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phoi. Dufa.

Gefechtdpause.

-

Versuch. Endlich war doch die erste große Frage beantwortet, sie
wußten, woher Dimitri gekommen war, und ihre Augen wurden
dunkel und verträumt. Eines der Mädchen beschrieb mit ihren kleinen
Händen einen Kreis, so groß, wie ihre kurzen Kinderarme reichten:
„So riesig groß ist dieses unbekannte Rußland!" rief sie. Dann
plaudern sie alle durcheinander, mit hohen, miauenden, drolligen
Lauten, drängten sich um ihn und bestürmten ihn mit Fragen.
Allmählich verstand er sie und begann zu erzählen von seiner Heimat.
Er verlor sich in seinen Träumen, so daß alles um ihn her verblaßte.
Als Dimitri am Abend auf die Straße trat, wiegten sich Tausende
leuchtender Lampions, mit steilen Buchstaben bemalt, die wie unent-
wirrbare Zauberformeln wirkten, sanft in dem leisen, steten Wind der
Dämmerung. Am Straßenrand tanzte gleich einem schwebenden
Leuchtkäfer ein glühender kleiner Funken, und als Dimitri schärfer
hinblickte, war es die glimmende Zigarette seines Jinrikishakulis, der,
regungslos auf die Fersen niedergehockt, auf ihn gewartet hatte. Nun
zündete auch er seine farbige Papierlaterne an, die an der Achse zwischen
den zwei hohen Rädern schaukelte, und bahnte sich, zwischen tanzenden
roten und gelben Lichtern durchgleitend, seinen Weg zum Gasthof.
Am nächsten Tag suchte Dimitri die Firma „Asband & Sons"
auf, an die sein Empfehlungsschreiben gerichtet war. Der grau-
haarige Herr, der ihn empfing, warf einen flüchtigen Blick auf das
Schriftstück; ohne die Zigarre aus dem Mundwinkel zu rücken, fragte
er: „Könnten Sie den Briefverkehr übernehmen?" Ohne eine Ant-
wort abzuwarten, griff er mit der Linken nach dem Ruftrichter des
Tischtelephons: „Spalding, bitte!"
Fast unmittelbar darauf kam der Gerufene, ein großer, sehnig
magerer Mann im Anfang der Dreißiger, mit auffallend tiefliegen-
den Augen und vorspringender Hakennase.
„Sie befehlen, Herr?" fragte er nachlässig und behielt die eine
Hand in der Tasche.
„Herr Babajew ist Angestellter des Hauses, zeigen Sie ihm die
Anlagen."
Dimitri folgte seinem Führer über den Hof nach dem ersten
Schuppen.
„Lackarbeiter," erklärte Spalding kurz und ließ den neuen An-
gestellten einen
Blick durch die Tür
werfen. In zwei
Reihen, Gesicht
gegen Gesicht,
saßen japanische
Handwerker, jeder
eine Unzahl win-
zigerFarbenschäl-
chen vor sich, ein
Teebrett, einen
Schachteldeckel,
ein hölzernes Zi-
garrenetui inHän-
den, auf dessen
schwarzglänzende
Fläche sie mit haar-
feinem Pinsel Or-
namente in Gold
und sattenGrund-
farben malten.
Sie sahen beim
Eintrittderbeiden
kurz auf und ver-
beugten sich mehr-
mals sehr tief.

Geheimdienst
Vornan
aus der 3eit der ersten russischen Venotution
von yandWagLnseiL
^Fortsetzung.)
n den weitgedehnten Ebenen Japans wurde die Reisernte
eingebracht, die Feldarbeiter standen nackt bis zum Gürtel, die
Frauen in großrandigen, strohgeflochtenen Hüten, richteten
>-!sich augenblicklang von der mühsamen Tagesfron auf und
sahen der eisenglitzernden Schlange des enteilenden Zuges nach.
In Tokio gab es ein Europäerviertel; hätte er es nicht schon
gewußt, so würde Dimitri es wohl daran gemerkt haben, daß er hier
weit weniger wie bisher als märchenhaftes Wesen auffiel. Die Kulis
bestürmten ihn in allen erdenklichen Sprachen, alle aber schienen
überzeugt, das erste, was er zu sehen wünsche, müsse ein Teehaus
sein. Von überall her klang der Ruf: „Isa üouss, 8ir?" Er gab nach
und ließ sich führen.
In dem Raum, den er betrat, entfaltete sich Japans künstlerisches
Vermögen zu prunkhafter Wirkung. Ein Wandschirm, bestickt mit
naturgetreu in der Bewegung festgehaltenen Paradiesvögeln, fiel
ihm auf; Holzschnitte, auf denen ringende, muskulöse Gestalten dar-
gestellt waren, Bilder von Geishaschönheiten, zierliche Figuren, in
Elfenbein geschnitten, fesselten seine Blicke, und über alldem lag der
stumpfe Glanz von Altsilber, schwarzen und bunten Lackfärbungen
und Goldtusche.
Im nächsten Raume traf er Tänzerinnen. Gleich kleinen, seiden-
schimmernden Pyramiden hockten sie auf zarten Geweben und sahen
dem Eindringling regungslos aus scheinbar liderlosen, mandelförmigen,
dunklen Augen entgegen. Sie knabberten pfefferminzweiße Kuchen,
rauchten und nahmen winzige Schlucke Tee. Dimitri trank Sake aus
einer papierdünnen Schale, die in seinen Händen nicht größer als ein
Fingerhut aussah. Die gelbblassen, geschminkten Gesichter der Mädchen
schienen wie mit einer feinen Emailleschicht überzogen; die Brauen,
mit dunklem Schminkestift nachgeformt, richteten sich leicht senk-
recht nach oben.
Ihre brennend¬
rot enUnterlipp en
leuchteten aus
dem blassen Ton
der Haut gleich
einem blutdunk¬
len Sichelmond.
Hoch aufgetürmte,
glänzend schwarze
Haare, aus den en
dolchartigeSilber-
nadeln und auf¬
gespannte Minia¬
turschirme hervor-
leuchteten, um¬
rahmten ihre Ge¬
sichter. DieUnter-
haltung scheiterte
immer wieder an
allzu unüberwind¬
lichen Schwierig¬
keiten; vielstim¬
mig klingendes
Lachen folgte je¬
dem vergeblichen

XXVII. 1917.
 
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