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Kaffeekränzchen und Waschküchen. Asmus Lund nahm das Kind
als ein Naturereignis hin, die weibliche Kritik fand aber manches
an diesem schwarzäugigen Kind zu bedenken. Vor allem schien es
merkwürdig, datz die Französin in der ersten Ehe keine Kinder hatte
und in der zweiten erst nach fünf Jahren. Und auch der Name fand
wenig Beifall.
„So 'n lütt Stackel; dat möt nu ok noch mit 'n unchristlichen
Namen rümlopen!"
Den Namen wählte Gabriele nach der schönen Stieftochter des
ersten Napoleon und der Mutter des dritten. Asmus erhob keinen
Einspruch dagegen; wäre es nach seinen Wünschen gegangen, so
wäre für die Kleine ein lateinischer oder aus dem Griechischen
stammender Name gewählt worden.
Nur darauf bestand er, datz seine Mutter Patin sein sollte. Die
Alte kam von ihrem Heidehaus und hielt das feingebaute Dingelchen
in seinem Steckkissen über die Taufe. Sie betrachtete das hübsche
romanische Gesicht aufmerksam und suchte darin nach blutsverwandten
Zügen. Leise schüttelte sie den Kopf und ging schweigend wieder.
Nur selten sagte Margarete Lund, was sie dachte.
Der Sommer verging mit ungewöhnlich schweren und häufi-
gen Gewittern; nicht
selten geschah es,
datz sich der weite
Horizont des Lan¬
des in Flammen
rötete, denn der
Blitz schlug leicht
in die Strohdächer
der flachen Marsch.
Wenn drohendes
Gewölk aufstieg, ka¬
men die Leute aus
ihrer zuversichtlichen
Ruhe.
An einem schwü¬
len Abend in der
Pfingstwoche gin¬
gen Paul und Inge
am Autzendeich spa¬
zieren; kaum waren
sie drautzen, als ein
Unwetter schwarz
und drohend über
den Halligen auf¬
zog, indes am Fest¬
land kaum leiser
Wind zu spüren war.
Als Lund weitergegaugen war, meinte Inge: „Wir wollen auch
heimgehen, Paul; es ist unerträglich schwül."
Es kam, wie Barloff gesagt hatte: Zwischen elf und zwölf Uhr
in der Nacht zog sich das Gewitter über der Stadt zusammen und
tobte gewaltig. Von zwei Seiten prallten die Wolkenmassen auf-
einander, und der Donner rollte unaufhörlich. Minutenlang flammten
grelle Blitze auf.
Niemand im Schlosse ging zu Bett. Auch sonst war überall Licht.
Inge, die ihre alte Furcht nicht überwinden konnte, wanderte ruhelos
in den langen Gängen auf und ab. Wenn Paul sich zu ihr gesellte,
scheuchte sie ihn zurück. Es war anders wie damals, als sie Schutz
iu seinen Armen suchte.
Er hörte sie aufschreien und lief hinaus. Sie beruhigte ihn. Es
sei nur eine Fledermaus gewesen, sagte sie. Paul glaubte ihr nicht,
denn seit langem hatte er die Beobachtung gemacht, datz sie zu ge-
wissen Zeiten Dinge sah, die nirgends vorhanden waren.
Dann flatterte wirklich eine Fledermaus über die Treppe, von
unten her oder von drautzen herein, denn das Schlotzportal wurde
bei Gewitter offen gelassen.
Lund kam in seinem schwarzen Mantel, der dünne Stoff triefte
von Regen und flat-
terte um die hagere
Gestalt. Inge sah ihn
zuerst; sie erschraknicht
überdenspäten Gast,
führte ihn stumm zu
ihrem Gatten und
kauerte sich in die
Sofaecke, um ihre
vomWind zerzausten
Haare zu ordnen.
Paul und Inge
fühlten, datz Lund
Autzergewöhnliches
widerfahren sein
mutzte; ein nächt-
liches Gewitter trieb
den Mann nicht aus
dem Hause. Nach
kurzer Begrützung
sagte er zu Paul:
„Ich suche meine
Frau. War sie bei
euch?"
„Nein, hier war
sie nicht; hast du sie
gesehen, Inge?"
„Vor ein paar Tagen schon zum letztenmal."
Lund sprach hastig weiter: „Als ich heute abend heimkam,
war sie nicht zu Hause. Das Mädchen sah sie kurz nach Mittag
die Treppe hinuntergehen; mit Hut und Sonnenschirm ging sie
weg, wie zu einem Spaziergang. Mit Bune wechselte sie im Flur
ein paar gleichgültige Worte. Seitdem hat niemand sie mehr
gesehen."
„Und das Kind —?"
Asmus hob müde den Kopf. „Es liegt in seinem Bettchen und
schläft."
„Warst du schou auf der Polizei?"
„Nein, wozu. Soll ich Gabriele ausklingeln lassen? Ich habe
mit Bune geredet, der will am Hafen und an der Bahn nach-
schauen."
