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Heft 10

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„Das andere ist die Liebe einer reinen Frau."
„Steht es so in einem von den Büchern, mit denen Sie sich neuer-
dings vollstopfen?"
„Ja. Nicht mit dürren Worten; denn die Dichter wußten doch
nichts von mir und von meinem Geschick. Aber ich lese es auf jeder
Seite."
„Dann werfen Sie Ihre Bücher in den Ofen und laufen Sie
lieber spazieren anstatt zu lesen. Für Leute von Ihrer Art gibt es
nur ein einziges vernünftiges Buch. Das ist das Leben; nicht das
papierne, sondern das wirtliche, das sich mit Augen sehen und mit
Händen greifen läßt. Und auf den Blättern dieses Buches steht es
ganz anders geschrieben. Da wird die Liebe einer reinen Frau
höchstens als Belohnung für den Tüchtigen verheißen, nicht als
wohlfeiles Reinigungs- oder Entsühnungsmittel. Machen Sie sich
solcher Belohnung würdig, und ich übernehme jede Bürgschaft, daß
Ihr Gewissen Ihnen nicht mehr zusetzt."
Helmolts Blick hing schon wieder an dem ruhig glänzenden Nacht-
gestirn. „Sie sprechen, wie der Arzt von
einer Krankheit spricht, die er nur am
Leibe des Patienten kennen gelernt hat.
Wie soll mir das Leben Heilung bringen,
nachdem mich das Leben zermalmt und
zerbrochen hat! Ich kann mir Rat und
Hilfe nur bei denen suchen, die gelitten
haben wie ich."
„Und das wären Ihrer Meinung nach
die Dichter, deren Werke Sie jetzt lesen?"
„Ja. Doch ich weiß wohl: Sie können
es nicht begreifen. Sie sind zu robust.
Und das wahre Mitleid ist Ihnen fremd."
„Mitleid hat einen Wert nur für den
Kranken, der noch den Willen hat zu ge¬
nesen. An den, der sich schwächlich selber
aufgibt, ist es zwecklos verschwendet."
„Ich will es ja auch gar nicht — Ihr
Mitleid oder das, was Sie dafür aus¬
geben. Sie sind wie ein Felsen. Man
kann sich wohl für eine kurze Zeit daran
festklammern; aber an dem kalten Stein
erstarren die Hände nur um so schneller,
und zuletzt muß man doch loslassen, um
in die Tiefe zu stürzen."
Detlefsen schwieg. Nach einer langen
Stille erst sagte er: „Wenn ich Ihnen
nichts anderes sein konnte als das, haben
Sie bei mir allerdings eine schlechte Zu¬
flucht gefunden. Der Himmel begnade
Sie mit einer besseren."
„Oh, ich hätte wohl eine gewußt. Aber
Sie haben mir den Weg zu ihr verschüttet.
Da wäre alles gewesen, was ich brauche:
Wärme und Kraft und Mut zum Leben. Da hätte mir auch die
Stunde schlagen können, wo mein Gewissen schwieg. Aber es ist
vorbei. Denn zwischen ihr und mir stehen ja Sie. Und wenn ich mir
auch die Hände an Ihnen zerfleischte — einen Felsen schafft man
nicht aus dem Weg." Er zitterte am ganzen Leibe.
Wieder wie in jener Sonntagnacht legte Detlefsen den Arm um
seine Schultern. „Sie sind das Opfer einer törichten Wahnidee,
Helmolt — und, was schlimmer ist, das Opfer irregeleiteter natür-
licher Triebe. Jetzt erst sehe ich mit voller Klarheit, was in Ihnen
vorgeht. Und ich verstehe, daß es über Ihre Kraft geht, mit allem
auf einmal aufzuräumen. Irgendwo aber müssen Sie doch den An-
fang machen. Und darum sollten Sie zuerst die närrische Einbildung
über Bord werfen, daß Burkhardts Tod auf Ihrem Schuldkonto
steht. In Wahrheit haben Sie an ihm nicht mehr Anteil als ich oder
der Mond da oben. Auch dann nicht, wenn Ihre Seele ganz er-
füllt gewesen wäre von dem heißen Verlangen, ihn aus den Reihen
der Lebenden verschwinden zu sehen."
Da der andere sich nicht rührte, sprach er weiter, warm, eindring-
lich und verständig, wie ein Vater zu seinem von einem Nichts in
hoffnungslose Verzweiflung getriebenen Kinde sprechen mag. Er
ließ nichts ungesagt, was seine starke Seele an Gutem und tröst-

