HeftS
DasBuchsüvAlls
lO7
etwas Erhabeneres kaum denkbar als das Bestreben eines Menschen, der
einmal der Versuchung unterlegen ist und sich dafür eine Strafe zuge-
zogen hat, durch alle seine Taten den Makel zu verwischen, der ihn drückt
und guält, und in einem Leben voller Selbstbeherrschung mit eisernem
Willen und in redlicher Arbeit seinen Platz unter den Geachteten zurück-
zuerobern. Wieviel Tausende ringen um die Erlösung von den Folgen
eines Fehltritts; wie viele Tausende, die einstmals einen Schritt vom
Wege getan haben, beweisen gerade gegenwärtig im Heldenkampf nimmer
ermüdende tätige Reue, beweisen, daß ihr Leben wertvoller und segens-
reicher ist als das manches anderen, den ein gütiges Geschick an einem
Abgrund glücklich vorüberführte, der vor der Versuchung, vor der Ge-
legenheit zum Verbrechen bewahrt blieb.
Solch tapfere Kämpfer verdienen unsere Hochachtung und, wo es
not tut, unsere beiden Hände, die sie leiten und führen sollen, wenn der
Weg einmal allzu steil werden will und die Kräfte zu erlahmen drohen.
Der Staat aber ist berufen, ihr mächtigster Förderer zu werden und
zu dem, der seine Schuld ehrlich abgebüßt hat, zu sagen: „Siehe, das
Alte ist vergangen." Dazu gehört indes vor allem der Krieg gegen zwei
gefährliche Feinde derer, die strebend um die Abkehr vom Schlechten sich
bemühen: gegen
den Ehrenrechts¬
verlust und das
Strafregister in
ihren heutigen
Formen.
Unser Straf¬
gesetzbuch befugt
denRichter, neben
Zuchthaus- und
unter Umstän¬
den auch neben
Gefängnisstrafen
dem Missetäter
die bürgerlichen
Ehrenrechte ab¬
zusprechen. Und
zwar kann sich
die Dauer dieses
Verlustes bis auf
zehn Jahre er¬
strecken, gerechnet
vom Tage der er¬
folgten Abbüßung
der Freiheitstrafe.
Die Folge ist zu¬
nächst der lebens-
länglicheZwangs-
verzicht auf alle
aus öffentlichen
Wahlen für den
Verurteilten her-
vorgegangenen Rechte, wie auf die öffentlichen Ämter, Titel und Ehren-
zeichen. Während der Dauer des Ehrenrechtsverlustes darf der Be-
troffene nicht in das Heer oder die Marine eintreten, er verliert das
aktive und passive Wahlrecht, er darf nicht Zeuge bei der Aufnahme von
Urkunden sein; desgleichen ist ihm das Amt eines Vormundes oder
Pflegers so lange verschlossen.
Damit wird der Rechtsbrecher, der seine Schuld in der Strafe ab-
gebüßt hat, auf eine hoffnungslos lange Zeitspanne auch weiterhin von
der Gesellschaft abgesondert. Die hieran geknüpfte Furcht, es möchte
ein Strafentlassener, der die Folgen seiner Tat selbst durch untadelige
Lebensführung nicht zu beseitigen vermag, in seiner Hilflosigkeit wieder
zum Verbrecher werden, erscheint nur allzu berechtigt. Anstatt neue
Brücken zu schlagen, die einen von redlichem Bemühen Beseelten den
Weg zur Achtung seitens der Mitmenschen führen, bricht das Gesetz
also selbst die Stege hinter dem Verurteilten ab. Hier will ein auf
besseren Stützen aufgebautes Strafrecht der nahen Zukunft helfend ein-
greifen.
Sind seit Erledigung der verhängten Freiheitstrafe zwei, beziehungs-
weise bei Zuchthaus drei Jahre verflossen, so soll das Gericht befugt
sein, dem zum Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte Verurteilten die
früheren Rechte wieder zuzubilligen. Voraussetzung bleibt aber, daß
der Verurteilte sich bis dahin ehrenhaft führte, einer besonderen Be-
rücksichtigung würdig zeigte und sich nach Kräften bemühte, den durch
die strafbare Handlung verursachten Schaden wieder gutzumachen. In
solchen Fällen erläßt das Gericht — meist wohl auf Antrag — einen
Beschluß, der den Verurteilten in die bürgerlichen Ehrenrechte wieder
einsetzt.