„Asmus, du glaubst doch nicht-?"
„Glauben heitzt nichts wissen. Bei euch ist sie uicht, entschuldigt
die Störung; Mitternacht ist ja wohl schou längst vorüber. Ich
werde heim gehen. Morgen wird man ja sehen, was daraus werden!
will."
Lund sah zum Erbarmen aus. An der Stelle, wo er stand,
hatte sich eine kleine Wasserlache gebildet. Er starrte mit ver-
legener Miene hilflos zu Inge hin und suchte nach entschuldi-
genden Worten. Verwirrt ging er ohne Grutz aus dem Zim-
mer. Paul gab ihm das Geleite bis an die Haustür.
' (Fortsetzung folgt.»
Sturmangriff österreichisch-ungarischer Truppen an der Südwestfront.
«Ich sehe zwei Feuer," sagte Juge, „sieh nur, wie dicht sie
beisammen liegen; man könnte glauben, datz ein Strahl zwei Heim¬
stätten getroffen hat."
Paul erwiderte: „Du täuschst dich, Inge, es braucht nicht die
selbe Stelle zu sein, wo es brennt. Meilen können dazwischen
liegen."
Eine Zeitlang betrachteten beide das. schauerlichschöne Bild:
der westliche Himmel war rot wie nach Sonnenuntergang; Möwen,
die in der Nähe lautlos vorüberstrichen, erschienen grotz, wie riesige
Raubvögel. Eine dunkle Gestalt kam näher, als wenn sie dem Watt
entstiegen wäre; es war Lund, der den Hut in der Hand trug. Als
er näher kam, sagte Paul: „Der hat wieder einen Wandermarsch
gemacht." Dann rief er ihn: zu: „Guten Abend, Asmus, wo kommst
du her?"
Lund besann sich und strich das feuchte Haar aus der Stirn.
„Ich war in der Heide bei meiner Mutter; wir haben ja Pfingst-
ferien."
„Wie geht es der Alten?"
„Sie hatte wieder einmal ihren wunderlichen -rag. ^zch wollte
bis morgen bleiben; aber sie trieb mich heim."
Paul lachte. „Ich finde das vernünftig; um Mitternacht werden
wir ein schweres Unwetter haben, da gehört der Mann ins Haus.
Was macht deine Frau?"
„Als ich heute morgen wegging, beschäftigte sie sich mit dem
Kind; jetzt wird sie es wohl in Schlaf singen."
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Kaffeekränzchen und Waschküchen. Asmus Lund nahm das Kind
als ein Naturereignis hin, die weibliche Kritik fand aber manches
an diesem schwarzäugigen Kind zu bedenken. Vor allem schien es
merkwürdig, datz die Französin in der ersten Ehe keine Kinder hatte
und in der zweiten erst nach fünf Jahren. Und auch der Name fand
wenig Beifall.
„So 'n lütt Stackel; dat möt nu ok noch mit 'n unchristlichen
Namen rümlopen!"
Den Namen wählte Gabriele nach der schönen Stieftochter des
ersten Napoleon und der Mutter des dritten. Asmus erhob keinen
Einspruch dagegen; wäre es nach seinen Wünschen gegangen, so
wäre für die Kleine ein lateinischer oder aus dem Griechischen
stammender Name gewählt worden.
Nur darauf bestand er, datz seine Mutter Patin sein sollte. Die
Alte kam von ihrem Heidehaus und hielt das feingebaute Dingelchen
in seinem Steckkissen über die Taufe. Sie betrachtete das hübsche
romanische Gesicht aufmerksam und suchte darin nach blutsverwandten
Zügen. Leise schüttelte sie den Kopf und ging schweigend wieder.
Nur selten sagte Margarete Lund, was sie dachte.
Der Sommer verging mit ungewöhnlich schweren und häufi-
gen Gewittern; nicht
selten geschah es,
datz sich der weite
Horizont des Lan¬
des in Flammen
rötete, denn der
Blitz schlug leicht
in die Strohdächer
der flachen Marsch.
Wenn drohendes
Gewölk aufstieg, ka¬
men die Leute aus
ihrer zuversichtlichen
Ruhe.
An einem schwü¬
len Abend in der
Pfingstwoche gin¬
gen Paul und Inge
am Autzendeich spa¬
zieren; kaum waren
sie drautzen, als ein
Unwetter schwarz
und drohend über
den Halligen auf¬
zog, indes am Fest¬
land kaum leiser
Wind zu spüren war.
Als Lund weitergegaugen war, meinte Inge: „Wir wollen auch
heimgehen, Paul; es ist unerträglich schwül."
Es kam, wie Barloff gesagt hatte: Zwischen elf und zwölf Uhr
in der Nacht zog sich das Gewitter über der Stadt zusammen und
tobte gewaltig. Von zwei Seiten prallten die Wolkenmassen auf-
einander, und der Donner rollte unaufhörlich. Minutenlang flammten
grelle Blitze auf.
