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128_DasBuchsüvAlk Best H

Oer Eintagsminister.
Humoreske von K. Greggersen.
n Nachdenken verloren saß der Advokat Armand Tarte vor
H seinem unförmigen, längst aus der Mode gekommenen Schreib-
tisch. Zahlenübersüte Papiere lagen über die große Platte ver-
streut; mit sorgenvoller Miene starrte er auf den Wust, der sich vor
ihm auftürmte. Ab und zu nahm er ein Blatt und suchte, sich
durch die endlosen Zahlenreihen zu finden, er griff Briefe und
Rechnungen auf; Drohungen und unverblümte Mahnungen von
allen Größen, deren kleine Beträge zu großen Forderungen Zu-
sammenflüssen, erpreßten ihm hoffnungslose Seufzer. Da hörte
Armand Tarte scharrende Tritte vor der Tür. Jemand räusperte
sich. Endlich klopfte es.
Freudiges Erschrecken glitt über Tartes verwelkte Züge. „Hoffent-
lich ein Klient!?" murmelte er. „Der vierte seit Eröffnung meiner
Praxis! — Na... herein!"
In der Tür erschien kein Klient, es war nur der alte Hilfschreiber
Gaspare. Unter dem
Arm trug er ein dickes
Aktenstück, hinter den
etwas zu großen Ohren
steckte ein Federhalter,
über seine schmalen
Lippen kam die Mel¬
dung: „Verzeihen Sie
gütigst, aber es ist je¬
mand da, der Sie unter
allen Umständen zu
sprechen wünscht. Er
läßt sich mit keinerlei
Gründen abweisen, ist
nicht von der Stelle
zu bringen. Es machte
nicht den geringsten
Eindruck auf ihn, ob¬
gleich ich ihm wieder¬
holt sagte, daß Sie
augenblicklich von dem
Prozeß Gobineaud ge¬
gen Parker Tag und
Nacht in Anspruch ge¬
nommen seien und
keinen Besuch anzu¬
nehmen vermöchten."
Tarte fuhr auf. „Das hast du gut gemacht, lieber Gaspare.
Hoffentlich ist es ein Klient, der Zutrauen zu mir faßte; seine Hart-
näckigkeit läßt darauf schließen. Lasse ihn schnell hereinkommen. Du
bist langsamer als eine Schnecke. Der Herr kann sofort eintreten."
„Sehr wohl!" erwiderte Gaspare verwundert und schlüpfte zur
Tür hinaus. Tarte raffte einige Bündel Akten zusammen und suchte
den Schein zu erwecken, als studiere er eifrig. Bald darauf trat ein
Herr ein. Tarte blickte gar nicht auf.
„Ich bin sehr beschäftigt, meinHerr!" sagte er, indem er sich noch
tiefer über die Akten beugte, „Einer meiner Angestellten wird es
Ihnen schon gesagt haben. Ich kann Ihnen kaum mehr als fünf
Minuten Zeit geben. Sie müssen mir, fürs erste wenigstens, alles,
was Ihren Fall angeht, kurz und gedrängt vortragen. Glauben
Sie, dies nicht zu können, so muß ich bedauern und Sie an einen
meiner Kollegen verweisen."
Tarte blickte auf und sah sich einem elegant gekleideten Herrn
gegenüber, einem Menschen mit Manieren, deren Formen nicht
vertrauenerweckend schienen. Der Advokat erschrak: „Herr Gaillard,
wenn ich nicht irre?"
„Sie irren nicht!" war die frostige, nichts Erfreuliches verkündende
Antwort. Herr Gaillard stellte sich großspurig auf, Tarte wurde noch
unsicherer. Der zudringliche Besucher schlug mit dem Spazierstock
auf den Schreibtisch und auf die Akten, die den Prozeß Gobineaud
kontra Parker enthielten; dicker Staub wirbelte auf. Es gelang Tarte,
sich mit großem Geschick zu fassen, den Eindringling mit verächtlichen

