auf seinen dargebotenen Arm. Der ihre schimmerte
gegen seinen schwarzen Mantel wie durchsichtiger
Alabaster, und wie zwischen ihren Schultern die
weiche Nackenlinie sich in dem flimmerigen Geriesel
des Gewandes verlor, das war köstlich wie bei einer-
griechischen Statue.
Inge fühlte die Blicke, die sie maßen, sie ab-
schätzten. Und sie hätte ihre Schleierhüllen um sich
reißen und davonstürzen mögen, in Scham und
Dunkelheit sich verbergen, daß sie so ohne Liebe sich
verkaufen wollte. Doch sie gedachte auch der Stunde,
wo sie sich in Scham verborgen, weil einer, den sie
hätte lieben können, ihr die Schande angetan, sie
zu verschmähen.
„Haben Sie mich nun als unverbesserlichen Sün-
der endgültig aus Ihrer himmlischen Gnade ge-
strichen?"
„Himmlische Gnade ist ein unerschöpflicher Born.
Undinen aber haben wenig mit dem Himmel zu
schaffen."
Gut aus der Schlinge wußte sie sich zu ziehen,
und amüsante Worte wechseln konnte man mit ihr,
wie sonst mit keiner. Und schön dünkte sie ihm
heute, wie er bisher noch keine gesehen. Wieder
gingen seine Blicke an ihr hin, während er sie aus dem
Getümmel des überfüllten Saales zu den noch
leeren Nebenräumen hinüberführte.
Sie ließ sich von ihn: leiten, scheinbar ohne es im
lebhaften Plaudern zu merken, daß sie den Saal
verließen. Vor den Speiseräumen, wo auf den ge-
deckten, blumengeschmückten Tischen einladend die
Gläser blitzten, hielt sie den Schritt an und atmete
tief. „Ah — hier ist die Luft frisch!" sagte sie.
„Dort drinnen wird sie noch frischer sein," ent-
gegnete Ortloff und zog sie mit sich zu einem der
kleinen Seitenzimmer hinüber. Ein rascher Blick
belehrte ihn, daß außer ihnen beiden sonst niemand
drinnen war.
Inge antwortete nicht. Sie hatte ihren Arm
unter dem seinen hervorgezogen und legte die Hand
an die Stirn, dahinter die Gedanken brannten, das
Wollen, zum Ziele zu gelangen. Ihre Augen schie-
nen starr geradeaus gerichtet und nahmen doch mit
Blitzesschnelle jede Einzelheit des kleinen, eleganten
Kabinetts in sich auf.
Hier würde es sein — hier sollte es sein!
Er wandte den Blick nicht von ihr, wußte, was in
ihr vorging, wofür sie wie zum Kampf sich vorberei-
tete, und lachend hielt er plötzlich feinen Mantel
um sie geschlungen.
„Endlich allein! Nun sind Sie in des Teufels
Macht gegeben. Fürchten Sie sich nicht, blonde
Inge?".
„Nein, ich fürchte mich nicht." Ganz ruhig sagte
sie es und streifte langsam seinen Mantel von sich ab.
Als die roten Falten wieder an ihm herab-
schlugen, war es, als ob Feuer ihn durchriesele.
Fest zog er den Mantel um sich zusammen, und
auf seiner schwarzen Kappe nickte die rote Hahnen-
feder, wie er den Kopf in den Nacken warf. „Selbst
vor dem Teufel fürchten Sie sich nicht?"
„Nein, denn Sie sind kein Teufel."
„Nicht einmal das? Was bin ich dann?"
„Nur ein Mensch mit einem kalten Herzen."
Es gab ihm fast einen Riß, wie sie es sagte, so
sicher, so bestimmt. Um seine Lippen höhnte ein
Lächeln. „Was wissen Sie denn bis jetzt von
meinem Herzen, schöne Inge? Was wissen Sie
von Männerherzen überhaupt?"
Sie schwieg, sah ihn nur ruhig an.
Er neigte sich zu ihr, auf seinem Kopf die Hahnen-
feder küßte die Wasserrose über ihrer Stirn. „Ich
wäre wohl neugierig, das zu wissen. Und möchte
auch noch anderes wissen, zum Beispiel von dem,
was sich zugetragen, als Sie sich das Haar mit roten
Rosen bekränzt hatten. Wenn ich Sie jetzt danach
fragte?"
