S-ft7
DasLuktMrAlle
denkbar, daß wir einfach beide eines begangenen Jrrtnms inne ge-
worden wären."
„So geschah es nicht, weil du eine Liebelei nut der audereu an-
gefangen hattest?"
„Einem, der mein Freund nicht mehr sein will, schulde ich darauf
wohl eigentlich keine Antwort."
„Ich hätte mir>s denken können, datz du nicht den Amt hast,
es einzugestehen."
„Detlefsen!"
„Nun?"
„Ach, es ist ja Unsinn. Wir wollen doch keine dramatische Szene
aufsühren. Also — ja! Ich konnte Martha Timäus nicht hei-
raten, nachdem ich erkannt hatte, das; ich Fräulein Randolf liebe."
„Und du kannst noch fragen, weshalb ich mit dir
nichts mehr zu schaffen haben will?"
Der Zusammenhang ist mir in der Tat
nicht verständlich. Was kümmert dich im
Grunde mein Verlöbnis und seine Lö¬
sung? Wer hat dich zum Ritter des
Fräulein Timäus ernannt?"
Bernhard Detlefsens mächtiger
Brustkasten hob und senkte sich
schwer. Seine herabhängende
rechte Hand hatte sich zur Faust
geballt, und diese Faust sah aus
wie ein Hammer. Es war, als
ob er an etwas würgte. Ader¬
seine Stimme klang beherrscht.
Mir haben nichts mehr zu
verhandeln, Goswin! — Es
wäre mir lieb, wenn du mich
jetzt verließest."
„Ein Bruch also in aller
Form? Nun, du mutzt ja
wissen, was-du tust; ich habe
keine Veranlassung, mich dir
aufzudrängen." Er ging zur
Tür; aber er zauderte, sie zu
öffnen. „Und doch ist mir>s
schmerzlich, datz wir so aus¬
einandergehen sollen, Detlefsen!
Wir waren ehrliche Freunde.
Ich habe es so angesehen;
aber ich bedaure, datz ich es tat."
„Dann allerdings habe auch ich
dir nichts mehr zu sagen. Guten Tag!"
Draußen wartete er noch eine halbe
Minute lang. Es war, als hielte er's für
unmöglich, datz der andere ihn nicht zurück-
rufen sollte. Erst als er die Gewißheit hatte,
daß drinnen sich nichts rührte, stieg er langsam
Treppe hinab. _
Das neben der Haustür angebrachte kleine Por-
zellanschild mit der Aufschrift „Bernhard Detlefsen,
Rechtsanwalt" erwies sich vorerst nicht als ein sonderlich zugkräftiger
Magnet. Vielleicht weil Detlefsen die Stadtgegend wenig glücklich
gewählt hatte. Denn das Viertel, in dem er sich niedergelassen,
war, von etlichen Hausbesitzern und Geschäftsleuten abgesehen, nur
von armen und ärmsten Leuten bewohnt, die selbst in ärgster Be-
drängnis lieber zu einem wohlfeilen Winkeladvokaten als zu einem
wirklichen Rechtsanwalt ihre Zuflucht nahmen. Seine Praris be-
schränkte sich zunächst auf einige im Armenrecht klagende Man-
danten, die ihm vom Gericht zugewiesen wurden. Ganz vereinzelt
nur wagte sich hie und da schüchtern ein armer Teufel zu ihm
hinauf, bei dem von Kostenvorschüssen und derlei für einen jungen
Anwalt unentbehrlichen Dingen von vornherein nicht die Rede sein
konnte. Und die Höhe der Streitsummen bewegte sich durchweg in
so bescheidenen Grenzen, datz seine Gebühren auch dann kaum zur
Fristung seines Daseins hingereicht hätten, wenn sie ihm bezahlt
worden wären.
Aber es hatte nicht den Anschein, als ob er enttäuscht oder ent-
mutigt sei. Er hatte es wohl im Grunde gar nicht anders erwartet.
