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Flüchtlinge
Boman Don
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lIortschung.)
ritz Tobias setzte sich sein kleines Lodenhütchen auf den kurz-
geschorenen Kopf, nahm einen derben Knotenstock zur Hand
und stieg die Treppe hinab. Die Linden rauschten leise im
erfrischenden Bergwinde, als er vors Haus trat. Drüben
überm Marktplatze lag der Gasthof znm „Schwarzen Bären", nach
dem Tobias seine Schritte richtete. Er schwenkte in die gepflasterte
Einfahrt des Gasthofes, der nicht danach angetan war, besonders an-
zuheimeln. Im Schankzimmer traf er die Besitzerin, deren Mann
im Felde stand und die nun die Wirtschaft ohne ihn schlecht und recht
führte. Augenblicklich war sie ganz allein in dem verödeten Raum.
„Alles in Ordnung, Frau Hütter?" fragte Tobias.
„Herr Bürgermeister, wollen Sie^s selber nachsehen?"
„Ja, denn ich werde die Leute nachher selber bringen, und da
wird es gut sein, wenn ich Bescheid mit allem weiß."
Von der Wirtin geführt, durchwanderte er Zimmer für Zimmer
des geräumigen Hauses, in dem überall Schlafstätten eingerichtet
worden waren. Die kleinen Stuben lagen in beiden Stockwerken
um zwei größere Räume, die zum gemeinsamen Aufenthalt be-
stimmt waren. Er fand alles bescheiden und beinahe ärmlich, aber


doch sauber und freundlich. In schlichten Wassergläsern standen
einfache Feldblumen.
„Sie haben ja das Menschenmöglichste getan, Frau Hütter."
Die rundliche Frau nickte kummervoll und sagte gedrückt: „Wenn
nur auch was dabei herauskäme, Herr Bürgermeister, aber das Tag-
geld für die Person ist zum Gotterbarmen wenig, auch wenn das
Geschäft sonst ganz still steht, ich weiß nicht, wieZöas gehen wird."
„Die Masse mutz es bringen. Mehr kann leider nicht gegeben
werden, denken Sie nur an die Tausende, die wir unterbringen
müssen."
„Und die Kosten, die Abgaben, die Zinsen und zu allem noch die
Sorge um den Mann, der überall fehlt."
Der Bürgermeister erwiderte mit unsicherem Tone: „Es ist
nun einmal Krieg, und jeder von uns mutz sich abfinden, so gut er
eben kann."
„Und die Gläubiger?"
„Liebe Frau Hütter, die haben doch wirklich auch nichts Gutes.
So lange Ihr Mann im Felde ist, können sie nicht zugreifen, und ich
dachte mir, wie es nun einmal mit dem »Schwarzen Bären' stand,
geschähe Ihnen eine Hilfe damit, datz er zum Flüchtlingsheim
wurde."
Die Klagende verstummte und Tobias wanderte zurück. Auf
der Treppe sagte er: „In einer halben Stunde ist der Zug da, ich
gehe selbst zum Bahnhofe, ist der Wagen dort?"
„Ja, Herr Bürgermeister, aber wir konnten nur ein Pferd
Vorspannen, denn das andere hat man fürs Militär gebraucht."


Der Besuch des österreichischen Kaiserpaares in Stuttgart.

Phot. Photo-Centralc, Stuttgart.

XXIV. 1917.
 
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