Sie hielt sich in eiserner Gewalt. Kein noch so
leiser Farbenwechsel ging unter seinem lauernden
Blick, seinem viel erfahrenen Lächeln über ihre Züge.
Ihre Augen waren fest und stolz auf ihn gerichtet.
„Fragen Sie. Ich habe keine Antwort zu scheuen."
„Wirklich keine? Und der bewußte Jemand
hätte sich das bewußte Loch in den Schädel nicht um
Sie verdient gehabt?"
Inge lächelte. „Es wäre schade um das Pulver-
gewesen. Wünschen Sie noch mehr zu wissen?"
Noch lauernder sah Frank Ortloff sie an. Was
sollte er ihr glauben? Wäre sie es gewesen, die
dem anderen den Laufpaß gegeben? Es sollte nicht
zum besten um ihn stehen. Hatte die kluge Inge
davon rechtzeitig Wind gekriegt? Wie sie lächelte!
Ein tollmachendes Lächeln! Wozu zerbrach er sich
den Kopf darüber? Mochte gewesen sein, was da
wollte, ihrer Schönheit hatte es jedenfalls keineir
Abbruch getan. „Sie haben recht — viel Wissen
macht Kopfschmerzen, und wer viel fragt, wird dar-
um noch nicht immer recht berichtet."
„Und doch möchte auch ich jetzt eine Frage an
Sie richten," sagte Inge. Ihre Lippen lächelten
noch, aber in chre Augen kam fieberndes Warten,
was seine Antwort sein werde, die Antwort, die
über diese Stunde, über ihr Leben entschied.
Sein Spötterblick schien in sie hineinzudringen,
als er sagte: „Eine Frage ist der anderen wert. Was
also gelüstet Sie zu wissen?"
„Wer die ist, mit der ich Sie gestern und schon
früher zusammen sah — das möchte ich wissen."
Frank Ortloff antwortete nicht sogleich und doch
hatte ihre Frage ihn nicht überrascht, er hatte sie
erwartet. Und während er mit einem kalten Flim-
mern in den Augen Inge anblickte, sah er Sonja
vor sich, die kleine Sonja, die mit ihrer vielen Liebe
ihm zum Überdruß geworden. Die andere zwischen
sich und sie schieben! Der Gedanke kam ihm wieder,
und das heimlich erregte Warten in Inges Blick
bereitete ihm ein boshaftes Vergnügen. Langsam
sagte er: „Wer das war? Eine Schönheit, wie Sie
vielleicht bemerkt haben."
Ihre Augen brannten dunkel. „Was sie Ihnen
ist, will ich wissen."
„Was sie mir ist?" Er hob die Arme, daß der
schwarze Mantel mit seinem flammenfarbnen Futter
sich ausbreitete wie ein Riesenfittich. „Eine Erinne-
rung an schöne Stunden."
„Sonst nichts?"
„Ist das nicht genug?"
„Und sonst nichts?" fragte sic noch einmal.
„Sagen Sie mir die Wahrheit!"
Dicht bog er sich ihr zu, daß sein Gesicht fast das
ihre streifte. „Wer wird so neugierig sein, schöne
Inge. Lassen Sie sich an meiner Antwort genügen,
wie ich mir an der Ihren genügen ließ. Und was
mein kaltes Herz betrifft — soll ich Sie da eines
anderen belehren, Inge?"
Das Blut brauste ihr zu den Schläfen empor,
sekundenlang schloß sie die Lider, dann schlug sie
voll die Augen zu Frank Ortloff auf. „Wie meinen
Sie das?"
Wie er es meinte? Nicht so, wie sie es sich von
ihm erzwingen wollte. Sein Lächeln gab ihr die
Antwort. Sie aber hielt die Augen unentwegt auf
ihn gerichtet, die wundervollen Augen, vielleicht das
schönste an aller ihrer lockenden Schönheit.
Inge fühlte, wie der Augenblick des Kaufes nahte,
Ivie die Wage, die die Ware abwog, hin und her
schwankte. Sie wurde ganz blaß, nur ihre Lippen
glühten wie irn Fieberbrand.
