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DasBuchfürAlle
„Ich beschwöre dich, Kracek! Sag, was ich tun soll! Was ich
tun kann, alles will ich tun, alles!"
Der verschlagene, bezahlte Knecht suchte ihr beizubringen, daß
ihr nichts anderes bliebe, als Kallnein um Hilfe zu bitten. Immer
wieder sagte er: „Nur er kann dir helfen, er steht gut mit den Richtern
— alle hat er sie in der Hand."
Das gequälte Mädchen sah einen Ausweg, es forschte nicht nach
Gründen, die Kracek haben konnte; sie sah einen Schimmer von
Hoffnung und glaubte ihm. Sie vergaß die ihr angetane Schmach,
ihren Groll und war bereit, wenn auch mit kaum unterdrücktem
Abscheu, Wege zu gehen, die sie sonst nie gegangen wäre. Unter-
wegs fühlte sie klar, was sie opfern mußte, um den Bauern für
sich zu gewinnen. Wenn sie dem Vater das Leben retten konnte,
mußte geschehen, was Kallnein verlangte.
Der Nachbar hatte sie erwartet; in ihrem Kummer merkte sie
nicht, daß er den Überraschten spielte, und nahm seine Worte für echt.
US
„So solltest du nicht reden, Bozäna! Hab' dich's oft genug wissen
lassen, wie es um mich steht, daß ich wünschte, wir zwei ver-
stünden uns besser. Und dein Vater war auch dafür, im Anfang
wenigstens. Jetzt freilich — ja, zum Geier! Kann "ich denn dafür,
daß ihn die Russen ausgeplündert haben? Wär' mir nicht anders
gegangen, wenn ich auch nur noch ein Stück Vieh gesund im Stall
hätt'! He, damit war ich für dich und ihn abgetan." Er sah, daß
dem Mädchen die Beine versagten, änderte den Ton und sagte:
„Aber so setz dich doch, Bozsna! Ich hol' süßen Wein, sollst dich
stärken, wenn mich auch dein Vater einen Russenknecht geschimpft
hat —" Er lachte gekünstelt.
„Gesagt hat er's nie."
„Aber gedacht. Brauchst nicht zu glauben, daß ich blind
bin —"
„Kallnein, Ihr wißt, daß ich zu Euch komm', weil Ihr gut steht
mit den Russen, daß sie auf Euch hören, wenn Ihr nur wollt —"
Phot. Hofphotograph G. Berger, Potsdam.
Der Kaiser an der Westfront bei General v. Delow.
„Ein seltener Besuch, das muß ich sagen! Und nicht zur besten
Zeit. Ein Wunder, daß du den Weg zu mir findest. Ja, ja,
jedes hat heut vor allem mit sich zu tun; weiß wahrhaftig nicht,
wo mir der Kopf steht. Höre nur, wie sie schießen! Wie nah'
sie sein müssen! Sollte mich nicht wundern, wenn die eigenen
Leute uns noch das Dach überm Kopf anzünden. Eine böse
Zeit."
„Ihr wißt doch, warum ich komme, Kallnein?"
Er tat sehr erstaunt. „Was soll ich wissen? Daß du heut, wo
alles drunter und drüber geht...? Warte doch! — Ja, heut ist ja der
Tag, wo sie deinem Vater. . . Ja, ja, das ist's. Ich weiß, daß
du darum zu mir kommst. Wären die Ungarn schneller gewesen,
wäre deinem Vater noch zu helfen gewesen. Aber sie werden nicht
kommen. Du wirst es sehen, sie kommen nicht. Deinen Vater werden
sie nicht mehr vor den Russen retten. Alles in der Welt geht seinen
Gang."
„Kallnein! Ihr habt kein Herz im Leib. Der Kracek hat gelogen,
jetzt weiß ich es, er hat gelogen; er sagte, Ihr könnt den Vater
retten. Ihr allein, und nun redet Ihr so, als ginge Euch alles
nichts an."
„Natürlich! Hab' keine Lust gehabt, mir alles zugrund richten
zu lassen; die Herren haben sich wohl im Haus gefühlt. Sind auch
nicht das letzte Mal dagewesen. Laß dich nicht irr machen! Was
die Tarnower Juden erzählen, ist alles erlogen. Der starke Russe
bleibt hier!"
„Kallnein! Weicht mir nicht aus! Die Sorge um den Vater
führt mich zu Euch; davon will ich reden —"
„Das ist nicht übers Knie zu brechen, der Kriegsgerichtsrat schläft
noch, den weckt kein Kanonendonner. Er ist mein Freund. Ja, ja,
ich könnt' gewiß was tun. Das schon! Aber du weißt doch —" Er
sah das Mädchen verlangend an. „Ich sollte glauben, eine Liebe
wär' der anderen wert."
Bozäna sah beklommen in Kallneins glänzende Augen. Er nötigte
sie, sich vor den Tisch zu setzen, nahm einen Stuhl und rückte näher
an sie heran.
Sie wand ihr tränennasses Tuch zwischen den Fingern. „Kallnein,"
sagte sie, „vergeßt nicht, daß mein Liebster gefallen ist. Ich weiß,
was Ihr wollt. Könnt Jhr's übers Herz bringen, mich jetzt zu
quälen? Laßt mir Zeit, ich bitt' Euch, tut das. Sagt, daß Ihr
helfen wollt, und ich will nicht undankbar sein." (Fortsetzung folgt.)
