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Heft 2

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35

Die Pfadfinderinnen und der Krieg.
Von (Lmma Siropp.
ie Losung unserer Pfadfinderinnen: „Allezeit bereit", fand auch
während des Krieges Bestätigung. Auch unsere weibliche Jugend
erfüllte die neuen, nicht immer leichten Pflichten, der Allgemein-
heit zu dienen, die ihr durch den Krieg wurden. Dies war in besonderem
Maße dort möglich, wo vor¬
her schon Jugendvereini¬
gungen bestanden, die im
Frieden Knaben und Mäd¬
chen zu pflichtfrohem Ge¬
meinsinn zu erziehen und
bei ihren Wanderungen
nicht nur körperliche Kraft
zu stählen suchten, sondern
auch die Beobachtungsgabe
zu schärfen und schlum¬
mernde praktische Veran¬
lagungen zu wecken bedacht
waren.
Nach solchen Richtpunk¬
ten wirkte auch die Pfad¬
finderbewegung erzieherisch
vorbereitend und schaffte
fruchtbaren Boden, auf
dem sich die Mitarbeit der
Jugendlichen im Dienste
der Kriegswohlfahrt auf¬
bauen ließ. Sofort nach
Ausbruch des Krieges stell¬
ten sich Pfadfinder und
Pfadfinderinnen für Botengänge zur Verfügung, bei Sammlungen der
verschiedensten Art waren sie tätig. Sie schleppten schwere Pakete mit
Kleidungsstücken für Flüchtlinge, sammelten für die Lazarette Gaben,
und schafften leere Flaschen für die Mineralwasserversorgung der Truppen
herbei. So entfalteten die in zahlreichen
Ortsgruppen über ganz Deutschland verteilten
weiblichen Pfadfinder, den Anregungen der
Bundesvorsitzenden Frau Elise v. Hopfgarten
folgend, emsigste Tätigkeit in verschieden¬
sten Richtungen. Alles aufzählen zu wol¬
len, was da und dort an Arbeit geleistet
wurde, müßte doch bei aller Ausführlichkeit
lückenhaft bleiben. Statt dessen mögen nur
einige Formen der Tätigkeit näher besprochen
werden, um daran zu zeigen, in welch ver¬
schiedener Weise die Pfadfinderinnen ihre
Kriegspflichten auffassen und durchführen.
Von sozialen Gesichtspunkten geleitet, ver¬
legten sie ihr Arbeitsgebiet von Wald und
Flur zum Teil in die Räume der Wohlfahrts¬
einrichtungen, nahmen statt des Wander¬
stabes die Nähnadel oder die Schreibfeder in
die Hand. So geschah es in der Nähstube
für arbeitslose Mädchen des Leipziger Pfad¬
findervereins. Dort wurden 230 erwerbslose
Mädchen unterrichtet und beköstigt, die im
ganzen gegen 3170 Kleidungsstücke fertig¬
stellten. Während sechseinhalb Monaten wur¬
den der Gesamtzahl nach 6361 Mittagessen
an Frauen, die ihrer Entbindung entgegen¬
sahen, verteilt. Vielfach war es möglich, an
den durch lange Wochen beschäftigten arbeits¬
losen Mädchen durch Beispiel und gute Worte
Erziehungsarbeit zu üben. In Dresden ar¬
beiteten die Pfadfinderinnen in der Aus¬
kunftstelle des Noten Kreuzes mit, und
trugen so dazu bei, daß Verwundete und
Vermißte unserer Heere ermittelt wurden und ihren Angehörigen Aus-
kunft über ihr Verbleiben erteilt werden konnte. Die jungen Kräfte
bewährter: sich auch hier. Arbeit im Gartengelände zum Anbau von
Gemüsen und Obst, die in fast allen Ortsgruppen mit gutem Erfolg
angebahnt und durchgeführt werden konnte, liegt den Grundgedanken
der Vereinigungen näher. Schon vor dem Kriege waren in einigen
Städten Pfadfindergärten vorhanden, um den Großstadtmädchen körper-
liche Betätigung im Freien zu ermöglichen. An anderen Orten wurde,
gleich nach Kriegsausbruch oder im Frühjahr 1915 Gelände erworben