Da hatte Frank Ortloff ihr die brennenden Lip-
pen mit seinem Kusse fast zerpreßt. „Wenn's denn
wirklich nur dem künftigen Gemahl vergönnt ist,
so will ich in Gottes Namen der Glückliche sein!"
Und das war seine Werbung! Und dieser Wer-
bung gab sie sich hin!
Ein Zittern ging durch sie hin, ein stummes Auf-
schluchzen, das ihm für das heimliche Jauchzen er-
reichten Wünschens galt.
Noch einmal küßte er sie. „Ein gewagtes Spiel
bleibt's immer, aber wir wollen das Spiel versuchen.
Mehr als verlieren kann man nicht. Zuweilen heißt's
auch dabei: wer verliert, gewinnt. Und die Verla-
i^est 14
Der k)eii'gl5mai'kt.
fsoman von Hedwig Lilin.
(forlsetiung.) — lNschbrurk verboten.)
rank Ortloff betrachtete Inge mit einem
Lächeln. Er hatte sie nicht erst jetzt erblickt.
Von ihr ungesehen hatte er sie vom ersten
Augenblick ihres Erscheinens an beobach-
tet. Wie sie die Mutter sich hübsch aus
dem Wege räumte, wie sie sich Alice abwimmelte,
wie sie lachte und kokettierte und dabei immer heim-
lich die Blicke schweifen ließ — das alles hatte er
gesehen. Und auch ihre Schönheit sah er, den fast
sinnverwirrenden Reiz, der von ihr ausging, und
eine boshafte Freude prickelte in ihm: sie sollte ihres
Sieges nicht allzu sicher werden, sollte nicht trium-
phieren, daß sie sich in Frank Ortloffs gutem Ge-
dächtnis nicht geirrt. Den Walzer jetzt, den sollte
sie verlieren, sich zur Übung in Bescheidenheit, ihm
zur Augenweide.
Der schwere Wandteppich, hinter dem er stand,
verbarg ihn gut, nur seine Augen spähten hervor.
Plötzlich zuckte aus ihnen ein Blitz. Inges Blick
hatte sich in dem seinen gefangen, und Inge lächelte
das triumphierende Lächeln, das er ihr nicht hatte
gönnen wollen.
Nun trat er hinter seinem Versteck hervor, eilte
hin zu ihr, die schwarze Mephistogestalt in dem rot-
gefütterten Mantel, und streckte ihr den Arm ent-
gegen, wortlos, nur mit dem drängenden Gefühl,
das ihn plötzlich erfaßt hatte, sie an sich zu ziehen.
Doch Inge schüttelte den Kopf. „Es lohnt kaum
noch, der Tanz ist gleich zu Ende."
„Mir lohnt es noch, und was Sie so treulich für
mich aufbewahrt, will ich nun auch haben!"
Sie umschlingend, zog er sie zwischen den
Pflanzen hervor und zwang sie mit sich davon.
Einen Augenblick war ihr feiner Körper wie erstarrt,
als sie durch die feinen Hüllen fühlte, wie er so fast
brutal sie hielt. Dann lösten ihre Füße sich vom
Boden, und sie tanzte mit ihm. Und während erste
noch fester an sich zog, und seine Blicke auf sie her-
niedergingen, begann er raunend auf sie einzureden.
„Schöne Undine, wonach haben Sie vorhin so
sehnsüchtig ausgeschaut?"
Wieder streckte sich ihre schlanke Gestalt, drängte
von der seinen zurück. „Undinen sind seelenlose
Wesen und kennen keine Sehnsucht."
„So hätte dieser Körper also keine Seele, hätte
nie eine gehabt?"
„Es war einmal — aber es ist lange her."
„Wie lange? So lange, als im Juni einst die
roten Rosen blühten?"
Sie lachte. „Viel länger noch. Ich kann mich
nicht mehr darauf besinnen. Und unser Tanz ist
aus."
Die Musik war verstummt, und Inge hatte sich
Ortloffs Arm entwunden. Doch er bemächtigte sich
des ihren wieder, führte sie zu der Pflanzengruppe
zurück, wo sie zuvor gestanden, und flüsterte mit
einem heißen Klang: „Der eine Tanz ist aus, doch
es soll nicht unser letzter sein. Sie haben mir den
Geschmack daran beigebracht, Sie im Arm zu
halten."
