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Hsft 12

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es handelt sich um ernste Sachen. Heimbrecht ist plötzlich aufsässig
geworden. Er verlangt weiter nichts als die Aufhebung des Kauf-
vertrages und die Zahlung einer großen Abfindungsumme für er-
littenen Schaden. Ein Gemüt, nicht wahr? Dabei sind seine Briefe
von einer Unverschämtheit, der gegenüber ich mir geradezu wie
ein Waisenknabe vorkomme. Er droht mit Zivilklage und — sehen
Sie sich nach einem Stuhl um, Doktor! — mit dem Staatsanwalt.
Ich habe zwar lange nicht so gelacht; aber man kann doch schließlich
nicht wissen, wozu so ein rabiat gewordener Kommerzienrat fähig
ist, nachdem ihm ein Kandelaber über seine eigene Dummheit auf-
gegangen ist. Ich kann ihm keine endgültige Antwort geben, ohne
mich mit Ihnen verständigt zu haben. Und brieflich ist das natürlich
nicht zu machen. Reißen Sie sich also mit mannhaftem Entschluß
vom Busen des Meeres los, und stehen Sie pflichtgetreu in seinen
Nöten bei
Ihrem getreuen Hagenow.
?8. Legen Sie mich, bitte, der teuren Gattin zu Füßen, mit
der Versicherung, daß es außer dem Verzicht auf Ihre Rückkehr
nichts gibt, was ich nicht ihren süßen Augen zuliebe mit Freuden
täte."
Goswin zerknitterte den Brief ingrimmig und riß ihn nach einer
Weile in kleine Fetzen. Aber er verbrachte den Tag wie sonst, ohne
irgendwelche Reisevorbereitungen zu treffen. Erst als er gegen
Mitternacht mit Eva allein war, sprach er davon, daß er eigentlich
auf einige Tage nach Hause fahren müßte, daß er sich aber schwerlich
entschließen werde, es zu tun.
„Diese dummen Berufsgeschäfte!" sagte die junge Frau, die
schon in Unterröckchen und Frisierjacke vor dem Spiegel saß. „Aber
da du nicht reisen willst, kann es sich ja zum Glück nicht um etwas
Wichtiges handeln."
„O ja, wichtig wäre es schon. Vielleicht begehe ich eine unver-
antwortliche Torheit, wenn ich bleibe. Aber ich bringe es nicht
fertig. Ich kann dich nicht allein lassen, hier unter all diesen Laffen —
und mit dieser Mutter."
„Du hast, wie es scheint, eine sehr hohe Meinung von deiner
Frau."
„Die höchste, Eva, die ein Mann von seinem Weibe haben kann.
Aber du bist mir zu kostbar, als daß ich es ertragen könnte, dich von
Lästerzungen begeifert zu sehen. Du mußt mich doch verstehen."
„Nein, ich verstehe dich ganz und gar nicht. Wenn ich mir nichts
zuschulden kommen lasse, habe ich keine Lästerzunge zu fürchten.
Wäre ich aber zu anderem aufgelegt, so wüßte ich nicht, wie deine
Anwesenheit mich hindern könnte."
„Du hieltest es also für möglich, mich unter meinen Augen zu
hintergehen?"
Eva lachte hellauf. „Ich habe mich bis jetzt nicht mit der Frage
beschäftigt; aber daß ich es könnte, wenn ich es wollte, ist ganz
gewiß."
Goswin ging hinter ihr im Zimmer auf und nieder, aber sein
Blick hing unverwandt an ihren erhobenen Armen, die elfenbeinweiß
aus den weiten, zurückgefallenen Ärmeln tauchten, an der schwarzen
Fülle ihres seidenglänzenden Haares und an dem lächelnden Ma-
donnengesicht, das ihm aus dem Glase des Spiegels entgegenschaute.
„Danach wäre es also im Grunde ganz gleichgültig, ob ich gehe
oder bleibe?" sagte er nach einer Weile.
„Soweit es sich um meine Bewachung handelt, Herr Gefängnis-
aufseher — allerdings. Aber ich hoffe, es ist nicht das, was deine
Entschlüsse bestimmt."
Er trat zu ihr und preßte in heißem Kuß seine Lippen auf ihren
Nacken. „Zch hab' dich so lieb, Eva! Jede Stunde ohne dich ist mir
wie ein Raub an meinem Leben."
„So bleib' doch. Ich berede dich gewiß nicht zu reisen. Auch
mir wird es hier sehr langweilig vorkommen, wenn du nicht da bist.
Aber über geschäftliche Notwendigkeiten habe ich selbstverständlich
kein Urteil."
„Es wird mir ja nichts anderes übrig bleiben, als dem Rufe
Hagenows zu folgen."
„Hoffentlich handelt es sich wirklich nur um ein paar Tage. Du
weißt, daß ich die Stunden bis zu deiner Wiederkehr zählen werde."
Sie sagte es so liebevoll, daß er sie in warmem Glücksgefühl selig
in seine Arme schloß.
Am nächsten Mittag erst, vierundzwanzig Stunden später, als

