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DasBuchfürAlle

Heft 2

besitzt. Denn bannt lieferte ich dem Herrn Staatsanwalt soviel
Wasser auf seine Mühle, als er sich nur immer wünschen kann."
Detlefsen machte ein finsteres Gesicht. „Das verstehe ich nicht.
Als Verteidiger hast du doch die doppelte Pflicht: ersteus streug bei
der Wahrheit zu bleiben und zweitens den Geschworenen das Ver-
ständnis für diese Wahrheit zu erschließen."
„Entschuldige: als Verteidiger habe ich nur die einzige Pflicht,
zu verhindern, daß ein Schuldloser schuldig gesprochen werde. Auf
welche Art ich das am sichersten erreiche, ist eine reine Zweckmäßig-
keitsfrage. Wo die Wahrheit das Endziel meines Bestrebens ge-
fährden könnte, muß ich ihr eben aus dem Wege gehen."
„Das Bekenntnis zur Wahrheit kann niemals Schaden stiften.
Wenn du es nicht zugunsten deines schuldlosen Klienten verwerten
kannst, bist du eben deiner Aufgabe nicht gewachsen."
„Ich schätze deine Offenheit, Detlefsen, aber du mußt schon
verzeihen, wenn ich trotz dieses Verdammungsurteiles auf den:
Wege bleibe, den ich für den richtigen halte. Zum Glück habe ich
ja auch eine Waffe in der Hand, von der ich mir besseren Erfolg ver-
spreche als von einer allzu spitzfindigen Erörterung des Liebes- und
Freundschaftsproblems."
„Was für eine Waffe ist das?"
„Der Poststempel eines Briefes."
„Steht er im Zusammenhang mit dem, was wir eben besprachen?"
„Nein. Es handelt sich um ein an den Doktor Burkhardt ge-
richtetes Schreiben geschäftlicher Natur."
„Dann berührt es mich nicht. Es ist also dein erklärter Wille,
von meinem Zeugnis nicht Gebrauch zu machen?"
„Es ist einfach meine Pflicht."
Detlefsen stand auf. „Gut. Die Sache ist mir nicht vertraut ge-
nug, als daß ich dir jetzt weiter widersprechen dürfte."
An einem der nächsten Abende erschien Goswin nach mehr-
tägigem Fernbleiben wieder in der Wohnung seiner künftigen
Schwiegereltern. Da es auf eine freudige Überraschung Marthas
abgesehen war, hatte er seinen Besuch nicht durch den Fernsprecher
angekündigt, und so mußte er bei seiner Ankunft von dem Dienst-
mädchen hören, daß der Präsident soeben mit seiner Gattin ins
Theater gefahren sei. Die jungen Damen hätten sie nicht begleitet,
weil Fräulein Martha ihre von Kopfschmerzen heimgesuchte Freundin
nicht habe allein lassen wollen. Goswin ließ fragen, ob er auch unter
diesen Umständen wagen dürfe zu bleiben. Martha selbst kam auf
den Gang heraus, eilte mit frohen: Begrüßungswort auf Goswin
zu und legte ihre Arme um seinen Hals. „Endlich! Wie lange habe
ich auf dich warten müssen!"
Er küßte sie und streichelte zärtlich ihre erglühten Wangen.
„Nicht schmollen, Liebchen! Du mußt vielmehr recht gnädig und
gütig fein gegen einen arnien Sklaven der harten Pflicht. Ich darf
also wirklich dableiben?"
„Natürlich. Wir sind ja nicht allein."
„Aber ich hörte, daß Fräulein Eva sich nicht wohl fühle."
„Oh, es geht ihr schon viel besser. Und ich bin überzeugt, deine
Gesellschaft wird auch die letzten Spuren ihrer Kopfschmerzen ver-
treiben."
Es hatte jedoch bei ihrem Eintritt keineswegs den Anschein, als
ob Fräulein Eva sehr entzückt sei über den unerwarteten Besuch.
In der lässig-müden Haltung einer Leidenden ruhte sie in einen:
geflissentlich aus dem Lichtkreis der Deckenlampe gerückten Lehn-
stuhl, und der Gegengruß auf Goswins ritterlich teilnehmende An-
rede kam ziemlich matt von ihren Lippen. „Es trifft sich gut, daß
Sie gerade heute gekommen sind," fügte sie hinzu. „Nun kann ich
mich doch zurückziehen, ohne daß Martha in Gefahr wäre, vor Lang-
weile zu sterben."
Davon aber wollte die Freundin nichts hören. „Du mußt un-
bedingt bei uns bleiben, Eva. Wir wollen dich recht verhätscheln,
und Walter soll alle Register seiner Liebenswürdigkeit ziehen, um
dich aufzuheitern."
Sie ließ sich überreden, aber es konnte nicht ausbleiben, daß ihre
offen zur Schau getragene Verdrießlichkeit sich allgemach erkältend
auch auf die Stimmung der beiden anderen legte. Goswin zumal
schien bald alle gute Laune eingebüßt zu haben. Er wurde wort-
karg und fing an, bissige Bemerkungen zu machen. Seine Blicke
aber waren fast beständig in den: Halbdunkel, aus den: Evas weißes
Gesicht in seiner heute ganz unbeweglichen Schönheit leuchtete.