Sie verstand ihn. Er hatte Geschmack an ihr
gefunden, doch Inge Sondegg zu seiner Frau zu
machen, daran dachte er nicht. Ihre zarten Schul-
tern bogen sich zurück, er sah, wie die feine Haut
unter einem tiefen Atemzug sich spannte, wie das
rote Blut in ihren Schläfen schimmerte, und ihre
Lippen dunkler glühten, wie brennende Granaten.
Die brennenden Lippen ihr küssen! Das jähe
Verlangen sprang wie Feuer auf den seinen empor.
Wie der Blitz hatte er Inge hinter die Pflanzen-
gruppe gezogen, bog ihren Kopf in den Nacken und
neigte sein Gesicht dicht über das ihre.
Sie stieß ihn nicht zurück, aber ihre Gestalt
schnellte auf vor ihm wie ein von der Sehne gesprun-
gener Pfeil, und in ihren Augen glühten zwei wilde
Flammen.
Das stumme Wehren machte ihn nur begehr-
licher. Noch einmal beugte er sich über sie. „Inge
— wer wird so geizen!"
„Ich geize nicht. Ich spare nur für meinen
künstigen Mann."
Unter seinem Arm war sie weggeschlüpft, drängte
zwischen den Pflanzen hindurch und tauchte in das
Gewühl des Ballsaales hinein.
Langsam trat Frank Ortloff wieder hervor. Ab-
geblitzt! Klug war sie, die blonde Inge, wußte gut,
was den Appetit am besten reizte, und hatte es ihm
gleich deutlich herausgesagt. .
Und dieser Künftige — Frank Ortloff vielleicht.
Er lachte kurz hinaus. War die blonde Inge heut
wieder auf den Gimpelfang gezogen? Es war ;a
heut wieder ein Fest — genau wie damals im Ium.
Gedachte sie nun ihm zu, wofür ein anderer sich
bedankt? Ein häßlicher Zug verzerrte sein Gesicht,
als habe er an einer schmackhaften Frucht plötzlich eine
widerwärtige Stelle entdeckt, und seine Hand machte
eine Bewegung, als werfe er etwas von sich.
Doch wissen hätte er wohl mögen, was sich da-
mals in Wahrheit zwischen Jellinghaus und Inge
Sondegg abgespielt hatte.
Langsam ging er wieder in den Saal hinein —
der Richtung nach, in der sie seinem Blick entschwun-
den war. Die Musik hatte wieder zu spielen be-
gonnen, die Paare drehten sich. Ortloff trat an
den Ring heran, der die für den Tanz freigelassene
Saalmitte umschloß. Dort schwebte Inge. Ihre
schillernden Schleier flatterten, und ihre scheinbar
nackten Füße berührten kaum den Boden. Grazie
war in jeder ihrer Bewegungen.
Als der Tanz zu Ende war, und Inge ihren Part-
ner verabschiedet hatte, trat Ortloff wieder an sie
heran.
„Wollen wir nachher die große Pause mitein-
ander totzuschlagen suchen?"
So formte er seine Bitte, sie zu Tisch führen zu
dürfen.
Fest sah sie ihn an. „Alices Mann hat für
Mama und mich schon Plätze belegt."
Er wirbelte den Schnurrbart auf. Das hieß,
sie bestand auf ihrem Schein, ernsthaft genommen
zu werden, schien charaktervoll in dem, was sie für
ihren Künftigen sparen wollte. So mußte man
doch wohl zu einer anderen Tonart überspringen.
Er schlug die Hacken zusammen. „Aber meines
Armes zu einer Promenade um den Saal bedienen
Sie sich vielleicht?"
Sie nickte leichthin, legte die Spitzen ihrer Finger
auf seinen dargebotenen Arm. Der ihre schimmerte
gegen seinen schwarzen Mantel wie durchsichtiger
Alabaster, und wie zwischen ihren Schultern die
weiche Nackenlinie sich in dem flimmerigen Geriesel
des Gewandes verlor, das war köstlich wie bei einer-
griechischen Statue.
Inge fühlte die Blicke, die sie maßen, sie ab-
schätzten. Und sie hätte ihre Schleierhüllen um sich
reißen und davonstürzen mögen, in Scham und
Dunkelheit sich verbergen, daß sie so ohne Liebe sich
verkaufen wollte. Doch sie gedachte auch der Stunde,
wo sie sich in Scham verborgen, weil einer, den sie
hätte lieben können, ihr die Schande angetan, sie
zu verschmähen.
