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DasBuchsürAtle

207

„Eben deshalb werde ich auch nicht in den geringfügigsten Dingen
seine Dienste in Anspruch nehmen. Und ich bitte dich, liebe Eva,
wahrend deines Waldenburger Aufenthalts jede Berührung mit
ihm zu vermeiden."
„Das wird kaum möglich sein. Er stand doch in den freund-
schaftlichsten Beziehungen Zu meinem Vater."
„Und Zu dir, nicht wahr?"
„Gewiß — auch zu mir. Es wäre einfach lächerlich, wenn ich
ihn etwa jetzt schneiden
sollte."
„Deine tiefe Trauer ist
ein hinlänglicher Grund,
dich gegen alle Besuche
und dergleichen abzuschlie-
ßen. Ich habe doch wohl
ein gewisses Recht, das
von dir zu erwarten."
„Ach so — du bist eifer¬
süchtig auf Vilmar. Das
ist eine große Torheit,
lieber Walter."
„Ich denke nicht daran,
dir zu mißtrauen. Aber
ich habe nun einmal meine
Gründe."
„Wenn sie in nichts
anderem bestehen als in
dem, was ich dir über Vil¬
mars Empfindungen und
Hoffnungen gesagt habe —"
„Ist das etwa nicht
genug?"
„Um mein Verhalten
gerade in diesem Augen¬
blick zu bestimmen— nein.
Ich müßte mich ja vor mir
selber schämen, wenn ich dir
darirr nachgäbe. Glaubst
du, daß ich für ein Aben¬
teuer zu haben bin, wenn
ich zum Begräbnis meines
Vaters fahre?"
Das Wort entwaffnete
ihnvöllig. Erkam sich rück¬
sichtslos und gefühlsroh
vor. Fast demütig küßte er
Evas Hand. „Vergib mir,
Liebling! Es war natür¬
lich nicht so gemeint. Aber
ich hätte dir in deinem
ersten Schmerz überhaupt
nicht mit solchen Dingen
kommen dürfen. Und ich
werde unverzüglich das
Telegramm an Herrn Vil¬
mar aufgeben."
„Nein — laß nur. Du
hast mich um meine Un- D'pps.
befangenheit ihm gegen¬
über gebracht. Da ich doch sogleich in die Stadt fahren muß —
wegender Trauersachen—, werde ich unterwegs selbst an Frau Hilbert
depeschieren. Für jetzt muß ich dich fortschicken, denn ich will mich
ankleiden, und es ist keine Zeit zu verlieren."
Sie hatte schon nach dem Mädchen geklingelt, und als die Gerufene
eintrat, ging Goswin in die Kanzlei hinunter. Er saß noch kaum
an seinem Platz, als das Telephon klingelte.
„Hier Hagenow!" klang die laute Stimme des Generaldirektors
aus dem Apparat. „Was treiben Sie denn, Doktor? Ich habe schon
zweimal angerufen, aber immer hieß es, Sie wären in Ihrer Privat-
wohnung. Natürlich habe ich nicht umschalten lassen, um Sie nicht
zu stören. Aber wollen Sie denn Ihren Honigmonat bis in die
Ewigkeit ausdehnen?"

„Ich wurde aus einer sehr traurigen Veranlassung oben fest-
gehalten. Mein Schwiegervater ist plötzlich gestorben."
„Ah — was Sie sagen! — Mein herzlichstes Beileid — besonders
an die Frau Gemahlin. Mar aber schon hoch bei Jahren, der Herr
Schwiegerpapa, nicht wahr?"
„Der Verlust ist darum für uns nicht minder schmerzlich."
„Selbstredend. Obwohl wir schließlich ja alle mal daran
glauben müssen. Sie haben doch nicht etwa die Absicht, zur Be-
erdigung zu fahren?"
„Es wird mir kaum
etwas anderes übrig blei-
ben. Hier handelt sich's
um eine unabweisbare
Pflicht der Pietät."
„Aber es geht nicht,
Freundchen — es geht
absolut nicht. Sie wissen,
was gerade jetzt für uns
auf dem Spiel steht. Da
dürfen Sie so was nicht
machen."
„Ließe sich der Abschluß
der Verhandlungen mit
dem Kommerzienrat nicht
um ein paar Tage hinaus-
schieben?"
„Ausgeschlossen. Nach-
dem Sie ihn heute so groß-
artig eingewickelt haben,
heißt es, den Augenblick
nützen. Helmbrecht ist kein
Einfaltspinsel. Wenn man
ihm Zeit läßt, sich alle
Einzelheiten des Kauf-
vertrags zu überlegen,
schnappt er noch in der
letzten Minute ab. Es
muß unbedingt dabei blei-
ben, daß wir übermorgen
zum Notar gehen. Machen
Sie uns bloß keine Ge-
schichten!"
„Sind Sie allein, Ha-
genow?"
„Wie ein Stein auf der
Straßen. Was wollen Sie
denn noch?"
„Ich habe ernste Be-
denken wegen des bewuß-
ten Vertragsparagraphen.
Sie wissen, was ich meine."
„Reden Sie keinen Un-
sinn, Doktor! Ohne den
Paragraphen acht ist doch
die ganze Geschichte für
uns wertlos."
„Dann wäre es viel-
Kriegskinder. ^icht besser, auf den Ab-
schlußzuverzichten. Wenn
der Kommerzienrat Helmbrecht es später auf einen Prozeß an-
kommen läßt, könnten sich unangenehme Folgen ergeben."
„Wieso denn? Halten Sie es für möglich, daß wir verlieren
würden? Das wäre Ihre Schuld, mein Lieber! Wozu haben wir
denn einen Syndikus, wenn nicht dazu, unanfechtbare Verträge
aufzusetzen!"
„Zivilrechtlich würde Helmbrecht auch schwerlich etwas gegen
die Gesellschaft ausrichten können. Aber wir kriegen möglicherweise
den Staatsanwalt auf den Hals."
„Nehmen Sie's nicht übel, Goswin — aber Sie entwickeln sich
immer mehr zu einem alten Weibe. An eine Gesellschaft wie die
unsrige wagt sich nicht so leicht ein Staatsanwalt heran. Das sind
so Auffassungen, die Ihnen noch von der Zeit her anhaften, wo
 
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