Zweihundert Jahre Kleiderkunst.
Zur Ausstellung des „Vereins Modemuseum".
Von Emma Stropp.
bedeuten „Zweihundert Jahre Kleiderkunst" jetzt, wo die Hebung
^HHund Kräftigung der äußeren und inneren Widerstandsfähigkeit
unseres Voltes die vor¬
nehmste Aufgabe der Daheim¬
gebliebenen ist? Auf den ersten
Blick nichts, besonders für alle
nichts, die in der Mode und
ihren Begleiterscheinungen nur
die Befriedigung von Eitelkeit
und Ehrgeiz sehen und darüber
vergessen, daß allein in der
Konfektion 1300000 Personen
beschäftigt sind, und daß unsere
Kleiderausfuhr vor dem Kriege
den Wert von 90 Millionen
Mark erreichte.
Wahrscheinlich werden die
einschneidenden Veränderun¬
gen, die unsere Zeit gebracht,
auf lange hinaus zum größten
Teil fortbestehen. Es ist des¬
halb notwendig, dem deutschen
Modegewerbe neue Entwick¬
lungsbahnen zu eröffnen, es aus
Abhängigkeit vom Auslande zu
befreien, ihm in Beziehung auf
Technik und reiferen Geschmack
in Form, Farben und Erfin¬
dungsgabe Anregungen zu ver¬
mitteln und den Käuferkreis
erzieherisch zu beeinflussen.
Diesen kurz zusammenge-
fatzten Zielen wendet sich die
Tätigkeit des „Vereins Mode¬
museum" zu, der, vor einem
Jahre gegründet, bereits in
den ersten Monaten seines Be¬
stehens durch Vorträge und
Vorführungen sowohl auf die
Fachkreise als ein weiteres Pu¬
blikum einzuwirken suchte. Die
erste größere Ausstellung dieser
Vereinigung ist der Kleiderkunst
von 1700 bis 1900 gewidmet
und stellt eine Art Grundstein
dar für ein später zu schaffen¬
des Modemuseum.
Ein würdiger Rahmen ist
der Ausstellung gegeben: das
1761 erbaute „Ermelerhaus",
das vor kurzem aus dem Besitz
des alten Kaufherr enge s chle chtes
in den der Stadt Berlin überging, ist eines der wenigen Gebäude der
Reichshauptstadt, die noch im vollen Reiz ihres Zeitcharakters erhalten
blieben. Der ehemalige Festsaal mit seiner weißlackierten Täfelung, den
Rokokoornamenten und den buntleuchtenden Decken- und Wandgemälden
Zeigt, zum Teil in lebenswahren Figurengruppen, die Trachten, in denen
sich einst hier im Lichte der Wachskerzen die wohlhabenden und kunst-
sinnigen Kreise der alten Preußenstadt vereinten: die reichgestickten Fest-
röcke der Herren, die schweren Seidendamaste mit ihren wundervollen
Musterungen und Tönungen, den Reifrock und die gepuderte Perücke,
die Geheimnisse der Unterkleidung und der starren Brustpanzer, die die
damals spitz zulaufende Taille formten. Eine prunkvolle, lebensfrohe Zeit
spricht aus diesen Gewändern, aber auch ein sicherer Geschmack in der Zu-
sammenstellung von Grundstoff und Ausputz.
Die Revolutionszeit bringt mit dem Wandel des Zeitgeistes auch den
der Kleidung, übertrieben in dein seltenen Eremplar einer „Jncroyable"-
Herrentracht, dann klassizistisch überleitend in die hochgegürteten Kleider
der Empirezeit. Der Übergang vom Rokoko zu dieser Zeitepoche ist leider
nur unvollkommen dargestelltj es fehlen die zarten Schleiergewänder,
die mehr offenbarend als verhüllend die Zeitgenossinnen einer Madame
Recamier schmückten. Die „Königin-Luise-Zeit" dagegen ist reichhaltiger
vertreten. Was uns auf Modekupfern so ansprechend und lieblich er-
schien, sehen wir in nüchterner Wirklichkeit mit anderen Augen an. Im
Vergleich mit' den kunstvollen Formen des achtzehnten Jahrhunderts er-
scheinen uns diese schlicht herabfallenden, im Schnitt oft unbeholfenen
Kleider mit den kleinen Puff-
ärmelchen trotz mancher fesseln-
den Einzelheit als ein Rück-
schritt in der Entwicklung des
Modeschaffens. Daß auch die
Frauen jener Zeit gleicher An-
sicht gewesen, beweisen die wei-
teren Räume, in denen man den
Reifrock, die schmale Taille und
die bauschigen Ärmel Wieder-
aufleben sieht. Die Zartheit der
Farben des achtzehnten Jahr-
hunderts aber fehlt ihnen; große
Karos, auffallende Streifen,
derbe Blumenmuster und un-
organisch aufgesetzter Aufputz
machen sich breit. Die Bieder-
meierzeit setzt ein und mit ihr
die liebevolle Kleinarbeit, die
wir an tüllgestickten Brust-
tüchern und Puffmanschetten
bewundern können, an feinen
Perlarbeiten, zarten, gestrickten
Spitzen und so mancherlei ande-
ren Zeugen hoher Kunstfertig-
keit, denen doch aber manches
fehlt, was wir heute an kunst-
gewerblichen Leistungen zu
schätzen wissen. Mantillen und
Schuten, Beduinen und „Knit-
ter", indische Schale, Schuh-
werk und was sonst noch zur
Frauenkleidung von 1840 bis
1870 gehörte, bilden die wert-
volle Ergänzung dieser Krino-
linenkleider. Sie passen so recht
in die Traulichkeit der Hinteren
Räume des „Ermelerhauses", in
denen noch die Zeit von Jett-
chen Gebert zu atmen scheint.
Aus dem Dämmerschein
dieser kleinen, nach dem Hofe zu
gelegenen Zimmer führt uns
der letzte Raum in das grelle
Licht der Gründerzeit mit dem
überladenen Tapezierstil, den
protzigen Kleidergarnierungen,
den eine unglückliche Körper-
form gebenden Korsetten, den
weit nach hinten ausladenden
Nicht weniger unerfreulich sind die Kleider aus den
Jahren 1880 bis 1900 mit ihren steifen Plüschtaillen, der „Turnüre",
den hart zusammengestellten Farben und den Keulenärnreln. Man möchte
diesen Raum die Schreckenskammer der Ausstellung nennen, wenn nicht
ein einzelnes Kleid aus den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts die
aufstrebende Linie der Modeentwicklung offenbarte, gleichzeitig aber auch
die Tatsache, daß die Sammlung hier noch Lücken aufweist, und daß es
noch nicht gelungen ist, ihr auch aus dieser Zeit bessere Stücke zuzu-
führen. Den: späteren Museum mag die Ergänzung der Sammlung
vorbehalten sein.
Es ist eine zum Nachdenken anregende Ausstellung, die zum größten
Teil aus Privatbesitz zusammengebracht ist. Sinnend, lächelnd und, was
die „Schreckenskammer" betrifft, auch beschämt über eigene Geschmacks-
verirrungen, durchmustert man sie. Was unsere Vorfahren kleidete und
schmückte, was ihnen das äußere Bild ihrer Zeit gab, ist Anschauungs-
unterricht für Modeindustrie und Käufer geworden. Auch was wir
Das österreichische Kaiserpaar mit dem Kronprinzen Franz Joseph Otto
und der Erzherzogin Adelheid.
Luls de Paris".