„Haben Sie mich nun als unverbesserlichen Sün-
der endgültig aus Ihrer himmlischen Gnade ge-
strichen?"
„Himmlische Gnade ist ein unerschöpflicher Born.
Undinen aber haben wenig mit dem Himmel zu
schaffen."
Gut aus der Schlinge wußte sie sich zu ziehen,
und amüsante Worte wechseln konnte man mit ihr,
wie sonst mit keiner. Und schön dünkte sie ihm
heute, wie er bisher noch keine gesehen. Wieder
gingen seine Blicke an ihr hin, während er sie aus dem
Getümmel des überfüllten Saales zu den noch
leeren Nebenräumen hinüberführte.
Sie ließ sich von ihn: leiten, scheinbar ohne es im
lebhaften Plaudern zu merken, daß sie den Saal
verließen. Vor den Speiseräumen, wo auf den ge-
deckten, blumengeschmückten Tischen einladend die
Gläser blitzten, hielt sie den Schritt an und atmete
tief. „Ah — hier ist die Luft frisch!" sagte sie.
„Dort drinnen wird sie noch frischer sein," ent-
gegnete Ortloff und zog sie mit sich zu einem der
kleinen Seitenzimmer hinüber. Ein rascher Blick
belehrte ihn, daß außer ihnen beiden sonst niemand
drinnen war.
Inge antwortete nicht. Sie hatte ihren Arm
unter dem seinen hervorgezogen und legte die Hand
an die Stirn, dahinter die Gedanken brannten, das
Wollen, zum Ziele zu gelangen. Ihre Augen schie-
nen starr geradeaus gerichtet und nahmen doch mit
Blitzesschnelle jede Einzelheit des kleinen, eleganten
Kabinetts in sich auf.
Hier würde es sein — hier sollte es sein!
Er wandte den Blick nicht von ihr, wußte, was in
ihr vorging, wofür sie wie zum Kampf sich vorberei-
tete, und lachend hielt er plötzlich feinen Mantel
um sie geschlungen.
„Endlich allein! Nun sind Sie in des Teufels
Macht gegeben. Fürchten Sie sich nicht, blonde
Inge?".
„Nein, ich fürchte mich nicht." Ganz ruhig sagte
sie es und streifte langsam seinen Mantel von sich ab.
Als die roten Falten wieder an ihm herab-
schlugen, war es, als ob Feuer ihn durchriesele.
Fest zog er den Mantel um sich zusammen, und
auf seiner schwarzen Kappe nickte die rote Hahnen-
feder, wie er den Kopf in den Nacken warf. „Selbst
vor dem Teufel fürchten Sie sich nicht?"
„Nein, denn Sie sind kein Teufel."
„Nicht einmal das? Was bin ich dann?"
„Nur ein Mensch mit einem kalten Herzen."
Es gab ihm fast einen Riß, wie sie es sagte, so
sicher, so bestimmt. Um seine Lippen höhnte ein
Lächeln. „Was wissen Sie denn bis jetzt von
meinem Herzen, schöne Inge? Was wissen Sie
von Männerherzen überhaupt?"
Sie schwieg, sah ihn nur ruhig an.
Er neigte sich zu ihr, auf seinem Kopf die Hahnen-
feder küßte die Wasserrose über ihrer Stirn. „Ich
wäre wohl neugierig, das zu wissen. Und möchte
auch noch anderes wissen, zum Beispiel von dem,
was sich zugetragen, als Sie sich das Haar mit roten
Rosen bekränzt hatten. Wenn ich Sie jetzt danach
fragte?"
Sie hielt sich in eiserner Gewalt. Kein noch so
leiser Farbenwechsel ging unter seinem lauernden
Blick, seinem viel erfahrenen Lächeln über ihre Züge.
Ihre Augen waren fest und stolz auf ihn gerichtet.
„Fragen Sie. Ich habe keine Antwort zu scheuen."
„Wirklich keine? Und der bewußte Jemand
hätte sich das bewußte Loch in den Schädel nicht um
Sie verdient gehabt?"
Inge lächelte. „Es wäre schade um das Pulver-
gewesen. Wünschen Sie noch mehr zu wissen?"