Und die wenigen Klienten, die ihm gezwungen oder freiwillig ihr
Vertrauen schenkten, hatten jedenfalls keinen Anlaß, sich über einen
Mangel an Pflichttreue und persönlichem Anteil bei der Verfolgung
ihrer Angelegenheiten zu beklagen. Eine Bagatellsache in dem Sinne,
datz er sich gestattet hätte, sie als etwas Nebensächliches zu behandeln,
gab es für Bernhard Detlefsen nicht. Er ging den Dingen immer
auf den Grund, wies Aufträge auf Geltendmachung von Ansprüchen,
die nach seinem Rechtsempfinden keine Berechtigung hatten, un-
nachsichtig zurück und trat für die berechtigten mit rücksichtsloser
Tatkraft und Beharrlichkeit ein. Die Kollegen, die als Prozeß-
gegner mit ihm zu tun hatten, liebten ihn nicht. Denn er machte
ihnen vielfach mit den nach ihrer Meinung geringfügigsten Streit-
sachen das Leben rechtschaffen sauer. Auf Vertagungen,
die vom gegnerischen Anwalt aus Bequemlichkeit
beantragt wurden, weil der betreffende Herr
n)ch nicht die Zeit gefunden hatte, sich ein-
gehend mit der Angelegenheit zu beschäf-
tigen, ging er nicht ein. Und wo man
ihm mit juristischen Winkelzügen be-
gegnete, konnte er von einer wenig
angenehmen Deutlichkeit werden.
Es war schon wiederholt zu recht
scharfen Auseinandersetzungen
zwischen ihm und anderen An-
wälten gekommen; aber das
gute Recht war dabei immer
auf seiner Seite gewesen, und
er hatte das Verhandlungs-
zimmer deshalb stets als
Sieger verlassen können.
Ehe er auf diesem Wege zu
einem gesuchten und hoch-
bezahlten Advokaten wurde,
konnten freilich noch viele
Jahre vergehen. Einer ge-
rechten Sache zum Siege zu
verhelfen, ist ja die Kunst eben
nicht, die den großen Ruf eines
Anwalts begründet. Und es
war wenig wahrscheinlich, datz
Bernhard Detlefsen sich jemals
in der ungleich schwierigeren ver-
suchen würoe, durch juristische Spitz-
findigkeiten das Unrecht über das Recht
triumphieren zu machen. Die Winzig-
keit seiner Einkünfte beunruhigte ihn
offenbar vorläufig nicht im mindesten. Er
verfügte über eine kleine aus Schriftsteller-
houoraren und dem Ertrage von Nebenarbeiten
ersparte Summe, die einstweilen für die Befriedi-
gung seiner äußerst bescheidenen Lebensbedürfnisse
ausreichte-. Und das, was geschehen würde, wenn
sie aufgebraucht war, machte ihm allem Anschein
nach keine Sorge. Auf die Anstellung von Kanzlei¬
personal hatte er verzichtet. Was er an Schreibarbeit nicht selbst
erledigte, fiel Erich Helmolt zu, seinem „Bürovorsteher" und Gehilfen.
Der ehemalige Medizinstudierende hatte nach einer Unterredung
mit Frau Marianne Burkhardt eingewilligt, diese Tätigkeit auf sich
zu nehmen, und es ließ sich nicht verkennen, datz er rechtschaffen
bemüht war, seine Pflicht zu erfüllen. Detlefsen machte ihm das
freilich so leicht, als die Umstände es nur immer erlaubten. Vor-
allem dadurch, datz er ihn nicht wie einen Angestellten oder Lehr-
ling, sondern wie einen jüngeren Freund behandelte, und datz er
die von Helmolt zu leistende Arbeit immer mit einem geistiger:
Inhalt zu erfüllen wußte. Wie für ihn selber in jedem dieser schein-
bar so kleinlichen Rechtshändel ein Stück Menschenleben oder zum
mindesten ein beachtenswerter Zug menschlicher Eigenart enthalten
war, so lehrte er auch seinen Schützling, tiefere seelische Einblicke
zu tun, Dinge von grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen, wo
oberflächliche Betrachtung nichts anderes bot als armseligen Streit
UM Nichtigkeiten. (Fortsetzung ivlgl.)
Walter Ditz. Bildnis des
Vaters des Künstlers.
Aus der diesjährigen Glaspalast-
aussiellung in München.
