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DasBuchfüvAtle

Gageika.
(Erzählung aus Ostpreußens Russentagen von Robert Wach.
ach langer Zeit mutzte ich wieder einmal nach Ostpreußen,
die liebe, schwergeprüfte Heimat zu sehen. Ich freute mich schon
auf der Reise, meinen alten Paten aufzusuchen, der seit Jahr-
zehnten als Revierförster im Stallupönischen sitzt. Wohlbehalten traf
ich ihn bei den Seinen und fand das Forsthaus und die Nebengebäude
fast unversehrt. Der hartköpfige Alte war auch vor den Russen
nicht von seinem Posten gewichen. Er mutzte manches über die
böse Zeit zu erzählen haben.
Bald satzen wir beim ostpreutzischen „Maitrank", einem mächtig
steifen Grog, vor dem Hause unter den Ebereschen, und ich wartete
ruhig, ob den alten Herrn nicht bald die Lust ankäme zu plaudern.
Ich sah wohl, datz mein Pate nicht mehr so frohlaunig war wie sonst,
er redete fast nichts und lietz mich nur merken, datz ihm mein Besuch
lieb war. Es schien, als habe er seinen alten guten Humor verloren.
Durch Zufall gab es eine Möglichkeit, ihm das zu sagen. Ich fragte,
ob er in der Russenzeit seine gute Laune verloren habe.
„Unsinn," knurrte er, „uns ist's öfter schon im Leben an den
Kragen gegangen, aber wir haben auch die Nerven, das auszuhalten.
— Am Ende aber kommt die Zeit doch —" Er brach ab und zün-
dete seine Pfeife, die gar nicht ausgegangen war, umständlich an;
dann sagte er gespielt gleichgültig: „Habe ich schon gesagt, datz ich
meinen Dienst aufgeben will?"
Überrascht sah ich den rüstigen Alten an; wutzte ich doch, wie
er an seinem Wald hing, datz er immer fürchtete, es könne nach
ihm einer kommen, dem es nicht heiliger Ernst mit der Försterei
war. Ich sagte: „Das glaubt doch niemand."
„Aus und vorbei. Wie ich sage, so ist's. Hier kann ich nicht
mehr bleiben. Ich kann mein Amt nicht mehr ausfüllen. Dir will
ich es sagen, es geht gegen mein Gewissen." Er schlug so derb mit
der Faust auf den Tisch, datz die Gläser klirrten und der Grog überlief.
„Es gibt doch keinen pflichttreueren Menschen —" wagte ich ihm
entgegen zu halten.
„Das ist es ja," schrie er zornrot. „Bisher bin ich ein Muster-
kerl gewesen. Verstehst du? Aber wenn der Deiwel einmal die
Hand im Spiel hat, ist's aus damit. Schuld an allem sind die
verfluchten Russen! Datz ich es recht sage — Na, ich will dir die
Geschichte erzählen. Hier kann ich ja doch mit keinem darüber
reden. Warum, wirst du bald sehen. Kennst du den Eageika?
Nein? — Na, der Kerl ist der grötzte Halunke, der zwischen
Stallupönen und Schirwindt herumgaunert. Der Teufel stiehlt,
was er erwischt. Überall hat er sein Hehlergesindel sitzen. Ein so
geriebener Wilddieb wie der läuft kaum irgendwo im Wald und
unter Gottes Sonne herum; hat mir jahrelang das Leben sauer
genug gemacht. Aber ein einziges Mal nur hab' ich den Racker er-
wischt, sonst könnt' ich nur seine Knallerei im Revier hören. Der
Halunke muh so ein Ding zum Unsichtbarmachen haben. Vor zwei
Jahren hat einer mir den Forstaufseher erschossen. Nie kam heraus,
wer es war; ich sage dir, keiner als Eageika ist's gewesen. Aber sie
konnten ihm damals nichts anhaben. Du meinst, das hat mit den Russen
nichts zu tun, und noch weniger damit, datz ich gehe, meinen Dienst
aufgebe; aber du wirst es bald hören. Als es hietz, die Russen kämen,
schickte ich Frau und Tochter nach Königsberg. Ich blieb da, wo ich
hingehörte. Mein Wald war nicht für Eageika und seinesgleichen; auf
das Gerede, datz die Russen alle Förster niederknallten oder verschlepp-
ten, gab ich nichts. Anfangs ging auch alles ganz gut; die ersten, die
kamen, hielten sich anständig, requirierten Hafer und was sie sonst
brauchten, und zogen wieder ab. Dann aber folgten andere, die packten
mich am Kragen und erklärten mich für verhaftet. Ein Offizier verhörte
mich kurz und sagte: Man wird Sie erschietzen.' Ein Unteroffizier
und zwei Mann sollten mich abführen. Wohin, konnte ich nicht ver-
stehen. Die Kerle gingen mit mir auf den Weg zum nächsten Dorf.
Wie einen Verbrecher führten sie mich, mit aufgepflanztem Seiten-
gewehr. Die Hände auf dem Rücken gebunden, mutzte ich marschieren.
Ich kann dir sagen, mir war gar nicht erbaulich zumute. Wir kamen
von der Stratze ab, durch den Wald, durch Schonungen, die von mir
gepflanzt waren. Gut, dachte ich, datz Frau und Kind sicher satzen —
Ob es mein letzter Gang war? Ob ich sie wieder je sehen würde?
Aber gesorgt war ja für sie. Verhungern brauchten sie nicht. Darüber