Noch lauernder sah Frank Ortloff sie an. Was
sollte er ihr glauben? Wäre sie es gewesen, die
dem anderen den Laufpaß gegeben? Es sollte nicht
zum besten um ihn stehen. Hatte die kluge Inge
davon rechtzeitig Wind gekriegt? Wie sie lächelte!
Ein tollmachendes Lächeln! Wozu zerbrach er sich
den Kopf darüber? Mochte gewesen sein, was da
wollte, ihrer Schönheit hatte es jedenfalls keineir
Abbruch getan. „Sie haben recht — viel Wissen
macht Kopfschmerzen, und wer viel fragt, wird dar-
um noch nicht immer recht berichtet."
„Und doch möchte auch ich jetzt eine Frage an
Sie richten," sagte Inge. Ihre Lippen lächelten
noch, aber in chre Augen kam fieberndes Warten,
was seine Antwort sein werde, die Antwort, die
über diese Stunde, über ihr Leben entschied.
Sein Spötterblick schien in sie hineinzudringen,
als er sagte: „Eine Frage ist der anderen wert. Was
also gelüstet Sie zu wissen?"
„Wer die ist, mit der ich Sie gestern und schon
früher zusammen sah — das möchte ich wissen."
Frank Ortloff antwortete nicht sogleich und doch
hatte ihre Frage ihn nicht überrascht, er hatte sie
erwartet. Und während er mit einem kalten Flim-
mern in den Augen Inge anblickte, sah er Sonja
vor sich, die kleine Sonja, die mit ihrer vielen Liebe
ihm zum Überdruß geworden. Die andere zwischen
sich und sie schieben! Der Gedanke kam ihm wieder,
und das heimlich erregte Warten in Inges Blick
bereitete ihm ein boshaftes Vergnügen. Langsam
sagte er: „Wer das war? Eine Schönheit, wie Sie
vielleicht bemerkt haben."
Ihre Augen brannten dunkel. „Was sie Ihnen
ist, will ich wissen."
„Was sie mir ist?" Er hob die Arme, daß der
schwarze Mantel mit seinem flammenfarbnen Futter
sich ausbreitete wie ein Riesenfittich. „Eine Erinne-
rung an schöne Stunden."
„Sonst nichts?"
„Ist das nicht genug?"
„Und sonst nichts?" fragte sic noch einmal.
„Sagen Sie mir die Wahrheit!"
Dicht bog er sich ihr zu, daß sein Gesicht fast das
ihre streifte. „Wer wird so neugierig sein, schöne
Inge. Lassen Sie sich an meiner Antwort genügen,
wie ich mir an der Ihren genügen ließ. Und was
mein kaltes Herz betrifft — soll ich Sie da eines
anderen belehren, Inge?"
Das Blut brauste ihr zu den Schläfen empor,
sekundenlang schloß sie die Lider, dann schlug sie
voll die Augen zu Frank Ortloff auf. „Wie meinen
Sie das?"
Wie er es meinte? Nicht so, wie sie es sich von
ihm erzwingen wollte. Sein Lächeln gab ihr die
Antwort. Sie aber hielt die Augen unentwegt auf
ihn gerichtet, die wundervollen Augen, vielleicht das
schönste an aller ihrer lockenden Schönheit.
Inge fühlte, wie der Augenblick des Kaufes nahte,
Ivie die Wage, die die Ware abwog, hin und her
schwankte. Sie wurde ganz blaß, nur ihre Lippen
glühten wie irn Fieberbrand.
Da hatte Frank Ortloff ihr die brennenden Lip-
pen mit seinem Kusse fast zerpreßt. „Wenn's denn
wirklich nur dem künftigen Gemahl vergönnt ist,
so will ich in Gottes Namen der Glückliche sein!"
Und das war seine Werbung! Und dieser Wer-
bung gab sie sich hin!
Ein Zittern ging durch sie hin, ein stummes Auf-
schluchzen, das ihm für das heimliche Jauchzen er-
reichten Wünschens galt.
Noch einmal küßte er sie. „Ein gewagtes Spiel
bleibt's immer, aber wir wollen das Spiel versuchen.
Mehr als verlieren kann man nicht. Zuweilen heißt's
auch dabei: wer verliert, gewinnt. Und die Verla-