Heft-4
DasVuchsürAlle
89
Phot. I. Bruckmann A.-G., München.
Albrecht Dürer. Rosenkranzfest.
stehen, und nun starrten sie wildfremde, weinrote Männer an, die
auf den blatternarbigen Offizier einsprachen, dem sie zuerst begegnet
war, Männer, die ihr zuwinkten, Augen, die sie zu betasten schienen —
winkende Hände, winkende, trunkene Augen, und dazwischen ein
Geplärr von fremden Worten, von denen sie nicht eines verstand.
Einer unter den lachenden Bezechten sah sie befremdend an und
redete, wie es schien, drohend auf die anderen ein. Dann kam er
auf sie zu. Sie duckte sich schreiend und hielt den blosten Arm ab-
wehrend vor die Augen.
Kein Schlag folgte. Die Offiziere stritten und kreischten. Miriam
wich schwankend nach der Tür. Da griffen zwei feste Arme nach
ihr und drückten sie auf einen Stuhl. Lin Herr schob ihr einen Teller
mit großen bunten reifen Früchten hin und sagte polnisch: „Ist,
Kind! Du Zitterst, weil du nichts im Leibe hast!" Langsam begriff
sie, dast der Bauer Kallnein sie verschleppt hatte ...
„Halt 's Maul, Andrei Pawlowitsch!" schrie Generalarzt Mazo-
wietsch und zog einen Stuhl dicht neben Miriam. Schön war sie. Angst
und Verwirrung machten sie nicht hästlicher. Die ängstliche Unsicher-
heit gab den glanzvollen dunklen Augen unter den langen schattenden
Wimpern einen verwirrenden Ausdruck, der eher anzog als abstiest.
„Rebekka! Komm, Täubchen! Rose von Saron! Komm zuerst
zu mir!" stotterte der trunkene Kriegsgerichtsrat. Der dicke Arzt
drängte den schwankenden Andrei zurück. „Sie soll doch erst tanzen,
altes Kamel!" Ein anderer höhnte: „Rose von Saron? — Seit
wann psalmierst du, langbeiniger Nikolai? Rose von Saron! Hat
man so was erlebt?"
Der Kriegsgerichtsrat schrie nach Würfeln: „Stör uns nicht,
Ssanin, mit deinem Gewäsch! — Ja, jawohl, auslosen must man
sie. Wer das Glück hat —"
„— führt die Braut heim!" grunzte der dicke Kasimir Mazowietsch
und schlug Miriam mit der fetten Hand auf die Schulter. Sie sprang
vom Stuhl und wich dem Dicken aus. Schallendes Gelächter.
„Nicht losen! Unsinn! Erst tanzt das Täubchen! Komm, schwarze
Elfe! — So — ahah ...!" Mit schnellem Griff fastte Obendorff nach
Miriam, zerrte und Zog sie in die Mitte der Stube. „Musik!" rief
er. „Hier tanzt man!"
Der lange Andrei suchte das Mädchen dem Kriegsgerichtsrat zu
eutreisten, andere hielten ihn zurück; der dicke Generalarzt rief be-
schwichtigend: „O la la, o la la! Im guten, Herrschaften! Nehmt
doch Vernunft an!" Niemand hörte auf ihn. Aus einem Arm ritz
man das Mädchen in den anderen; ein polnischer Fähnrich am
Klavier spielte einen Walzer.
Weit wurde die Türe aufgerissen, unbemerkt von den meisten
stand ein alter Jude schmutzbedeckt auf der Schwelle; hinter ihm
standen Kallnein und der Knecht Kracek. Der alte Schlojme Chaijm
stürzte auf den langen Andrei Pawlowitsch zu, der Miriam um die
Hüfte festhielt. Der Jude starrte die Tochter, den langen Andrei,
den er für den höchsten Offizier hielt, irr an und streckte seine kot-
DasVuchsürAlle
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Phot. I. Bruckmann A.-G., München.
Albrecht Dürer. Rosenkranzfest.
stehen, und nun starrten sie wildfremde, weinrote Männer an, die
auf den blatternarbigen Offizier einsprachen, dem sie zuerst begegnet
war, Männer, die ihr zuwinkten, Augen, die sie zu betasten schienen —
winkende Hände, winkende, trunkene Augen, und dazwischen ein
Geplärr von fremden Worten, von denen sie nicht eines verstand.
Einer unter den lachenden Bezechten sah sie befremdend an und
redete, wie es schien, drohend auf die anderen ein. Dann kam er
auf sie zu. Sie duckte sich schreiend und hielt den blosten Arm ab-
wehrend vor die Augen.
Kein Schlag folgte. Die Offiziere stritten und kreischten. Miriam
wich schwankend nach der Tür. Da griffen zwei feste Arme nach
ihr und drückten sie auf einen Stuhl. Lin Herr schob ihr einen Teller
mit großen bunten reifen Früchten hin und sagte polnisch: „Ist,
Kind! Du Zitterst, weil du nichts im Leibe hast!" Langsam begriff
sie, dast der Bauer Kallnein sie verschleppt hatte ...
„Halt 's Maul, Andrei Pawlowitsch!" schrie Generalarzt Mazo-
wietsch und zog einen Stuhl dicht neben Miriam. Schön war sie. Angst
und Verwirrung machten sie nicht hästlicher. Die ängstliche Unsicher-
heit gab den glanzvollen dunklen Augen unter den langen schattenden
Wimpern einen verwirrenden Ausdruck, der eher anzog als abstiest.
„Rebekka! Komm, Täubchen! Rose von Saron! Komm zuerst
zu mir!" stotterte der trunkene Kriegsgerichtsrat. Der dicke Arzt
drängte den schwankenden Andrei zurück. „Sie soll doch erst tanzen,
altes Kamel!" Ein anderer höhnte: „Rose von Saron? — Seit
wann psalmierst du, langbeiniger Nikolai? Rose von Saron! Hat
man so was erlebt?"
Der Kriegsgerichtsrat schrie nach Würfeln: „Stör uns nicht,
Ssanin, mit deinem Gewäsch! — Ja, jawohl, auslosen must man
sie. Wer das Glück hat —"
„— führt die Braut heim!" grunzte der dicke Kasimir Mazowietsch
und schlug Miriam mit der fetten Hand auf die Schulter. Sie sprang
vom Stuhl und wich dem Dicken aus. Schallendes Gelächter.
„Nicht losen! Unsinn! Erst tanzt das Täubchen! Komm, schwarze
Elfe! — So — ahah ...!" Mit schnellem Griff fastte Obendorff nach
Miriam, zerrte und Zog sie in die Mitte der Stube. „Musik!" rief
er. „Hier tanzt man!"
Der lange Andrei suchte das Mädchen dem Kriegsgerichtsrat zu
eutreisten, andere hielten ihn zurück; der dicke Generalarzt rief be-
schwichtigend: „O la la, o la la! Im guten, Herrschaften! Nehmt
doch Vernunft an!" Niemand hörte auf ihn. Aus einem Arm ritz
man das Mädchen in den anderen; ein polnischer Fähnrich am
Klavier spielte einen Walzer.
Weit wurde die Türe aufgerissen, unbemerkt von den meisten
stand ein alter Jude schmutzbedeckt auf der Schwelle; hinter ihm
standen Kallnein und der Knecht Kracek. Der alte Schlojme Chaijm
stürzte auf den langen Andrei Pawlowitsch zu, der Miriam um die
Hüfte festhielt. Der Jude starrte die Tochter, den langen Andrei,
den er für den höchsten Offizier hielt, irr an und streckte seine kot-