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Phot. Bert. b. H.. Berlin.
Prinz Leopold von Sayern, der siegreiche Heerführer im Osien.

Die klugen, braunen Augen Hilde Berchtholds sahen forschend
auf: „Schwester Valeska, der Bürgermeister sprach mit mir darüber.
Herr Spielmann erschrak vor Ihnen; er nannte Sie Frau Agnes.
Sie sagten zwar, daß Ihnen der Kranke unbekannt sei, aber nicht
wahr, Ihre Mutter heißt Agnes? Kannte Spielmanu Ihre Frau
Mutter?"
„Das weiß ich nicht. Aber ich wollte ihr heute noch schreiben
und sie fragen. Deshalb kam ich, um mich vorher zu erkundigen."
„Wollten Sie ihn selbst sprechen?"
„Ja, wenn es sein kann."
„Ich rate Ihnen ab; wie ich ihn kenne, wird er sich jetzt stunden-,
vielleicht tagelang schroff ablehnend verhalten. Dann kann es
wohl sein, daß er im jähen Rückschlag seiner Stimmung selbst Aus-
sprache sucht."
„Ich danke Ihnen; wir wollen warten. Ich fühle, daß Sie es
gut mit ihm meinen."
Hilde Berchthold nickte.
„Kennen Sie ihn schon lange?" fragte Valeska.
„Einige Wochen. Ich lernte ihn erst auf der langen Fahrt von
Berlin hierher kennen. Er kam aus Rußland, ich aus Frankreich.
Unter all den Leidensgenossen erschien er mir am trostbedürftigsten,
weil er jeden Trost trotzig verschmähte. Ganz allmählich faßte er
Vertrauen zu mir. Jetzt glaube ich, daß er auf mich hören wird."
Valeska reichte der Lehrerin
die Hand: „Ich glaube Ihnen,
was Sie sagen. Auch ich ver-
traue Ihnen."
„Dann folgen Sie meinem
Rat."
„Ich verstehe und werde ab-
warten."
Der Bürgermeister kam über
den Marktplatz. Von weitem rief
er: „Fräulein Berchthold, ich
bringe Ihnen und Ihrem Schütz-
ling etwas Erfreuliches."
Er hielt inne, als er Valeska
gewahrte: „Ah, die Schwester
von gestern; haben Sie sich nach
Herrn Spielmann erkundigt?"
Valeska erwiderte: „Ja, im
Auftrag des Herrn Oberstabs-
arztes. Ich freue mich, ihm
Gutes melden zu können."
Sie reichte Hilde die Hand
zum Abschied, nickte dem Bürger-
meister zu und ging wieder tal-
wärts.
Hilde Berchthold sah ihr nach
und sagte zu sich selbst: „Ein
gutes, ein liebes Geschöpf."
Zum Bürgermeister gewen-
det, fragte sie: „Mir bringen Sie
etwas, Herr Bürgermeister?"
Tobias sah sie vergnügt an:
„Eben hielt unser Ausschuß die
Abrechnung. In der Waldhalle
war ich schon, jetzt wollte ich zu
Ihnen und Herrn Spielmann."
Glühende Röte flutete über
das blasse Gesicht des Mädchens.
„Mein liebes, verehrtes Fräulein,

Flüchtlinge
Vomanvon
FkrthurWinckler-DMnenöertz-
(Fortsetzung.)
er frische, muntere Arzt verabschiedete sich, und Schwester
Valeska rüstete sich zu ihrer Wanderung bergauf.
Als sie vor der Torfahrt des „Schwarzen Bären" ange-
kommen war, überlegte sie, an wen sie sich wenden sollte.
Da trat eine Magd aus der Tür. Valeska sprach sie an und wurde
an die Wirtin gewiesen. Die offenbar etwas verdrossene Frau er-
klärte auf Valeskas Fragen: „So, der Herr Oberstabsarzt läßt fragen,
na, das kommt allerdings ein bißchen spät. Schließlich kommt er
gerade noch recht, um den Totenschein auszustellen."
Valeska überhörte den Groll. Ruhig fragte sie: „Wie war die
Nacht, wissen Sie etwas?"
„Nichts weiß ich; hatte meine Arbeit, aber vielleicht kann Ihnen
die Lehrerin was sagen, die blieb gestern noch mit dem Bürger-
meister da und war auch heute schon wieder oben."
„Die Lehrerin? Wer ist das?"
Luise erhielt den Auftrag, Hilde Berchthold herbeizurufen- Als das
junge Mädchen kam, fand sich
Valeska nach den ersten Worten
zu ihr hingezogen.
„Es ist sehr lieb von Ihnen
und dem Herrn Doktor," sagte
Hilde, „daß Sie nachfragen; es
war sehr richtig, daß Sie Herrn
Spielmann gestern in Ruhe lie-
ßen, das beste aber war, daß ihn
der Arzt von dem Schwätzer
Kallweit erlöste. So konnte er
schlafen und ist körperlich wieder
wohlauf."
„Körperlich nur?"
„Ja. Es ist etwas Eigentüm¬
liches mit diesem Mann. Schon
vor seinem Unfall war er ver¬
schlossen und suchte die Einsam¬
keit."
„Er ist ein großer, ein wirk¬
licher Künstler."
„Ja, aber auch ein sehr un¬
glücklicher Mensch."
„Hat er so Schweres erlebt?"
„Ich weiß es nicht. Er spricht
nicht über seine Schicksale."
„Wo ist er jetzt?"
„Er ging schon am frühen
Morgen in den Wald."
„Wissen Sie wohin?"
„Ist es gut, ihn in seinem
Gram allein zu lassen?"
„Ja, ganz gewiß. Denn nur
so findet er sich wieder zurecht."
Nach einer Pause überwand
Valeska ihre Scheu und begann
zaghaft: „Ich hätte Herrn Spiel¬
mann gern um etwas befragt."

XXVI. 1917.
 
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