Niemand im Schlosse ging zu Bett. Auch sonst war überall Licht.
Inge, die ihre alte Furcht nicht überwinden konnte, wanderte ruhelos
in den langen Gängen auf und ab. Wenn Paul sich zu ihr gesellte,
scheuchte sie ihn zurück. Es war anders wie damals, als sie Schutz
iu seinen Armen suchte.
Er hörte sie aufschreien und lief hinaus. Sie beruhigte ihn. Es
sei nur eine Fledermaus gewesen, sagte sie. Paul glaubte ihr nicht,
denn seit langem hatte er die Beobachtung gemacht, datz sie zu ge-
wissen Zeiten Dinge sah, die nirgends vorhanden waren.
Dann flatterte wirklich eine Fledermaus über die Treppe, von
unten her oder von drautzen herein, denn das Schlotzportal wurde
bei Gewitter offen gelassen.
Lund kam in seinem schwarzen Mantel, der dünne Stoff triefte
von Regen und flat-
terte um die hagere
Gestalt. Inge sah ihn
zuerst; sie erschraknicht
überdenspäten Gast,
führte ihn stumm zu
ihrem Gatten und
kauerte sich in die
Sofaecke, um ihre
vomWind zerzausten
Haare zu ordnen.
Paul und Inge
fühlten, datz Lund
Autzergewöhnliches
widerfahren sein
mutzte; ein nächt-
liches Gewitter trieb
den Mann nicht aus
dem Hause. Nach
kurzer Begrützung
sagte er zu Paul:
„Ich suche meine
Frau. War sie bei
euch?"
„Nein, hier war
sie nicht; hast du sie
gesehen, Inge?"
„Vor ein paar Tagen schon zum letztenmal."
Lund sprach hastig weiter: „Als ich heute abend heimkam,
war sie nicht zu Hause. Das Mädchen sah sie kurz nach Mittag
die Treppe hinuntergehen; mit Hut und Sonnenschirm ging sie
weg, wie zu einem Spaziergang. Mit Bune wechselte sie im Flur
ein paar gleichgültige Worte. Seitdem hat niemand sie mehr
gesehen."
„Und das Kind —?"
Asmus hob müde den Kopf. „Es liegt in seinem Bettchen und
schläft."
„Warst du schou auf der Polizei?"
„Nein, wozu. Soll ich Gabriele ausklingeln lassen? Ich habe
mit Bune geredet, der will am Hafen und an der Bahn nach-
schauen."
„Asmus, du glaubst doch nicht-?"
„Glauben heitzt nichts wissen. Bei euch ist sie uicht, entschuldigt
die Störung; Mitternacht ist ja wohl schou längst vorüber. Ich
werde heim gehen. Morgen wird man ja sehen, was daraus werden!
will."
Lund sah zum Erbarmen aus. An der Stelle, wo er stand,
hatte sich eine kleine Wasserlache gebildet. Er starrte mit ver-
legener Miene hilflos zu Inge hin und suchte nach entschuldi-
genden Worten. Verwirrt ging er ohne Grutz aus dem Zim-
mer. Paul gab ihm das Geleite bis an die Haustür.
' (Fortsetzung folgt.»
Sturmangriff österreichisch-ungarischer Truppen an der Südwestfront.
«Ich sehe zwei Feuer," sagte Juge, „sieh nur, wie dicht sie
beisammen liegen; man könnte glauben, datz ein Strahl zwei Heim¬
stätten getroffen hat."
Paul erwiderte: „Du täuschst dich, Inge, es braucht nicht die
selbe Stelle zu sein, wo es brennt. Meilen können dazwischen
liegen."
Eine Zeitlang betrachteten beide das. schauerlichschöne Bild:
der westliche Himmel war rot wie nach Sonnenuntergang; Möwen,
die in der Nähe lautlos vorüberstrichen, erschienen grotz, wie riesige
Raubvögel. Eine dunkle Gestalt kam näher, als wenn sie dem Watt
entstiegen wäre; es war Lund, der den Hut in der Hand trug. Als
er näher kam, sagte Paul: „Der hat wieder einen Wandermarsch
gemacht." Dann rief er ihn: zu: „Guten Abend, Asmus, wo kommst
du her?"
Lund besann sich und strich das feuchte Haar aus der Stirn.
„Ich war in der Heide bei meiner Mutter; wir haben ja Pfingst-
ferien."
„Wie geht es der Alten?"
„Sie hatte wieder einmal ihren wunderlichen -rag. ^zch wollte
bis morgen bleiben; aber sie trieb mich heim."
Paul lachte. „Ich finde das vernünftig; um Mitternacht werden
wir ein schweres Unwetter haben, da gehört der Mann ins Haus.
Was macht deine Frau?"
„Als ich heute morgen wegging, beschäftigte sie sich mit dem
Kind; jetzt wird sie es wohl in Schlaf singen."