Blicken zu messen und in bestimmtem Ton zu sagen: „In meinem
Büro pflegt man den Hut abzunehmen!"
Der Fremde fuhr ihn scharf an: „Wenn jemand ein Büro mietet,
ist es seine Pflicht, die Miete zu bezahlen! Und wenn ich zu jemand
in ein Büro komme, das mir gehört, das man mir abgemietet hat,
pflegt man mich nicht draußen stehen zu lassen."
„Ich bin Herr in meinem Büro!" trumpfte Tarte auf.
„Das sind Sie nicht!" erklärte Gaillard wütend. „Wenn Sie
mir nicht innerhalb zehn Stunden die Miete bezahlen, wird es sich
zeigen, wer hier Herr ist, Sie oder ich."
Der Advokat richtete sich mit gespielter Ruhe auf. „Wann ist die
Frist abgelaufen?" warf er kurz hin.
Der Gefragte zog eine kostbare Uhr und sagte höhnisch: „Heute
abend um sechs Uhr sind Sie nicht mehr Herr dieses Büros! Ich lasse
Sie pfänden und hinauswerfen. Verlassen Sie sich auf mein Wort!
Mein Name ist Gaillard." Er verbeugte sich ironisch.
Tarte ließ sich nicht einschüchtern. Mit Betonung fragte er: „Wann,
Monsieur Gaillard, sagten Sie, daß die Frist abgelaufen sein wird?"
„Sie hörten es eben; heute abend um sechs."
„Herr! Machen Sie, daß Sie hinauskommen! Noch ist es nicht
sechs Uhr! Noch bin
ich hier Herr! In zehn
Stunden kann sich noch
viel ereignen."
„Ich bezweifle das
nicht. Aber wie wollen
Sie achtzehnhundert
Franken, die Sie mir
schulden, auftreiben?"
„Das wird meine
Sorge sein!" fuhr Tarte
auf. Mit theatralischer
Gebärde stemmte er
die linke Hand in die
Hüfte und deutete mit
der Rechten nach der
Tür: „Adieu! Beehren
Sie mich um sechs Uhr
wieder, mein Herr!"
Der Hausbesitzer
lachte ihm breit ins
Gesicht, versuchte eine
leichte, unbedeutende
Verbeugung und schickte
sich zum Gehen. „Ich
werde Punkt sechs Uhr
hier sein. Mit dem
Glockenschlag, verlassen Sie sich darauf!" sagte er unter der Tür.
„Um sechs Uhr bin ich in meinem Recht."
„Hinaus! Hinaus!" donnerte Tarte, daß es im ganzen Haus
zu hören war. Der arme alte Gaspare, der im Vorzimmer saß und
in einem Leihbibliotheksband las, da es ja sonst nichts für ihn zu tun
gab, fuhr erschreckt zusammen. Gaillard verschwand brummend, und
Tarte sank erschöpft in den wurmstichigen Sessel. Woher ihm nur
der Mut gekommen war, Gaillard die Tür zu weisen? Er wunderte
sich über seine verzweifelte, durch nichts begründete Kühnheit. Er
schob den Akt in eines der Schreibtischfächer und versank in ohnmäch-
tiges Grübeln. Nichts konnte ihn aus dieser peinlichen Lage retten;
ein Wunder mußte geschehen. Aber solche Dinge gediehen im Som-
mer des Jahres 1914 nicht mehr. Tarte schien verloren. Er besaß
weder Vermögen noch die geringste Praris; das einzige, wovon die
Rede sein konnte, waren eine Reihe guter Verbindungen und Be-
ziehungen, die ihn bisher über Wasser hielten und Kredit schafften.
Präfekt de Fach war ein guter Bekanuter von ihm, auch Ribot,
mit dem er einst auf der Schulbank gesessen, durfte er wirklich seinen
Freund nennen — ja es war innige Freundschaft, die beide verband.
Während er sann, trat Gaspare ein, legte still die Morgenzeitung
auf den Tisch und verschwand geräuschlos, wie er gekommen war.
TaAe griff zerstreut nach dem „Cri de Paris" und überflog die
fettgedruckten Zeilen auf der ersten Seite: „Sturz des gesamten
Ministeriums! Ribot wird mit der Neubildung des Kabinetts be-
auftragt ! Als Mitglieder des künftigen Ministeriums werden genannt:
 
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