Die Schöpfer des Entwurfs gehen noch einen Schritt weiter auf
dem einmal betretenen Wege der Menschenfreundlichkeit. Ihre einsichts-
vollen Gedanken wenden sich nicht nur denen zu, denen ein Ehrenrechts-
verlust die Strafe besonders erschwert und zum Verhängnis macht. Es
sollen vielmehr alle Bestraften in ihrem Bemühen, des Schlechten Herr
zu werden und sich einen Anspruch auf Achtung zu erringen, durch Aus-
schaltung unnützer und grausamer Erinnerungen an die böse Vergangen-
heit gefördert werden. Heutigestags muß jeder Mensch, der einmal
gefehlt hat, stündlich fürchten, daß die alte Wunde frisch aufgerissen und
neugierigen und böswilligen Blicken gezeigt wird. Die Mutter, die als
Zeugin im Beisein ihres Kindes vor Gericht gefragt wird, ob sie schon
vorbestraft ist, muß einräumen, daß sie, selbst noch ein halbes Kind,
einmal dem Drang nach dem Besitz irgend eines närrischen Tandes
nicht zu widerstehen vermochte und darum vor Jahrzehnten wegen
Diebstahls einen Verweis erhielt. Kein vernünftiger Mensch wird einer
solchen Jugendsünde verurteilend gedenken. Aber die Kinder sind harte
und ungerechte Richter. Was Wunder, wenn da die Mutter in ihrer
Qual die erlittene Strafe verschweigt und damit einen falschen Eid
schwört.
Sind solche Grausamkeiten, für die sich die Beispiele verhundertfältigen
lassen, nötig, sind
sie erlaubt?
Ein anderes
Bild: Ein Fa-
milienvater hat
wegen irgend einer
Übeltat eine kurze
Freiheitstrafe ab-
zubüßen. Nach
seiner Entlassung
aus der Straf-
anstalt ist ihm,
dessen Vergehen
an seinem Wohn-
ort natürlich be-
kannt ist, die Stät-
te der bisherigen
Wirksamkeit ver-
leidet; er will den
Staub von den
Füßen schütteln
und anderorts,
wo man ihn und
sein Schicksal nicht
kennt, mit den
Seinen ein neues
Leben beginnen.
Aber wohin er sich
auch wendet, ein
Verräter seiner
Vergangenheit
verfolgt ihn auf
Schritt und Tritt: das Strafregister. Hier sind seine Sünden getreu-
lich gebucht; kein ehrbarer Wandel, kein Kampf, kein Sieg vermag sie
hier zu tilgen. Deshalb ist er überall geächtet, noch ehe er seinen Mit-
bürgern Achtung vor seinem makellosen Leben abnötigen konnte. Ein
zweites Unrecht des Rechts.
Mit freudigem Beifall lesen wir, daß das neue Gesetz auch hier auf
Abhilfe bedacht ist. „Der Verurteilte, der sich jahrelang gut geführt hat,
hat einen Billigkeitsanspruch darauf, nicht immer unter dem Druck einer
vielleicht nur geringfügigen Vorstrafe zu stehen, nicht besorgen zu müssen,
daß diese ihm in öffentlicher Gerichtssitzung vorgehalten und hierbei
etwch von einer interessierten Partei versucht werde, ihn öffentlich
bloßzustellen. Er kann verlangen, daß seine Vorstrafen nicht in die über
ihn erteilten polizeilichen Auskünfte aufgenommen, und daß nicht durch
ihr neuerliches Bekanntwerden seine bürgerliche oder wirtschaftliche
Stellung schwer geschädigt werde."
Ein gut Stück Weg voran auf den gewiesenen Pfaden führt uns da
ein Geschenk des Deutschen Kaisers, der zu seinem Geburtstag alle nach
Erlösung vom Strafregisterdruck Lechzenden mit teilweiser Erfüllung der
vom Volke geäußerten Wünsche bedacht hat.
Danach sollen alle in den Strafregistern eingetragenen Strafen, die
bis einschließlich den 27. Januar 1906 erkannt wurden, gelöscht werden.
Voraussetzung dafür sind freilich zwei einschränkende Bedingungen. Es
darf nämlich der Bestrafte keine anderen Strafen erhalten haben als
Gefängnis oder Festung bis zu höchstens einem Jahre. Weiter aber darf
gegen den Bestraften nach dem 27. Januar 19H6 bis zum 27. Januar 1916
nicht wieder wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich auf
Strafe erkannt sein. Denn gerade das Wohlverhalten des Verurteilten
soll ja die Löschung ermöglichen.
Phot. Presse-Centrale W. Braemer, Berlin.
