leuchtende Bakterien. Von Ewald Schild.
Mit vier Abbildungen.
etritt man zur Nachtzeit einen Raum, in dem mehrere Tage lang
tote Seefische oder Schlachtviehfleisch aufbewahrt wurden, so kann
man auf einzelnen Fleischstücken ziemlich Helle, grünlichweiß leuch¬
tende Punkte wahrnehmen,- die Helligkeit, die von ihnen ausgeht, erlaubt
die Umrisse des Fleischstückes zu erkennen.
Diese eigenartige Erscheinung wurde schon in längst vergangenen
Zeiten beobachtet; der alte griechische Philosoph Aristoteles kannte das
Leuchten des Schlachtfleisches und toter Seefische. Die
erste Beschreibung darüber lieferte 1592 Hieran Fabricius
ab Aquapendente, der um die Osterzeit in Padua leuch-
tende Stücke eines in der Fleischbank gekauften Lammes
beobachtete. 1646 beschrieb Bartholinus dies Phänomen,
und ein Vierteljahrhundert später begann ihm Robert
Bayle seine Aufmerksamkeit zu widmen. Neuere Unter-
suchungen, die im 19. Jahrhundert erfolgten, erbrachten
die Einsicht, daß jenes auffallende Leuchten von Fischen
und Fleisch durch „leuchtende", phosphoreszierende Bak-
terien hervorgerufen wird. Die überall auf dem Fleisch
geschlachteter Tiere auftretende Leuchtbakterie tritt in
Kokken- und Stäbchenform auf und ist unbeweglich (Abb. 1).
Die einzelnen, mit freiem Auge wahrnehmbaren Licht-
punkte sind Kolonien gewisser Arten
lichtproduzierender Bakterien, welche
sich nicht unmittelbar nach dem Schlachten einstellen;
sie treten erst auf, wenn das Fleisch sich dem ersten
Fäulnisgrad nähert, dann gelangen die Bakterien zu
üppiger Entwicklung.
Nach herkömmlicher allgemeiner Auffassung gilt
diese Erscheinung als selten vorkommend, man glaubt,
sie könne nur unter ganz bestimmten Umständen auf-
treten. Genauere Untersuchungen, die in neuerer Zeit
gemacht wurden, haben darüber Klarheit geschaffen,
daß die Leuchtbakterien zu den verbreitetsten Spalt-
pilzen gehören; sie finden sich nicht nur auf dem
Fleisch in den Eiskellern der Markthallen und Schlacht-
häuser, sondern auch dort, wo im Hause Fleisch von
Schlachttieren aufbewahrt wird.
Wenn man nach den in der Bakteriologie üb-
lichen planmäßigen Arbeitsweisen mit einer keim-
freien Platinnadel ein wenig von der leuchtenden
Substanz eines beliebigen Fleischstückes — den Leucht-
bakterien — in Gläschen mit einem geeigneten künst-
lichen, gleichfalls keimfreien Nährsubstrat, der soge-
nannten Nährgelatine, „impft", gelingt es, „Rein-
kulturen" von Leuchtbakterien zu züchten, an denen
sich ihre Eigenschaften beobachten lassen. Die „Leucht¬
bakterien" senden einen Teil der Energie, die ihre Zellen
verläßt, als Lichtstrahlen aus. Ein „Leuchtstoff" wird aber
nicht ausgeschieden, nur die Zellen selbst leuchten. Aber
die Mechanik des Wachstums der Bakterienzelle ist kaum
etwas bekannt. Die Bakterien bedürfen zum Wachstum
und Leuchten außer einem Nährboden eines gewissen
Salzgehalts des Substrates. Werden sie auf Peptonnähr-
böden ohne besondere Kohlenstoffquelle gezüchtet, so können
sie nicht leuchten; bringt man aber nur einen Tropfen
Zuckerlösung hinzu, so erfolgt sofortiges Aufleuchten, ein
Zeichen, daß Wachstum und Leuchten nicht Hand in Hand
zu gehen brauchen. So wurde auch beobachtet, daß jenes
Leuchten verloren gehen kann, und zwar dauernd, ohne daß
sich das Wachstum darum verringerte. Das von solchen
Kulturen ausstrahlende Licht ist unter günstigen Bedin-
gungen so kräftig, daß sich Keimlinge höherer Pflanzen
nach ihm hinkrümmen können, wenn man sie unter völligem Abschluß
anderer Lichtstrahlen nur dem Licht einer Leuchtbakterienkultur aussetzt.
Nach ein bis zwei Tagen wenden sich die Keimlinge zum Bakterienlicht,
krümmen sich also „heliotropisch". Ein Wachstum der Pflanzen in diesem
„Licht" ist indes nicht möglich. Die Messung der Intensität, der „Stärke",
des Organismenlichtes ist noch sehr unsicher bestimmt. Mit dem Fett-
fleckphotometer gemessen, ergab eine Fläche von einem Quadratmillimeter
einer leuchtenden Kolonie von Vibrio Kumpel nur 0,000000000785 Hefner-
kerzenstärke, so daß eine Fläche von 2000 Quadratmeter erst dem Licht
einer Hefnerkerze gleichkäme. Zu vergleichenden Jntensitütsbestimmungen
ist vielleicht die photographische Methode geeignet, indes nur bei Formen,
die gleiches Spektrum — gleiches Farbenbild der Lichtbeschaffenheit —
und gleiche Kräfteverteilung im Spektrum haben, da ja die photographischen
Platten nur für bestimmte Lichtwellenlängen empfindlich sind. Das Licht
von Leuchtbakterien, das so viel wie keiner Wärmeproduktion fähig ist,
wirkt durch seinen Reichtum an blauen Strahlen auf die photographische
Platte; schon nach einer Sekunde Belichtungszeit tritt bei der Entwicklung
deutlich Schwärzung auf der Platte ein. So gelingt es auch, Kulturen
von Leuchtbakterien im eigenen Licht zu photographieren; zur Erzielung
guter Bilder ist wegen der geringen Lichtstärke des Bakterienlichts
stundenlange Belichtungsdauer erforderlich (Abb. 2 und 3).