lichem aus ihren Tiefen zu schöpfen vermochte, und nichts unversucht,
was sein scharfer Verstand ihm als geeignetes Uberredungsmittel
auf die Lippen legte. Als er innehielt, blieb Helmolt noch für eine
Weile stumm und unbeweglich. Dann stand er plötzlich auf.
„Es ist, wie ich gesagt habe: Sie werden mich niemals verstehen.
Aber ich weiß ja nun, was ich wissen wollte. Gute Nacht."
Am nächsten Abend, zu einer Zeit, da die kleinen Pfleglinge des
Asyls bereits in ihren Bettchen lagen, wurde Frau Marianne durch
den Besuch Detlefsens überrascht. Es war wirklich eine Überraschung,
denn er hatte sich bisher nur an den Sonntagen eingestellt, und sie
konnte sich darum bei seinem unerwarteten Anblick eines leisen
Bangens nicht erwehren.
„Bringen Sie mir eine Neuigkeit?" fragte sie, während sie zu
ihrem im oberen Stockwerk gelegenen Stübchen hinaufstiegen. „Es
hat sich doch nichts Unerfreuliches ereignet?"
„Es hat sich nichts Besonderes ereignet, Frau Marianne. Aber
ich mußte mit Ihnen sprechen."
„Wegen Erichs?"
„Ja, seinetwegen. Es geht nicht an,
daß wir noch länger geflissentlich die Augen
verschließen vor dem, was sich mit ihm
vollzieht."
„Sie erschrecken mich. Glauben Sie,
daß er kränker geworden ist?"
„Vielleicht kann man es so nennen.
Aber damit wäre es nicht erschöpft. Ich
darf doch ganz offen zu Ihnen sprechen?"
„Wann hätte ich etwas anderes von
Ihnen erwartet?"
Sie saßen einander gegenüber, und
ihre Augen hingen in besorgter Spannung
an seinem Gesicht. Sie suchte darin zu
lesen; aber sie fand nichts als einen Aus-
druck tiefen, fast strengen Ernstes.
„Ich muß damit anfangen, Sie etwas zu
fragen. War Ihnen bekannt, daß er sich die
Schuld beimißt an Doktor Burkhardts Tode?"
Marianne erblaßte sichtlich. Es war
nach der Schwurgerichtsverhandlung wohl
das erstemal, daß der Name ihres Mannes
zwischen ihnen genannt wurde, und Det-
lefsen mußte notwendig bemerken, wie
peinlich es sie berührte.
„Wie kann er das?" fragte sie unsicher.
„Es wäre doch Heller Wahnsinn."
„Ec ist überzeugt, daß Burkhardt durch
die Unterredung, die er an jenem Abend
mit ihm hatte, zum Selbstmord getrieben
worden ist. Und ich zweifle, daß er sicksis je-
mals ausreden lassen wird. Von mir wenig-
stens sicherlich nicht. Es wäre darum wohl an Ihnen, es zu versuchen."
„Nein, nein," wehrte sie hastig ab. „Das kann ich nicht auf
mich nehmen. Es ist mir ganz unmöglich, diese entsetzlichen Dinge
noch einmal zwischen ihm und mir heraufzubeschwören."
„Auch dann, wenn es gilt, ihm damit eine Wohltat zu erweisen?"
„Es würde keine sein — seien Sie dessen gewiß. Wie sollte ich
es denn auch anfangen, ihm diese Idee auszureden?"
„Das müssen Sie freilich besser wissen als ich. Sie haben oft genug
Gelegenheit gehabt, die Macht Ihres Einflusses an ihm zu erproben."
Gegen ihre Gewohnheit, jedem, mit dem sie sprach, frei ins
Gesicht zu sehen, schlug Frau Marianne die Augen nieder. „Das
mag früher gewesen sein. Jetzt traue ich mir's nicht mehr zu."
„Ihr Verhältnis zu ihm hat sich also geändert? Durch Ihre
Schuld oder durch seine?"
„Sie fragen heute wirklich wie ein Untersuchungsrichter, lieber
Herr Detlefsen. Ich glaube, solche Veränderungen vollziehen sich
ganz unmerklich und ohne daß es dazu bewußter Absicht von der
einen oder der anderen Seite bedürfte."
„Das heißt, er steht Ihrem Herzen nicht mehr so nahe wie ehedem?"
„Das ist es nicht," verwahrte sie sich, während das Blut auffallend
plötzlich in ihre Wangen zurückkehrte. „Niemand kann innigeren


Phot. Berliner Illustrations-Gesellschaft m. b. H., Berlin.
General Tuelff von Tschepe und Weidenbach,
der Chef der deutschen Militärverwaltung in Rumänien.
 
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