DasBuchfürAlle
„Ich beschwöre dich, Kracek! Sag, was ich tun soll! Was ich
tun kann, alles will ich tun, alles!"
Der verschlagene, bezahlte Knecht suchte ihr beizubringen, daß
ihr nichts anderes bliebe, als Kallnein um Hilfe zu bitten. Immer
wieder sagte er: „Nur er kann dir helfen, er steht gut mit den Richtern
— alle hat er sie in der Hand."
Das gequälte Mädchen sah einen Ausweg, es forschte nicht nach
Gründen, die Kracek haben konnte; sie sah einen Schimmer von
Hoffnung und glaubte ihm. Sie vergaß die ihr angetane Schmach,
ihren Groll und war bereit, wenn auch mit kaum unterdrücktem
Abscheu, Wege zu gehen, die sie sonst nie gegangen wäre. Unter-
wegs fühlte sie klar, was sie opfern mußte, um den Bauern für
sich zu gewinnen. Wenn sie dem Vater das Leben retten konnte,
mußte geschehen, was Kallnein verlangte.
Der Nachbar hatte sie erwartet; in ihrem Kummer merkte sie
nicht, daß er den Überraschten spielte, und nahm seine Worte für echt.
US
„So solltest du nicht reden, Bozäna! Hab' dich's oft genug wissen
lassen, wie es um mich steht, daß ich wünschte, wir zwei ver-
stünden uns besser. Und dein Vater war auch dafür, im Anfang
wenigstens. Jetzt freilich — ja, zum Geier! Kann "ich denn dafür,
daß ihn die Russen ausgeplündert haben? Wär' mir nicht anders
gegangen, wenn ich auch nur noch ein Stück Vieh gesund im Stall
hätt'! He, damit war ich für dich und ihn abgetan." Er sah, daß
dem Mädchen die Beine versagten, änderte den Ton und sagte:
„Aber so setz dich doch, Bozsna! Ich hol' süßen Wein, sollst dich
stärken, wenn mich auch dein Vater einen Russenknecht geschimpft
hat —" Er lachte gekünstelt.
„Gesagt hat er's nie."
„Aber gedacht. Brauchst nicht zu glauben, daß ich blind
bin —"
„Kallnein, Ihr wißt, daß ich zu Euch komm', weil Ihr gut steht
mit den Russen, daß sie auf Euch hören, wenn Ihr nur wollt —"
Phot. Hofphotograph G. Berger, Potsdam.
Der Kaiser an der Westfront bei General v. Delow.
„Ein seltener Besuch, das muß ich sagen! Und nicht zur besten
Zeit. Ein Wunder, daß du den Weg zu mir findest. Ja, ja,
jedes hat heut vor allem mit sich zu tun; weiß wahrhaftig nicht,
wo mir der Kopf steht. Höre nur, wie sie schießen! Wie nah'
sie sein müssen! Sollte mich nicht wundern, wenn die eigenen
Leute uns noch das Dach überm Kopf anzünden. Eine böse
Zeit."
„Ihr wißt doch, warum ich komme, Kallnein?"
Er tat sehr erstaunt. „Was soll ich wissen? Daß du heut, wo
alles drunter und drüber geht...? Warte doch! — Ja, heut ist ja der
Tag, wo sie deinem Vater. . . Ja, ja, das ist's. Ich weiß, daß
du darum zu mir kommst. Wären die Ungarn schneller gewesen,
wäre deinem Vater noch zu helfen gewesen. Aber sie werden nicht
kommen. Du wirst es sehen, sie kommen nicht. Deinen Vater werden
sie nicht mehr vor den Russen retten. Alles in der Welt geht seinen
Gang."
„Kallnein! Ihr habt kein Herz im Leib. Der Kracek hat gelogen,
jetzt weiß ich es, er hat gelogen; er sagte, Ihr könnt den Vater
retten. Ihr allein, und nun redet Ihr so, als ginge Euch alles
nichts an."
„Natürlich! Hab' keine Lust gehabt, mir alles zugrund richten
zu lassen; die Herren haben sich wohl im Haus gefühlt. Sind auch
nicht das letzte Mal dagewesen. Laß dich nicht irr machen! Was
die Tarnower Juden erzählen, ist alles erlogen. Der starke Russe
bleibt hier!"
„Kallnein! Weicht mir nicht aus! Die Sorge um den Vater
führt mich zu Euch; davon will ich reden —"
„Das ist nicht übers Knie zu brechen, der Kriegsgerichtsrat schläft
noch, den weckt kein Kanonendonner. Er ist mein Freund. Ja, ja,
ich könnt' gewiß was tun. Das schon! Aber du weißt doch —" Er
sah das Mädchen verlangend an. „Ich sollte glauben, eine Liebe
wär' der anderen wert."
Bozäna sah beklommen in Kallneins glänzende Augen. Er nötigte
sie, sich vor den Tisch zu setzen, nahm einen Stuhl und rückte näher
an sie heran.
Sie wand ihr tränennasses Tuch zwischen den Fingern. „Kallnein,"
sagte sie, „vergeßt nicht, daß mein Liebster gefallen ist. Ich weiß,
was Ihr wollt. Könnt Jhr's übers Herz bringen, mich jetzt zu
quälen? Laßt mir Zeit, ich bitt' Euch, tut das. Sagt, daß Ihr
helfen wollt, und ich will nicht undankbar sein." (Fortsetzung folgt.)