Oie Griechen in Görlitz begeben sich zur Verpflegungsstelle.
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etwas Erhabeneres kaum denkbar als das Bestreben eines Menschen, der
einmal der Versuchung unterlegen ist und sich dafür eine Strafe zuge-
zogen hat, durch alle seine Taten den Makel zu verwischen, der ihn drückt
und guält, und in einem Leben voller Selbstbeherrschung mit eisernem
Willen und in redlicher Arbeit seinen Platz unter den Geachteten zurück-
zuerobern. Wieviel Tausende ringen um die Erlösung von den Folgen
eines Fehltritts; wie viele Tausende, die einstmals einen Schritt vom
Wege getan haben, beweisen gerade gegenwärtig im Heldenkampf nimmer
ermüdende tätige Reue, beweisen, daß ihr Leben wertvoller und segens-
reicher ist als das manches anderen, den ein gütiges Geschick an einem
Abgrund glücklich vorüberführte, der vor der Versuchung, vor der Ge-
legenheit zum Verbrechen bewahrt blieb.
Solch tapfere Kämpfer verdienen unsere Hochachtung und, wo es
not tut, unsere beiden Hände, die sie leiten und führen sollen, wenn der
Weg einmal allzu steil werden will und die Kräfte zu erlahmen drohen.
Der Staat aber ist berufen, ihr mächtigster Förderer zu werden und
zu dem, der seine Schuld ehrlich abgebüßt hat, zu sagen: „Siehe, das
Alte ist vergangen." Dazu gehört indes vor allem der Krieg gegen zwei
gefährliche Feinde derer, die strebend um die Abkehr vom Schlechten sich
bemühen: gegen
den Ehrenrechts¬
verlust und das
Strafregister in
ihren heutigen
Formen.
Unser Straf¬
gesetzbuch befugt
denRichter, neben
Zuchthaus- und
unter Umstän¬
den auch neben
Gefängnisstrafen
dem Missetäter
die bürgerlichen
Ehrenrechte ab¬
zusprechen. Und
zwar kann sich
die Dauer dieses
Verlustes bis auf
zehn Jahre er¬
strecken, gerechnet
vom Tage der er¬
folgten Abbüßung
der Freiheitstrafe.
Die Folge ist zu¬
nächst der lebens-
länglicheZwangs-
verzicht auf alle
aus öffentlichen
Wahlen für den
Verurteilten her-
vorgegangenen Rechte, wie auf die öffentlichen Ämter, Titel und Ehren-
zeichen. Während der Dauer des Ehrenrechtsverlustes darf der Be-
troffene nicht in das Heer oder die Marine eintreten, er verliert das
aktive und passive Wahlrecht, er darf nicht Zeuge bei der Aufnahme von
Urkunden sein; desgleichen ist ihm das Amt eines Vormundes oder
Pflegers so lange verschlossen.
Damit wird der Rechtsbrecher, der seine Schuld in der Strafe ab-
gebüßt hat, auf eine hoffnungslos lange Zeitspanne auch weiterhin von
der Gesellschaft abgesondert. Die hieran geknüpfte Furcht, es möchte
ein Strafentlassener, der die Folgen seiner Tat selbst durch untadelige
Lebensführung nicht zu beseitigen vermag, in seiner Hilflosigkeit wieder
zum Verbrecher werden, erscheint nur allzu berechtigt. Anstatt neue
Brücken zu schlagen, die einen von redlichem Bemühen Beseelten den
Weg zur Achtung seitens der Mitmenschen führen, bricht das Gesetz
also selbst die Stege hinter dem Verurteilten ab. Hier will ein auf
besseren Stützen aufgebautes Strafrecht der nahen Zukunft helfend ein-
greifen.
Sind seit Erledigung der verhängten Freiheitstrafe zwei, beziehungs-
weise bei Zuchthaus drei Jahre verflossen, so soll das Gericht befugt
sein, dem zum Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte Verurteilten die
früheren Rechte wieder zuzubilligen. Voraussetzung bleibt aber, daß
der Verurteilte sich bis dahin ehrenhaft führte, einer besonderen Be-
rücksichtigung würdig zeigte und sich nach Kräften bemühte, den durch
die strafbare Handlung verursachten Schaden wieder gutzumachen. In
solchen Fällen erläßt das Gericht — meist wohl auf Antrag — einen
Beschluß, der den Verurteilten in die bürgerlichen Ehrenrechte wieder
einsetzt.