Wiederholt wurde von verschiedenen Forschern ver-
sucht, Bakterienlicht auch praktisch zu verwerten. Die
Bakterienlampe könnte wegen der Gefahrlosigkeit ihres
kalten Lichtes vielleicht in Pulverkammern Verwendung
finden (Abb. 4). Doch auch hier ergeben sich noch Schwie-
rigkeiten. Die Bildung der „Photogene", der Leuchtstoffe,
wird bei höherer Temperatur herabgesetzt, während er-
wartet werden durfte, daß gleiche Mengen Photogen bei
höheren Wärmegraden stärker leuchten werden als bei
niedereren; doch fehlen darüber verläßliche Beobachtungen.
Für Bakterien als Gesamtheit gilt, daß sich ihre Lebens-
tätigkeit zwischen den Temperaturgrenzen 0 bis 70 Grad
abspielt; bei den einzelnen Arten sind die Grenzen viel
näher gerückt, und die Lebenstätigkeit vieler bewegt sich
in den Grenzen von 3 bis 45 Grad.
Die lichterregenden Spaltpilze haben, im vollsten
Gegensatz zu anderen Bakterien, für den
menschlichen Organismus keine krankheits-
erregenden — pathogenen — Eigenschaften.
Bis jetzt ist noch kein Fall bekannt geworden,
wo der Genuß von Fleisch, das vor der Zu-
bereitung leuchtete, irgend eine Erkrankung
zur Folge gehabt hätte. Dies erklärt sich
dadurch, daß Leuchtbakterien schon bei
30 Grad Celsius absterben; unsere normale
Körpertemperatur beträgt 37 Grad Celsius.
Aber das Zustandekommen des Leuch-
tens dieser Bakterien konnte durch bis-
herige Untersuchungen festgestellt werden,
daß ein Orydationsprozeß vorliegt. Unter
Orydation im engeren Sinne versteht man
chemische Vorgänge, bei welchen Sauerstoff
in Reaktion — in Gegenwirkung — tritt;
die hierbei entstehenden Stoffe nennt man
Orydationsprodukte. Welcher Stoff eigent¬
lich der Träger der Lichterscheinung ist,
oder auf welchen chemischen Vorgängen sie beruht, ist noch dunkel. Manche
Forscher nehmen an, daß in den Bakterien ein besonderer Stoff — Photo-
gen — gebildet werde, auf dessen Gegenwart das Leuchten zurückzu-
führen sei; andere vertreten die Ansicht, daß es, ohne
besondere Leuchtstoffbildung, lediglich eine physiologische
Tätigkeit der Bakterienzelle sei. Feststehend ist, daß die
Lichterscheinungen erlöschen, wenn die Bakterien un-
günstigen Lebensbedingungen ausgesetzt oder getötet wer-
den, zum Unterschied des von tierischen Körpern abgeson-
derten Leuchtstoffes, der auch außerhalb des Tierkörpers
die Fähigkeit zu leuchten behält.
Schmetterlinge als „Zugvögel". - Bis zur Stunde
konnte man sich über die. Gründe der merkwürdigen
Massenwanderungen verschiedener Schmetterlingsarten
nicht klar werden. Schon ältere, vor vierzig Jahren unter-
nommene Feststellungen ergaben, daß sich unter neunzehn
wandernden Schmetterlingen achtzehn Weibchen befanden,
die alle voll von Eiern waren. Nicht selten zeigten sich nach solchen, oft
viele Hunderttausende starken Zügen überraschende Mengen von Rau-
pen; aber auch darüber wurden Beobachtungen gemacht, daß keine auf-
fallende Vermehrung der Raupen nach Massenzügen eingetreten ist. Auch
läßt sich bis heute keinerlei Regelmäßigkeit in den Wanderungen der
Schmetterlinge behaupten.
Die Beobachtung solcher Züge ist nicht neu; verschiedene Arten, dar-
unter am häufigsten den Distelfalter, sah man schon in den Jahren 1741,
1826 und 1857 bei Turin und an anderen Orten in großen Mengen
fliegen. In neuerer Zeit sah man gewaltige Schmetterlingschwürme im
Abb. 4. Leuchtbakterien
im mikroskopischen Bild bei
äooosacher Vergrößerung.
Abb. 2.
Reagenzglaskultur
von Leuchtbakterien,
in ihrem eigenen Licht
photographiert.
Abb. 3. Doppelschalenkultur von
Leuchtbakterien, in ihrem eigenen
Licht ausgenommen.
Abb. 4. Leuchtbakterienlampe.
Im eigenen Licht photographiert.