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270

Heft 1Z

„Nun?"
„Er sagte mir, daß du das Examen nicht bestehen wirst!"
„Um so besser," sagte Akel trotzig, „dann brauche ich nicht zu
studieren."
Die beiden standen einander gegenüber: der Jüngere groß und
breitschultrig, glich im Gliederbau auffallend dem verstorbenen
Andreas Nissen. Der Vater sagte scharf betont: „Es ist also richtig,
wie mich der Direktor aufklärte: du könntest deine Schuldigkeit tun,
aber du willst nicht. Du bestätigst mir das, dafür sollst du mein
letztes Wort hören. Im Herbst gehe ich nach Berlin, du wirst dort
bis Ostern das Gymnasium besuchen. Dann erwarte ich unter allen
Umständen ein anständiges Examen; das Lesen in schmutzigen

in gewissen Fächern nachsichtiger sein würde, wenn ich dem Direktor-
bestimmte Zusicherungen geben könnte."
Axel lachte. „Morgen oder übermorgen, wenn es dir recht ist."
So nahm diese Auseinandersetzung ein ruhigeres Ende, als zu
erwarten war. Paul hatte seine Frau sehr geliebt, und Axel war
Inges Ebenbild.
Als Barloff sein Zimmer aufsuchte, öffnete Axel das Fenster
und blickte nach dem verödeten Dürhus hinüber; die schmale Mond-
sichel beleuchtete zwischen ziehenden Wolken hindurch die hohe Werft
mit ihrem wehenden Buschwerk.
„Durch!" sagte Axel leise. Er ging auf den Fußspitzen in einen
Seitengang zu Hortense. Seit Inge in Schleswig war, hauste


Radierung von (L. pfefferte.
Schmökern werde ich dir austreiben. Du kannst dich bestimmt
darauf verlassen!"
„Was soll mit mir geschehen, wenn ich das Reifezeugnis erworben
habe?"
Barloff änderte den Ton; die scheinbare Nachgiebigkeit seines
Sohnes wirkte besänftigend. Ruhiger erwiderte er: „Ich weiß,
daß sich ein Beruf nicht erzwingen läßt, aber es bleibt dir nichts
als ein Brotstudium übrig, wenn du dich nicht aus unseren Kreisen
verlieren willst. Zu erben gibt es nichts mehr; zum Großkaufmann
fehlt dir Geld, und die Beförderungsverhältnisse beim Militär bieten
geringe Aussichten, akademische Fächer sind überfüllt. Wenn du
ein guter Mathematiker wärst-"
„Oder wenn ich in Religion eine Eins hätte —"
„Das wäre der beste Ausweg," sagte Barloff aufatmend. „Das
Studium der Theologie ist verhältnismäßig billig, und die Aus-
sichten wären besser als irgendwo. Willst du das einmal bedenken?"
„Bis wann wirst du dich entscheiden? Es wäre möglich, daß man

Wenn's draußen Abend wird.
jedes in einem abgesonderten Raum der großen Dienstwohnung;
bisweilen sah man sich tagelang nur bei den Mahlzeiten.
Axel fand Hortense vor einem Buch bei der Lampe. Sie war
Ostern eingesegnet worden und stand im fünfzehnten Lebensjahr;
die südfranzösische Abstammung verleugnete sich nicht in ihrer Er-
scheinung, man konnte sie für siebzehn halten.
Seit die Kinderjahre für beide vorüber waren, änderte sich ihr
Verhalten zu einander. Sie zankten sich nicht mehr und schlossen sich
halb unbewußt zusammen, aber es herrschte zwischen ihnen kein
geschwisterlicher Ton. Als Axel geräuschlos eintrat, legte Hortense
ein Buch hin. Sie erriet sofort, daß etwas Besonderes geschehen
war. Der Besuch des Direktors war ihr nicht entgangen, und sie
knüpfte daran eine Frage.
Axel antwortete mit gespielter Gleichgültigkeit: „Der Direktor
beklagte sich über mich. Ich werde in Berlin zum Examen gedrillt
und soll Theologie studieren. Es ist zum Davonlaufen."
Das Mädchen hob den dunklen Kopf und sagte ruhig: „Das
hätte ich an deiner Stelle längst getan."
 
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