Hagenow es nach seinem dringenden Briefe erwartet haben mochte,
verließ. Goswin die Insel. Frau Irma und Eva hatten ihm bis zur
Abfahrtstelle der Kleinbahn das Geleit gegeben, und ihre Taschen-
tücher wehten noch im Winde, als ihn längst die schwarzbraune
Rauchwolke der Lokomotive hinderte, sie zu sehen. Er wußte, daß
es sehr unerfreuliche Tage sein würden, denen er entgegenfuhr,
aber sein Blut war noch heiß von dem Glück der letzten Stunden,
und der Gedanke an die Seligkeiten des nahen Wiedersehens scheuchte
alles Unbehagen hinweg.
Auf dem Bahnhof in Tondern, wo er den Hamburger Zug be-
steigen mußte, herrschte ein ungewöhnlich lebhaftes Treiben. Eben
waren auch die Reisenden eingetroffen, die aus der entgegengesetzten
Richtung her der Insel Sylt Zustrebten, und es gab ein buntes Durch-
einander hastender Menschen. Goswin hatte den Fuß schon auf
dem Trittbrett des Wagens, als sein Blick noch einmal über das
Gewühl hinflog. Und da war es, als hätte ihm plötzlich eine klam-
mernde Faust nach dem Herzen gegriffen; ganz flüchtig hatte er die
Gestalt eines schlanken, hochgewachsenen Mannes auftauchen sehen,
dessen kluges, schwarzbärtiges Gesicht ihm verhaßter war als irgend
ein anderes auf Erden. Er tat ein paar Schritte nach der Richtung
hin, wo der flüchtig Erspähte sogleich wieder in einer Menschenwoge
untergetaucht war. Aber er mühte sich vergeblich, ihn zu entdecken,
und hinter ihm wurden von den Schaffnern bereits die Türen der
Wagenabteile zugeschlagen. Da mußte er sich doch wohl für das
Opfer einer Täuschung halten, und die Furcht, mit seiner eifer-
süchtigen Gespensterseherei vor sich selber lächerlich zu werden,
bestimmte ihn, zurückzueilen und seinen Platz im Wagen einzu-
nehmen.
Aber der Sonnenschein in seinem Innern war wieder ver-
schwunden, und der Himmel um ihn her hing voll schweren grauen
Gewölks.

Die Nachmittagsonne stand tief am blaßblauen Sommerhimmel,
als Detlefsen und Martha Timäus den Hügelweg zu den „vier Linden"
aufwärts wanderten. Sie pflegten diesen Spaziergang sonst in
der Begleitung von Marthas Eltern zu machen; denn die Bank
unter den „vier Linden" war um des schönen Ausblicks willen das
Lieblingsplätzchen des Präsidenten. Heute hatte er sich zu ermüdet
gefühlt für die gewohnte Abendwanderung, und die Präsidentin
war zurückgeblieben, um ihm Gesellschaft zu leisten. Die jungen
Leute aber hatten seinem freundlichen Drängen nachgeben und sich
wie immer auf den Weg machen müssen. So geschah es, daß sie
zum erstenmal für eine längere Zeit allein miteinander waren,
obwohl der Tag von Detlefsens Ankunft in Buchenberg schon um
mehrere Wochen zurücklag.
Ob sie sich des Zufalls freuten, wurde aus ihrem Benehmen und
aus der Art ihrer Unterhaltung nicht offenbar; sie sprachen, wie sie
wohl auch gesprochen hätten, wenn die Eltern mit ihnen gewesen
wären. Selten nur begegneten sich ihre Blicke, und keines hätte in
den Augen des anderen Bedeutsameres lesen können, als in den
unverfänglichen Worten des ruhig dahinfließenden Wechselgespräches
lag. Nun saßen sie Seite an Seite droben im grünlichen Dämmer-
schatten der zu einem einzigen mächtigen Blätterdome vereinigten
vier Wipfel und gaben sich wieder dem Reiz des sanften Landschafts-
bildes zu ihren Füßen gefangen. Es war nichts Großartiges oder
Überwältigendes in diesem oft gesehenen Bilde: Felder und Wiesen,
Buschwerk und Gehölz, das sich hier und da in hellerem oder dunklerem
Grün durch das leicht gewellte Gelände zog, und in der Ferne ein
matt blinkendes Zipfelchen des hinter hügeligen Ufern fast völlig
versteckten Buchensees. Aber die Weite des Ausblicks wirkte er-
quickend, und die durch kein totes Fleckchen beeinträchtigte hoch-
sommerliche Lebensfülle tat den Sinnen wohl. Schwache, spärliche
Laute nur unterbrachen manchmal die tiefe, friedvolle Stille; das
kurze, schon halb verschlafene Gezwitscher eines Vogels, das Zirpen
eines Grillchens im Grase oder das Aufbellen eines Hundes in einem
der zerstreuten Gehöfte. Denn die Häuser des Kurortes lagen weit
hinter ihnen; von der Landstraße war hier nichts zu erblicken.
„Man muß ein Großstädter sein, um dies Plätzchen in all seiner
Köstlichkeit zu würdigen," pflegte Timäus zu sagen, „ein armer, ver-
hetzter, von dem Kampf und der Unrast des Stadtlebens zermürbter
Mensch. Wie wird einem doch hier die mörderische Sinnlosigkeit
dieses Treibens in ihrer ganzen Torheit offenbar!" Fortsetzung folgt.,
 
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