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Scherenschnitt von Rolf Winkler.

Gemach, das der in der wissenschaftlichen Welt hoch angesehene
Jurist mit gutem Recht sein Geheimarchiv nannte. Timäus wußte
wohl, daß der Assessor völlig vermögenslos war und hatte ihm
neben anderen günstigen Bedingungen die volle Gastfreundschaft
seines Hauses angeboten, aber in diesem einen Punkte eine ent-
schiedene Ablehnung erfahren. Und die Folge davon war, daß
Detlefsen mit den weiblichen Mitgliedern der Familie und mit
ihrem jungen Gast trotz der Hausgenossenschaft kaum in Berüh-
rung kam.
Auf dem Heimweg von Timäus hemmte er eines Abends plötzlich
den Schritt seiner lang ausgreifenden Beine. Eine hochgewachsene,
schwarzgekleidete
Frauengestalt war
an ihm vorüber ge-
glitten. Und erst,
als sie schon vorbei
war, kam ihn: zürn
Bewußtsein, wer
es gewesen. Da
machte er in ra-
schem Entschlüsse
kehrt und holte sie
wieder ein.
„Guten Abend!
Ich weiß allerdings
nicht, ob Sie sich
auf mich besinnen."
Sie blickte auf
und neigte wieder,
wie in Doktor Gos-
wins Vorzimmer,
den Kopf. „Ja, ich
erinnere mich recht
gut. In einem Kol-
leg des Professors
Hellwald lernten
wir uns kennen."
Ihre dunkle Stim-
me klang weich und
voll, aber es war
eine müde Gleich-
gültigkeit darin und
ein Unterton leiser
Abwehr.
„Mein Name ist
Detlefsen. Vonmei-
nem Freunde Gos-
win hörte ich, daß
Sie jetzt Burkhardt
heißen. Damit hät-
ten wir ja wohl die

„Komm wir wandern zusammen..."

(Fortsetzung.)
echtsanwalt Goswin hatte Sehnsucht nach seiner Braut
Martha — und vielleicht nicht nach ihr allein. Ein kleiner,
weicher, kirschroter Mund und zwei samtschwarze Augen
-in einem süßen Madonnengesicht wollten ihm nicht aus
dem Sinn. Wie
reizend liebens¬
würdig und kindlich
unbefangen war
Eva gestern wieder
gewesen! Welche
Narrheit, sich aus
übertriebenem Be¬
rufseifer um dies
harmlose Vergnü¬
gen zu bringen!
Schon war er halb
entschlossen, doch
noch zu sein er Braut
zu gehen. Da streifte
sein Blick die vom
Licht der elektri¬
sch en Arb eitslamp e
hell beschienene
Aufschrift des dick¬
leibigen Aktenbün¬
dels: „Strafsache
gegen Helmolt."
Die Erinnerung
kam ihm an das
bleiche,leidensvolle
Gesicht des un¬
glücklichen jungen
Weibes, das ihm
vorhin eine Stunde
lang hier am
Schreibtisch gegen¬
über gesessen. Er
dachte an einen
gebrochenen, von
furchtbarer Seelen¬
qual zerrissenen
Mann hinter dem
vergitterten Fen¬
ster einer Gefäng-

Kütev dsv
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niszelle. Und schwer
legte sich ihm das Gefühl seiner hohen Verantwortlichkeit auf die
Seele. Nein — nichts von Vergnügen jetzt und von leichtem Ge-
tändel! Einzig dem Schicksal dieser beiden Menschen gehörte seine
Zeit und seine Kraft. Er hatte sich gelobt, allezeit ein Anwalt des
Rechts zu sein im höchsten und reinsten Sinn des Wortes. Und das
Gelöbnis wollte er halten. — Bis tief in die Nacht hinein leuchtete
die Lampe in Doktor Goswins Arbeitszimmer.
Detlefsen hatte den Vorschlag des Präsidenten Timäus ange-
nommen und arbeitete seit mehreren Tagen schon in dem kleinen

nötigen Förmlich-
keiten erledigt. Und nun möchte ich Sie fragen, ob ich Ihnen viel-
leicht irgend einen Dienst leisten kann."
Ein Ausdruck abweisenden Stolzes kam in ihr gramvolles Ge-
sicht. Aber als ihre Augen die seinen trafen, die mit festem, ruhigem
Blick auf sie gerichtet waren, schwand die Herbheit aus ihren Zügen.
„Wie kommen Sie zu solchem Anerbieten, Herr Detlefsen?" fragte
sie ohne Schärfe. „Halten Sie mich für hilfsbedürftig?"
„Das sind wir alle und immer. Nur daß der eine besser darauf
eingerichtet ist, sich selbst zu helfen als der aridere. Auf keinen Fall
war es mein Wille, Sie zu kränken."

H. 1917.
 
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