Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Flüchtlinge
'Boman Don
ArthurWmckler-TannLnber^-
> (IoNsetzung.)
rau Lemme ging langsam nach der Tür. Dort wartete sie,
ob Pahlzow auf ihre letzte Bemerkung etwas erwidern werde;
als er stumm blieb, seufzte sie und ging.
Der Assessor zog die Uhr. Wahrhaftig schon ein Viertel auf
Neun. Wahrscheinlich erwartete Hedwig ihn schon. Es war seine
nächste Pflicht, jetzt zu ihr zu gehen. Sie hatte Anspruch auf ihn,
auf Rat und Tat. Vorher mutzte er sich beim Justizrat noch frei
machen für den Tag. Er blätterte in seinem Notizbuche und über-
zeugte sich, datz am späten Vormittage nur eine Rechtssache auf dem
Amtsgericht zu vertreten war. Das würde der alte Herr leicht allein


Wirklichkeiten des Daseins, wie sie sich ihm boten, und genotz sie. Das
schien ihm sein Recht, und er dachte nicht weiter.
Der alte Justizrat Weiler sah die Post durch, als Pahlzow bei
ihm eintrat. Mit herzlicher: Worten sprach ihm der freundliche Greis
seine Teilnahme aus.
Pahlzow hörte ihn ruhig an und entgegnete ihn: mit herkömm-
lichen allgemeinen Wendungen. Das wichtigste schien ihm jetzt, datz er
die Arbeit bereitwillig übernahm, von der er sich frei machen mutzte.
Flüchtig dachte er einmal, eigentlich Hütte ich ihn beglückwünschen
müssen. Ihr: und sich. Denn der Gedanke, den die worteifrige
Frau Lemme ausgesprochen, lag wahrhaftig nahe genug; Pahlzow
spielte längst heimlich mit ihm. Die alte Anwaltschaft Weilers
war ein ausgezeichnetes Geschäft, und der alte Mann schleppte
sich nur noch matt durch den Arbeitsrest, den der junge Gehilfe ihm
übrig lietz; er durfte gewitz sein, datz ihn der Reiz völliger Ruhe lockte.
Aber das waren Fragen und Sorgen für später. Bis zur Stunde
wutzte er ja überhaupt nicht, wie reich Hedwig war. Erfahren

besorgen können, da
es keiner besonderen
Vorbereitung dazu
bedurfte.
Pahlzow legte
nur die Oberkleider
ab, wusch sich Kopf,
Hals und Brust im
Waschbecken und klei-
dete sich dann eilig
wieder an. Er trank
noch eine Tasse
schwarzen Kaffee
und schickte sich an
zu gehen. In Ge-
danken daran, datz
er dies Zimmer bald
für immer räumen
werde, erschien es
ihm noch fremder
und hätzlicher als
sonst. Das Jammer-
leben der ewigen
Einschränkung nahm
nun bald ein Ende,
ein neues Dasein
begann. An Hed-
wig dachte er nur
flüchtig, an die gute
alte Frau, die vor
Stunden gestorben
war, deren Reich-
tum ihm ein neues
Leben versprach, kam
kein Gedanke, kein
Gefühl in seine
Sinne. Der Wan-
del seines Schicksals
war zu jäh erfolgt
und zu grotz, als
datz er zum Grübeln
über sich selbst und
seine Stimmungs-
triebe gekommen
wäre. Er nahm die
XX. 1917.


Probefahrt.

phol. Georg Gerndt.

. ......

würde er es aller-
dings nun bald und
danach mutzte sich
alles weitere erst
richten. Vielleicht
kam es noch ganz
anders. Er schämte
sich selbst, den aus-
schweifendsten Ge-
danken, ohne Beruf
leben zu dürfen, zu
Ende zu denken.
Als er aus dem
Hause des Justiz-
rates auf die Stratze
trat, dröhnte die Rat-
hausturmuhr neun
Helle Schlüge in die
sonnige Morgenluft.
Herrgott war die
Welt schön, wenn
man sie endlich
sorgenfrei ansehen
durfte! Er winkte
einen vorüberfah-
renden Einspänner
herbei, gab dem
Kutscher die nötige
Weisung, lehnte sich
in die Polster zurück
und lietz die Blicke
über das freund-
liche, lustige Stadt-
bild schweifen. Er
dehnte sich tief auf-
atmend. Die Welt
war wirklich schön.
Am Ziele der
Fahrt gab er dem
Kutscher ein über-
reichliches Trinkgeld
und betrat das stille,
vornehme Gebäude,
das über Nacht ein
Haus der Trauer
 
Annotationen