Hefti
konnte ich ruhig sein. Wir trotteten über eine Lichtung, rings von
dichten Schonungen umgeben; sonst wechselte Wild da, und manchen
Bock habe ich dort geschossen. Die Kerle hatten vielleicht schon
die Kugel im Lauf, die für mich bestimmt war. Vielleicht ver-
schleppten sie mich auch nur. Wie ich so im Sinnieren weiter
ging, knallte es dicht neben uns auf, einer von den Russen stürzte
mit einem kurzen Laut vornüber. Dicht an meinem Kopf surrte
eine Kugel vorüber — noch ein Knall, und der zweite Russe taumelt
ein paar Schritte und bricht vor mir zusammen. Der dritte hebt
die Hände hoch, zu spät; zum drittenmal knallt's aus der Schonung,
und aus war's auch mit dem letzten.
Junge, ich kann dir sagen, ich stand da wie die Frau des seligen
Lot, als sie zur Salzsäule wurde. Doch wenn ich's vermocht hätte,
wäre ich noch starrer geworden. Denk dir, aus dem Dickicht heraus
kommt der Lumpenhund, der Eageika! Der Halunke marschiert mit
einem Drilling in der Hand aus der Schonung, schmunzelt mir
gönnerhaft zu und sagt: ,Na, dat hat man grad noch recht gebumst,
Herr Förschter!° Dann suchte er vor meinen Augen die Tornister
der Russen durch; einen nahm er mit, auch die Patronentasche. Mir
hing er ein Gewehr über die Schulter und schnitt die Stricke an
meinen Händen durch. Dann meinte er: ,Nu aber pascholN), Herr
Förschter! Sonst hawe wir de letzte Mahltid im Liew?)b Damit
bugsierte er mich in die Schonung. Dann erst ging's los im Dauer-
lauf. Was wollte ich machen. Der Halunke voran, ich hinterher;
wir liefen so, datz keine Futzspuren zu finden waren, und ich muh
sagen, der Kerl war mir darin über. Einmal kam es mir, wo der Kerl
den prächtigen Drilling her haben mochte... Mir war so wüst im
Kopf, datz ich ohne weiter viel zu denken hinter Eageika auf Schleich-
wegen, durch Schonungen und Sümpfe weiter rannte und immer
weiter. Geredet hat keiner dabei, das kannst du wohl glauben. Wir
liefen in einem fort nur immer vorwärts.
Vor einer grohen, dichten Schonung blieb Eageika stehen. ,Hier
möten wi rin/ sagte er, duckte sich und verschwand in einem Wacholder-
busch. Ich kroch ihm nach und fand mich am Eingang einer Höhle.
Da konnte ich wohl hundertmal vorbeigehen, ohne was Besonderes
an dem Busch zu finden. Der verschlagene Kerl hatte sich da ein
gemütliches Versteck gerichtet; alles war da: ein Mooslager mit
Decken, Tisch und Stuhl aus Birkenästen und in der Ecke ein Herd
mit einem ganz knifflichen Rauchabzug. Irgendwoher, durch ein
Loch kam Licht genug herein, datz man ganz gut sehen konnte.
,Nu schmieten^) Se sick man hen, Herr Förschter/ sagte Eageika,
Kriegen dohn sei uns hier nich. Wi wollen och een beeten wat
eten.- Brot, Speck und eine Schnapsflasche brachte er aus einer
Art Kiste. Mir war übel genug, und so nahm ich mal erst einen
Schnaps. Wie ich so nachdachte, datz ich da bei dem vertrackten Kerl
hockte und obendrein froh sein mutzte, da ist mir gar nicht wohl ge-
wesen. Eageika mutzte wohl sehen, datz es mir nur so halb und
halb behagte. Da fing er Hochdeutsch zu reden an: ,Sie wundern
sich woll, Herr Förschter, datz ich Sie von die Russacken frei gemacht
habe. Wir haben ja sonst keine grotze Freundschaft miteinander,
aber das könnt' ich nicht sehen, datz die Russacken einem von uns was
antun. Der Deiwel soll sie alle holen! — Das mutz wohl seine Rich-
tigkeit haben, Herr Förschter?° Dagegen war nun nichts zu sagen;
ich nickte nur. Eageika meinte: ,Heut und morgen können wir hier
nicht raus, denn die Kraets werden uns hinten nach sein. Dann
möten^) wi mal tausehn^). Aber nu legen Sei sich dahle°) un
schlafen Sei Ihren Schrecken utb Er wies mir sein Lager und
streckte sich auf den blanken Boden. Wie ich so lag und mir alles
nochmal bedachte, mutzte ich mir sagen, datz der Wilddieb, der Kerl,
der mich so lang geärgert und zum Narren gehalten, mir das Leben
gerettet hatte, und datz ich nun auch noch sein East war. Aber
ich brachte es doch nicht zusammen, ihm dafür zu danken. Ganz
scharf genommen, war ich noch immer nicht fertig mit ihm. Und
irgendwie mutzte das noch an die Reihe kommen. Ich war aber doch
so herunter, datz ich zu keinem guten Schlutz kam, und schlief ein.
Als ich wach wurde, war tiefe Nacht um mich. Im Augenblick
wutzte ich nicht, wo ich war. Da hörte ich Eageika schnarchen. Und
wieder wurmte es mich ganz erbärmlich. Da lag ich, der Revier-
förster, neben dem Wilddieb in einem Erdloch wie ein Verbrecher.

*) Paschall (russisch) --- Pack dich! — ?) Ostpreutzisch Platt -- Leib. —
2) schmeißen. — *) müssen. zusehen. — °) nieder.
 
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