Die Schöpfer des Entwurfs gehen noch einen Schritt weiter auf
dem einmal betretenen Wege der Menschenfreundlichkeit. Ihre einsichts-
vollen Gedanken wenden sich nicht nur denen zu, denen ein Ehrenrechts-
verlust die Strafe besonders erschwert und zum Verhängnis macht. Es
sollen vielmehr alle Bestraften in ihrem Bemühen, des Schlechten Herr
zu werden und sich einen Anspruch auf Achtung zu erringen, durch Aus-
schaltung unnützer und grausamer Erinnerungen an die böse Vergangen-
heit gefördert werden. Heutigestags muß jeder Mensch, der einmal
gefehlt hat, stündlich fürchten, daß die alte Wunde frisch aufgerissen und
neugierigen und böswilligen Blicken gezeigt wird. Die Mutter, die als
Zeugin im Beisein ihres Kindes vor Gericht gefragt wird, ob sie schon
vorbestraft ist, muß einräumen, daß sie, selbst noch ein halbes Kind,
einmal dem Drang nach dem Besitz irgend eines närrischen Tandes
nicht zu widerstehen vermochte und darum vor Jahrzehnten wegen
Diebstahls einen Verweis erhielt. Kein vernünftiger Mensch wird einer
solchen Jugendsünde verurteilend gedenken. Aber die Kinder sind harte
und ungerechte Richter. Was Wunder, wenn da die Mutter in ihrer
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schwört.
Sind solche Grausamkeiten, für die sich die Beispiele verhundertfältigen
lassen, nötig, sind
sie erlaubt?
Ein anderes
Bild: Ein Fa-
milienvater hat
wegen irgend einer
Übeltat eine kurze
Freiheitstrafe ab-
zubüßen. Nach
seiner Entlassung
aus der Straf-
anstalt ist ihm,
dessen Vergehen
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ort natürlich be-
kannt ist, die Stät-
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Wirksamkeit ver-
leidet; er will den
Staub von den
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und anderorts,
wo man ihn und
sein Schicksal nicht
kennt, mit den
Seinen ein neues
Leben beginnen.
Aber wohin er sich
auch wendet, ein
Verräter seiner
Vergangenheit
verfolgt ihn auf
Schritt und Tritt: das Strafregister. Hier sind seine Sünden getreu-
lich gebucht; kein ehrbarer Wandel, kein Kampf, kein Sieg vermag sie
hier zu tilgen. Deshalb ist er überall geächtet, noch ehe er seinen Mit-
bürgern Achtung vor seinem makellosen Leben abnötigen konnte. Ein
zweites Unrecht des Rechts.
Mit freudigem Beifall lesen wir, daß das neue Gesetz auch hier auf
Abhilfe bedacht ist. „Der Verurteilte, der sich jahrelang gut geführt hat,
hat einen Billigkeitsanspruch darauf, nicht immer unter dem Druck einer
vielleicht nur geringfügigen Vorstrafe zu stehen, nicht besorgen zu müssen,
daß diese ihm in öffentlicher Gerichtssitzung vorgehalten und hierbei
etwch von einer interessierten Partei versucht werde, ihn öffentlich
bloßzustellen. Er kann verlangen, daß seine Vorstrafen nicht in die über
ihn erteilten polizeilichen Auskünfte aufgenommen, und daß nicht durch
ihr neuerliches Bekanntwerden seine bürgerliche oder wirtschaftliche
Stellung schwer geschädigt werde."
Ein gut Stück Weg voran auf den gewiesenen Pfaden führt uns da
ein Geschenk des Deutschen Kaisers, der zu seinem Geburtstag alle nach
Erlösung vom Strafregisterdruck Lechzenden mit teilweiser Erfüllung der
vom Volke geäußerten Wünsche bedacht hat.
Danach sollen alle in den Strafregistern eingetragenen Strafen, die
bis einschließlich den 27. Januar 1906 erkannt wurden, gelöscht werden.
Voraussetzung dafür sind freilich zwei einschränkende Bedingungen. Es
darf nämlich der Bestrafte keine anderen Strafen erhalten haben als
Gefängnis oder Festung bis zu höchstens einem Jahre. Weiter aber darf
gegen den Bestraften nach dem 27. Januar 19H6 bis zum 27. Januar 1916
nicht wieder wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich auf
Strafe erkannt sein. Denn gerade das Wohlverhalten des Verurteilten
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Phot. Presse-Centrale W. Braemer, Berlin.
Oie Griechen in Görlitz begeben sich zur Verpflegungsstelle.
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