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Flüchtlinge
Boman Don

gleich Mama und Papa melden. Sie wissen doch, daß heute abend
die Krisis erwartet wurde."
„Ja. Auguste soll gleich hin."
„Ich schreibe ein paar Zeilen."


F^rchurWinckler-IarinLnbertz-
(Fortsetzung.»
anitätsrat Doktor Gellin erhob sich und reichte der weinen-
den Frau Holst die Hand: „Mut, meine Gnädigste, jetzt
darf ich es sagen: wir sind durch. Das Leben hing an
einem Faden, aber er hielt; wenn keine unerwartete
Schwäche eintritt, wird er weiter halten. Jedenfalls ist alles besser,
viel besser verlaufen, als ich zu hoffen wagte."
„Gerettet?"
„Nach menschlichem Ermessen, ja."
Aus einer Ecke des Zimmers, in der Rosa blaß und müde saß,
klang leises Schluchzen. Sie kam näher und sagte, die Augen wischend:
„Gott segne Sie, Herr Sanitäts¬
rat. Wenn Sie sich nicht so außer¬
ordentlich bemüht hätten ..."
„Schon gut," wehrte der alte
Herr ab. „Hier tat die Natur das
meiste; wir beide kennen die arme
Kranke wohl am längsten; freuen
wir uns gemeinsam."
Er gab Verhaltungsmaßregeln
und ging.
Hedwig lag jetzt still und fieber¬
los. Wenn der Arzt nicht versichert
hätte, daß die Krisis überstanden
war, konnte man glauben, es sei
ein tiefer Schlummer, der dem Er¬
löschen vorherging, der Übergang
zum Tode. Leise ging das Leben
in der Krankenstube seipen Gang.
Holst kam herein, der, eben vom
Amt heimkehrend, den Sanitäts¬
rat noch auf der Treppe gesprochen
hatte. Seine Augen glänzten. Er
breitete die Arme aus, und seine
kleine Frau flüchtete wortlos zu
ihm, wie immer, wenn sie mit sich,
ihrem Leid oder ihrer Freude, nicht
allein fertig wurde.
Innig hielt er sie umfaßt und
flüsterte ihr zu: „Ich habe Gellin
getroffen, ich weiß alles; Gott sei
Dank."
„Gott sei Dank!" hauchte auch
Agnes.
Erzog sie sanft mit sich: „Komm,
sie soll ungestört ruhen, Rosa ist hier;
komm, daß wir uns aussprechen, ich
möchte mal wieder laut sein können,
nach dieser furchtbaren Sterbestille."
Willig ließ sie sich führen, denn
sie war zum Umsinken müde. Wenn auch eine Pflegeschwester zur
Nachtwache angenommen worden war und Rosa tagsüber half,
hatte Agnes doch weder am Tage noch in der Nacht Ruhe gefunden.
Das junge Paar saß im Wohnzimmer; unsäglich zufrieden
nach den hoffnungsvollen Worten des alten Arztes.
„Meine Tapfere, Liebste," sagte Holst zärtlich, „wir wollen es

Er ließ Agnes in die Sofaecke sinken, wo sie matt und schwach
mit geschlossenen Augen lehnte, und trat zum Schreibtisch. Hastig
flog die Feder übers Papier: „Krisis überstanden, unsere liebe Kranke
gerettet. Freut Euch mit uns. Richard."
Dann beauftragte er das Mädchen mit der Besorgung und kehrte
zu Agnes zurück. Sie öffnete die Augen und lächelte: „Dank,
Liebster."
„Es nahm dich furchtbar mit, du Ärmste."
„Ja, Richard, am meisten ergriff mich, was sie im Fieber be-
kannte. Ach, es war grauenvoll! Ich bin so ein kleines, armseliges
Püppchen — wenn mir das widerfahren wäre, läge ich jetzt im Sarg."
Er verschloß ihr den Mund.
„Sei nicht böse, laß mich reden, es erleichtert mir das Herz.
Welche innere Kraft muß Hedwig
besessen haben, daß sie das alles
aushielt. Erst aus ihren Fieber-
phantasien weiß ich, was sie ge-
litten haben muß. Pahlzow muß
niedrig und schlecht an ihr gehan-
delt haben."
„Ja-"
„Und nun graut mir davor,
wenn es soweit sein wird, wenn
sie nach ihm fragen kann, und wir
ihr sagen müssen: Wochen ist's her
und wir wissen nichts von ihm;
wissen nicht, ob er lebt oder tot
ist. Gott verzeih mir's, ich glaube,
sie trüg' es leichter, wenn wir sagen
könnten: er lebt nicht mehr."
„Ich glaube es auch. Du weißt,
wie ich suchte und forschte, und alles
war vergeblich. Ich glaube ja, daß
er tot ist. Wenn ich früher auch
manches an ihm auszusetzen fand,
so ruchlos kann er nicht sein, seine
Frau in dieser Ungewißheit zu lassen,
ich kann und will ihn noch nicht so
völlig verachten."
„Vor der Stunde, wo Hedwig
fragen wird, ist mir bang. Wenn
du dann bloß bei mir wärst."
„Wir wollen hoffen, daß es ge-
schehen kann."
Das Gesicht der kleinen, ver-
zagten Frau heiterte sich auf, halb
für sich sagte sie: „Liebster, in
kleinen Dingen, bist du so unbehilf-
lich, aber wenn's was Rechtes,
Großes und Ernstes ist, dann han-
delst du so klar, klug und geschickt,
daß ich mit Stolz bekenne: das ist
mein Mann, mein» Liebster, mein Bester, mein Einziger, den ich gar
nicht verdient habe!"
Er wehrte zärtlich ab.
„Es ist wirklich so. Und wenn du darüber auch eitel wirst, ich
muß es dir sagen, denn das macht mich so glücklich. Ich habe dich
und ein großes, unverdientes Glück. Und Hedwig, die so viel mehr,

Graf Moritz Esterhazy, der neue ungarische Ministerpräsident.

XXIII. 1917.
 
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