oder zum Gebrauch übernommen, damit auch die weibliche Jugend in
fleißiger Mitarbeit zur Lösung der Ernährungsfragen beitragen konnte.
Einige dieser Ortsgruppen sahen sich vor ganz besondere Schwierigkeiten
gestellt, wie in Wiesbaden, wo überaus unwirtliches Gelände, der so-
genannte „Steinacker" zwischen Dotzheim und Klarental, erst urbar zu
machen war. Dieser Boden trug seinen Namen nicht ohne Grund und
bot den emsigen Pfadfinderinnen Gelegenheit, Kenntnisse der verschie-
densten Unkrautarten beim Jäten zu erwerben. Aber es gelang doch,
Erbsen und Bohnen mit gu-
tem Erfolge anzupflanzen
und trotz der Trockenheit des
Vorsommers erfreulichen
Ertrag zu erzielen, der an
die Rote-Kreuz-Küche ab-
geliefert wurde. Mit Über-
windung ähnlicher Schwie-
rigkeiten wurde auch in
Dresden der Pfadfinder-
garten bestellt. Die Aus-
dauer und Mühe der jungen
Mädchen fand sich auch da
belohnt, denn auf einem
Stück Land von 900 Qua-
dratmetern konnte Obst und
Gemüse im Wert von
230 Mark geerntet werden.
Ein Gelände von etwa sechs
Ar wurde in Stuttgart von
der Stadtverwaltung gegen
geringe Pacht überlassen,-
auch hier entsprachen die
Erfolge den Erwartungen.
Gleiches läßt sich auch von
anderen Städten berichten, so von Frankfurt am Main, von Beuthen
in Oberschlesien, Hamburg, Gleiwitz, ebenso von Berlin, wo in Neu-
Babelsberg von der Bundesleitung ein Versuchsgarten angelegt wurde,
um Erfahrungen über die Arbeit im Freien an den Jugendlichen zu
machen. Diese Versuchsanlage, die eineinhalb
Morgen groß ist, konnte des ungünstigen
Sandbodens wegen gleichfalls nur mit Über-
windung beträchtlicher Schwierigkeiten ein-
gerichtet und bestellt werden. Auch hier wurde
es möglich, über 51 Zentner der verschiedenen
Gemüsesorten zu ziehen und ein kleineres Stück
anzulegen, in dem allerlei Heilpflanzen und
Küchenkräuter gediehen. Die Gartenarbeit der
Pfadfinderinnen wurde in allen Städten
durch das verständnisvolle Entgegenkommen
der staatlichen und städtischen Behörden unter-
stützt. Fahrtermäßigung nach den Vororten
wurden gewährt, Samen und Pflanzen, zum
Teil kostenlos, überlassen und Bewässerungs-
anlagen eingerichtet. Durch uneigennützige
Mitarbeit von Gartenbaulehrern, gartenkun-
digen Landfrauen und Lehrerinnen war es
möglich, daß die Pfadfinderinnen Deutschlands
nicht weniger als dreißig Morgen, zum Teil
höchst ungünstigen Landes mit Kriegsgemüse
bebauen konnten. Der gewonnene Ertrag
bildet gleichzeitig ein wertvolles Mittel, den
Anbau von Kriegsgemüsen in diesem Jahre
stärker zu betreiben, zumal auch durch die
Arbeit des Vorjahres der Boden verbessert
worden und gewonnene Erfahrungen sich als
wertvoll erwiesen. Das Verständnis der Groß-
stadtjugend für die Natur und die Erforder-
nisse des Pflanzenanbaues sind selbstverständ-
lich sehr gering. Doppelt anzuerkennen ist es
darum, daß es den Mühen der Leiterinnen
gelungen ist, Erfolge zu erzielen, die es wün-
schenswert erscheinen lassen, daß die Pfadfinderinnenbewegung immer
mehr an Ausdehnung gewinnt und daß auch die Mädchen minder bemit-
telter Schichten dafür gewonnen werden. Getreu dem Grundsatz: „Ohne
Unterschied von Stand und Bekenntnis" pflegen die Pfadfinderinnen
treue Kameradschaft. Sie erziehen zu freiwilliger Unterordnung und
werden immer mehr dazu beitragen, Klassenunterschiede zu überbrücken.
Leider fehlt es noch immer an einer genügenden Zahl von Persönlich-
keiten, die sich für die Bewegung entscheidend einsetzen, und auch an aus-
reichenden Mitteln, um die Mädchen der einfachen Stände einzureihen.



Verfuchsgarien der berliner Pfadfinderinnen in Neu-Sabelsberg.

Pfadfinderinnen auf der Wanderschaft.
Abkochen im Freien.
 
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