Etwa eiue halbe Stuude mochte seit seiner Ankunft vergangen sein,
als das Zimmermädchen in der Tür erschien, um eiue Anfrage der
Köchin auszurichten. Martha stand auf und bat um Entschuldigung,
daß sie auf einige Minuten in die Küche müsse. Sobald sich die
Tür hinter ihr geschlossen hatte, wandte sich Goswin au Eva. „Was
haben Sie nur? Ich erkenne Sie nicht mehr. Ist Ihnen jemand
zu nahe getreten?"
„Mir? Gott bewahre! Weshalb kümmern Sie sich überhaupt
um mich? Sie haben es doch auch während der letzten acht oder
zehn Tage nicht getan."
„Ist es das, Fräulein Eva? Sie zürnen mir wegen meines Aus-
bleibens?"
„Zürnen, wäre zuviel gesagt. Geärgert habe ich mich aller-
dings."
„Weil Sie mich vermißten?"
„O bitte, keine Mißverständnisse! Ich fand es nur höchst über-
flüssig, daß Sie mich meiner Freundin gegenüber in eine schiefe
Lage brachten. In Worten hat sie es ja nicht ausgesprochen; aber
ich bin fest überzeugt, daß Martha mich irgendwie für Ihre sonder-
bare Zurückhaltung verantwortlich machte."
„Wie konnte sie das? Sie kannte doch die Ursache, die nach
fernhielt."
„Ihre Arbeit? Ach, gehen Sie doch damit. Ein Verliebter, der
sich durch die Arbeit abhalten läßt, zu seiner Angebeteten zu ei!en!
Das gibt es doch gar nicht."
„Zuweilen schon. Und selbst wenn Martha die Entschuldigung
nicht Hütte gelten lassen wollen, wie wäre sie dazu gekommen, die
Ursache in Ihnen zu suchen?"
„Ich weiß nicht. Wir brauchen ja auch nicht weiter darüber zu
sprechen."
„Doch — ich möchte davon sprechen, Fräulein Eva. Es liegt mir
daran, klar zu sehen. Denn ich wäre sehr betrübt, wenn ich Ihnen in
Wahrheit Ungelegenheiten bereitet hätte."
„Wenn Sie den Zusammenhang nicht selbst erraten — sagen
kann ich es Ihnen nicht."
„Auch nicht, wenn ich Sie recht von Herzen darum bitte?"
„Also meinetwegen: Martha bildet sich ein, daß Sie nicht ge-
kommen sind, weil Sie Furcht hatten."
„Vor wem? Doch nicht vor Ihnen?"
„Vor mir — oder vor sich selbst. Es ist gewiß eine Albernheit,
aber ich bin ja nicht dafür verantwortlich."
Es gab eine kleine Stille. Die zwanglose Lässigkeit ihrer Haltung
offenbarte alle Schönheit ihres jungen Körpers. Mit heißem Blick
hingen Goswins Augen an ihren: süßen Gesicht. „Würden Sie mich
verdammen, wenn etwas Wahres an dieser Vermutung gewesen
wäre?" fragte er leise. Ein halblautes, spöttisches Kichern war ihre
einzige Antwort. „Warum lachen Sie, Eva? Scheint es Ihnen so
koinisch?"
„Ja, — sehr komisch. Und das ist jedenfalls besser, als wenn
ich mich beleidigt fühlte. Wozu ich ja auch einigermaßen berechtigt
wäre."
„Sie nehmen mich also nicht ernsthaft?"
„Sie so wenig wie irgendeinen von den Männern, die mir
bis jetzt begegnet sind. Wie können Sie das auch erwarten! Sie
glauben ja alle miteinander selbst nicht an das, was sie uns Frauen
sagen."
„Es könnte doch Ausnahmen geben."
„So? Sind Sie etwa eine solche Ausnahme? Glaubten Sie
vielleicht an das, was Sie mit Ihrer dreisten Frage anzudeuten
wagten? — Sie schweigen. Natürlich! Es ist sehr hübsch, einem
Mädchen gegenüber unter vier Augen ein wenig mit sündigen Worten
zu spielen. Daran, daß man hinterher aufs Gewissen nach ihrer
Bedeutung gefragt werden könnte, denkt man selbstverständlich
nicht. Das ist ja auch glücklicherweise im allgemeinen nicht die Ge-
wohnheit junger Mädchen."
„Sie sind ein wahrhaftiger kleiner Teufel — ein Teufel mit den
Zügen eines Engels."
„Kommen Sie schon wieder mit dem abgeschmackten Vergleich?
Fällt Ihnen denn gar kein besserer ein? Engel oder Teufel — das
sind, wie es scheint, die beiden einzigen Fächer, in denen ihr uns
unterzubringen wißt. Was für Gesichter ihr wohl aufsetzen würdet,
wenn wir es mit euch ebenso machten."
 
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