DasLuktMrAlle
denkbar, daß wir einfach beide eines begangenen Jrrtnms inne ge-
worden wären."
„So geschah es nicht, weil du eine Liebelei nut der audereu an-
gefangen hattest?"
„Einem, der mein Freund nicht mehr sein will, schulde ich darauf
wohl eigentlich keine Antwort."
„Ich hätte mir>s denken können, datz du nicht den Amt hast,
es einzugestehen."
„Detlefsen!"
„Nun?"
„Ach, es ist ja Unsinn. Wir wollen doch keine dramatische Szene
aufsühren. Also — ja! Ich konnte Martha Timäus nicht hei-
raten, nachdem ich erkannt hatte, das; ich Fräulein Randolf liebe."
„Und du kannst noch fragen, weshalb ich mit dir
nichts mehr zu schaffen haben will?"
Der Zusammenhang ist mir in der Tat
nicht verständlich. Was kümmert dich im
Grunde mein Verlöbnis und seine Lö¬
sung? Wer hat dich zum Ritter des
Fräulein Timäus ernannt?"
Bernhard Detlefsens mächtiger
Brustkasten hob und senkte sich
schwer. Seine herabhängende
rechte Hand hatte sich zur Faust
geballt, und diese Faust sah aus
wie ein Hammer. Es war, als
ob er an etwas würgte. Ader¬
seine Stimme klang beherrscht.
Mir haben nichts mehr zu
verhandeln, Goswin! — Es
wäre mir lieb, wenn du mich
jetzt verließest."
„Ein Bruch also in aller
Form? Nun, du mutzt ja
wissen, was-du tust; ich habe
keine Veranlassung, mich dir
aufzudrängen." Er ging zur
Tür; aber er zauderte, sie zu
öffnen. „Und doch ist mir>s
schmerzlich, datz wir so aus¬
einandergehen sollen, Detlefsen!
Wir waren ehrliche Freunde.
Ich habe es so angesehen;
aber ich bedaure, datz ich es tat."
„Dann allerdings habe auch ich
dir nichts mehr zu sagen. Guten Tag!"
Draußen wartete er noch eine halbe
Minute lang. Es war, als hielte er's für
unmöglich, datz der andere ihn nicht zurück-
rufen sollte. Erst als er die Gewißheit hatte,
daß drinnen sich nichts rührte, stieg er langsam
Treppe hinab. _
Das neben der Haustür angebrachte kleine Por-
zellanschild mit der Aufschrift „Bernhard Detlefsen,
Rechtsanwalt" erwies sich vorerst nicht als ein sonderlich zugkräftiger
Magnet. Vielleicht weil Detlefsen die Stadtgegend wenig glücklich
gewählt hatte. Denn das Viertel, in dem er sich niedergelassen,
war, von etlichen Hausbesitzern und Geschäftsleuten abgesehen, nur
von armen und ärmsten Leuten bewohnt, die selbst in ärgster Be-
drängnis lieber zu einem wohlfeilen Winkeladvokaten als zu einem
wirklichen Rechtsanwalt ihre Zuflucht nahmen. Seine Praris be-
schränkte sich zunächst auf einige im Armenrecht klagende Man-
danten, die ihm vom Gericht zugewiesen wurden. Ganz vereinzelt
nur wagte sich hie und da schüchtern ein armer Teufel zu ihm
hinauf, bei dem von Kostenvorschüssen und derlei für einen jungen
Anwalt unentbehrlichen Dingen von vornherein nicht die Rede sein
konnte. Und die Höhe der Streitsummen bewegte sich durchweg in
so bescheidenen Grenzen, datz seine Gebühren auch dann kaum zur
Fristung seines Daseins hingereicht hätten, wenn sie ihm bezahlt
worden wären.
Aber es hatte nicht den Anschein, als ob er enttäuscht oder ent-
mutigt sei. Er hatte es wohl im Grunde gar nicht anders erwartet.
