Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
HsstZ

DasBuchsürAÜL

59

und Schimpfen, dem unausgesetzten Schrillen der Telephone. Alles
im Hause war aufgestört, wirrte in Unruhe durcheinander» Es waren
Zeichen, die nicht trogen.
Fuhrparkkolonnen stauten und drängten sich im Ort, auf allen
Straßen und versperrten die Wege. Gräfin Gisela hatte es mit
eigenen Augen gesehen, als sie vom Weidhof nach Hause ging. Die
russischen Infanteriekolonnen, die auf der Ringstraße zogen, sahen
furchibar aus. Zn Eilmärschen schickte man sie gegen Tarnow.
Nächtelang blieben
sie ohne Schlaf.
Lehmbedeckt und ab-"
gerissen kamen sie
daher; ein Teil trug
statt der Flinten
nur Eichenknüppel.
Pfarrer Wallnöfer
meinte, dies seien
kürzlich erst einge¬
zogene, gar nicht
ausgebildete Leute.
Manche sagten, daß
sie bei der ersten Ge¬
legenheit zumFeinde
überlaufen wollten.
Als Gräfin Gi¬
sela davon sprach,
warnte die Mutter:
„Sei nicht unklug,
verbirg deine Freude
gut, die geringste
Äußerung muß in
der jetzigen Stunde
mehr als sonst Un¬
heil bringen, nie
waren unsere Gäste
gereizter als in die¬
sen Tagen."
„Sei beruhigt!
Heute sind wir ja
unbelauscht. Keiner
hat auch mehr Zeit,
sich mit Kleinigkeiten
abzugeben. Es ge¬
schehen größere Din¬
ge hinter unseren
Waldbergen, als wir
bisher ahnten. Un¬
sere Retter sind viel¬
leicht schon auf dem
Marsch."
„Möchtest du
recht haben, Gisela!
Wenn den Unseren
ein Durchbruch der
starken Front der
Russen glückt, wer
kann sagen, ob Nit
das Leben behält?
Ich zittere als Mut-

Wie oft sagtest du — damals, als der Vater starb: ,Das Leben ist
kein Leben zum Sterben, und das Sterben kein Sterben zum Tode.'"
„Die Mutter Gottes segne dich, mein Kind! Unser Leid sei uns
nur ein Zeichen des Führens und Sorgens dessen, der über uns
thront! Pfarrer Wallnöfer sprach ähnlich wie du im heutigen Morgen-
gebet: ,Es kann uns nichts geschehen, als was Er hat ersehen und
was uns selig ist.' Ich glaube dem Pfarrer, der mir sagte, du seiest
der Gemeinde ein guter Engel. Du wirst viel Herzeleid auf deinem
Gang gesehen ha-
ben."
„Ja, Mutter, aber
ich weiß auch, daß
alles wieder auf-
atmet. Der Bauer
Kuchinka im Weid-
hof ist außer Ge-
fahr, ich fand ihn
schon wieder im
Hofe. Unser Janak
hat sich gut bei ihm
erngearbeitet. Bo-
zona und die Bäue-
rin wissen ihn nicht
genug zu loben und
lassen dir ihren Dank
sagen."
„Es sind redliche
Leute, denen man
doppelt gern in
der Not hilft. Daß
es Radim Kuchinka
besser geht, erzählte
mir Hanöioka; auch
einen Roman hat
mir das Kind be-
richtet von dei-
nem Schützling Bo-
zona —"
„Du haft von Bola
gehört, der fort
mußte, und dem
Nachbar, der um
Bozona wirbt?"
DieMutter nickte.
„Ich vergaß, es
dir zu sagen, wir
hatten ja über Wich-
tigeres zu sprechen.
Oft denke ich an das
arme Mädchen und
sorge mich um ihre
Zukunft. Der Wit-
wer wird die Not-
lage der Weidhof-
bauersl eute zu nützen
suchen."
„Die braune Han-
oioka hörte, daß der
alte Kuchinka tief


Professor Grünwald.

ter auch im Glau¬
ben an den Sieg."
„All das fühle ich wohl; daß du dich auch um Prokop sorgst,
weiß ich, aber bin voll Glauben und froher Ahnungen. Gott gibt
uns den Sieg und schickt die Unseren als Erretter."
Gräfin Zita legte den Arm um die Tochter. „Du bist tapfer
und guten Mutes. Ich danke dir für jedes hoffnungsvolle Wort."
„Ich weiß, Mutter, daß es eine Prüfung ist, die uns auferlegt wird,
weiß, daß wir alle Schmerzensopfer bringen müssen. Hast du mich's
nicht selbst gelehrt: ,
Mas Gott gebeut, das musz geschehu;
Das Rechte wird der Herr verstehn.
Drum trage nur und frage nicht,
Drum wage nur und zage nicht?'

Heimkehr von der Ernte.

erbittert gegen den
Nachbar Kallnein
ist; er ist wütend über seine Russenfreundlichkeit."
„O, nun verstehe ich, daß Bozona heute unter Tränen lachte.
Mit der Niederlage der Russen wird auch ihr Kummer weichen.
Möchte es doch allen so gehen, die jetzt noch dulden und leiden!"
„Alle tragen wir an diesem Jammer. Keiner lebt um uns, dessen
Herz nicht bekümmert wäre. Als du heute in denWeidhof gingst, war ich
bei Frau v. Laszinska im benachbarten Dolina. Ein Offizier aus Odessa
hatte ihr ein herzergreifendes Bild unseres greisen Kaisers mitgebracht.
Es zeigt den Kaiser, das Haupt geneigt, in inbrünstigem Gebet."
„Von diesem Bild erzählte mir unser Pfarrer schon. War es
picht eine Photographie?"
 
Annotationen