Und die wenigen Klienten, die ihm gezwungen oder freiwillig ihr
Vertrauen schenkten, hatten jedenfalls keinen Anlaß, sich über einen
Mangel an Pflichttreue und persönlichem Anteil bei der Verfolgung
ihrer Angelegenheiten zu beklagen. Eine Bagatellsache in dem Sinne,
datz er sich gestattet hätte, sie als etwas Nebensächliches zu behandeln,
gab es für Bernhard Detlefsen nicht. Er ging den Dingen immer
auf den Grund, wies Aufträge auf Geltendmachung von Ansprüchen,
die nach seinem Rechtsempfinden keine Berechtigung hatten, un-
nachsichtig zurück und trat für die berechtigten mit rücksichtsloser
Tatkraft und Beharrlichkeit ein. Die Kollegen, die als Prozeß-
gegner mit ihm zu tun hatten, liebten ihn nicht. Denn er machte
ihnen vielfach mit den nach ihrer Meinung geringfügigsten Streit-
sachen das Leben rechtschaffen sauer. Auf Vertagungen,
die vom gegnerischen Anwalt aus Bequemlichkeit
beantragt wurden, weil der betreffende Herr
n)ch nicht die Zeit gefunden hatte, sich ein-
gehend mit der Angelegenheit zu beschäf-
tigen, ging er nicht ein. Und wo man
ihm mit juristischen Winkelzügen be-
gegnete, konnte er von einer wenig
angenehmen Deutlichkeit werden.
Es war schon wiederholt zu recht
scharfen Auseinandersetzungen
zwischen ihm und anderen An-
wälten gekommen; aber das
gute Recht war dabei immer
auf seiner Seite gewesen, und
er hatte das Verhandlungs-
zimmer deshalb stets als
Sieger verlassen können.
Ehe er auf diesem Wege zu
einem gesuchten und hoch-
bezahlten Advokaten wurde,
konnten freilich noch viele
Jahre vergehen. Einer ge-
rechten Sache zum Siege zu
verhelfen, ist ja die Kunst eben
nicht, die den großen Ruf eines
Anwalts begründet. Und es
war wenig wahrscheinlich, datz
Bernhard Detlefsen sich jemals
in der ungleich schwierigeren ver-
suchen würoe, durch juristische Spitz-
findigkeiten das Unrecht über das Recht
triumphieren zu machen. Die Winzig-
keit seiner Einkünfte beunruhigte ihn
offenbar vorläufig nicht im mindesten. Er
verfügte über eine kleine aus Schriftsteller-
houoraren und dem Ertrage von Nebenarbeiten
ersparte Summe, die einstweilen für die Befriedi-
gung seiner äußerst bescheidenen Lebensbedürfnisse
ausreichte-. Und das, was geschehen würde, wenn
sie aufgebraucht war, machte ihm allem Anschein
nach keine Sorge. Auf die Anstellung von Kanzlei¬
personal hatte er verzichtet. Was er an Schreibarbeit nicht selbst
erledigte, fiel Erich Helmolt zu, seinem „Bürovorsteher" und Gehilfen.
Der ehemalige Medizinstudierende hatte nach einer Unterredung
mit Frau Marianne Burkhardt eingewilligt, diese Tätigkeit auf sich
zu nehmen, und es ließ sich nicht verkennen, datz er rechtschaffen
bemüht war, seine Pflicht zu erfüllen. Detlefsen machte ihm das
freilich so leicht, als die Umstände es nur immer erlaubten. Vor-
allem dadurch, datz er ihn nicht wie einen Angestellten oder Lehr-
ling, sondern wie einen jüngeren Freund behandelte, und datz er
die von Helmolt zu leistende Arbeit immer mit einem geistiger:
Inhalt zu erfüllen wußte. Wie für ihn selber in jedem dieser schein-
bar so kleinlichen Rechtshändel ein Stück Menschenleben oder zum
mindesten ein beachtenswerter Zug menschlicher Eigenart enthalten
war, so lehrte er auch seinen Schützling, tiefere seelische Einblicke
zu tun, Dinge von grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen, wo
oberflächliche Betrachtung nichts anderes bot als armseligen Streit
UM Nichtigkeiten. (Fortsetzung ivlgl.)
Walter Ditz. Bildnis des
Vaters des Künstlers.
Aus der diesjährigen Glaspalast-
aussiellung in München.