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D .




Oie deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig,
das Werk einer Frau.
ines der schönsten Beispiele dafür, wie die Hilfsbereitschaft im Kriege
zu neuern stärkeren Leben erwacht ist, bietet die Blindenfürsorge.
Gewiß gab man vor dem Kriege auch für Blinde bald da, bald
dort sein Scherflein, doch damit war in den meisten Fällen alles getan.
Heute aber sorgt man auch dafür, daß die gebotenen Gaben wirklich den
ihres Augenlichtes Beraubten Nutzen bringen.
Jeder Blinde, vor allem der im Kriege Erblindete, will teilnehmen an
dem großen Geschehen der Gegenwart. Uns Sehenden vermittelt Schrift
und Druck, die wir lesen können, Kenntnis des Weltgangs. Auch für die
Blinden wurde eine Schrift geschaffen, die von dem Franzosen Barbier-
erfundene, von seinem Landsmann Braille weiter ausgebaute „Punkt-
schrift", die der Blinde durch Abtasten entziffert. Manches Buch wurde
für Blinde mit diesen Zeichen hergestellt und vermittelte ihnen geistige
Werte.- Leider schenkte man

Klamroth, die Leitung übernahm. Es ist keine Übertreibung, wenn
wir behaupten: erst Marie Lomnitz-Klamroth ist die eigentliche Schöp-
ferin der Bücherei geworden. Sie erkannte sofort, daß Wohltätigkeit
und Mitempfinden wohl von hohem Wert für die Blinden sein könne,
daß eine Blindenbücherei aber mehr erfordere, wenn sie wahrhaft
segensreich und nutzbringend wirken solle. Nicht Wohltätigkeit, sondern
Kulturarbeit war ihre Forderung: eine Sammlung, deren Bücher äußer-
lich und inhaltlich allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen.
Marie Lomnitz gründete eine Abschreibergruppe, die heute rund
dreihundert Mitarbeiter zählt. Diese Abschreibergruppe mußte sie sich
aber erst heranbilden, sie lehren, die Punktschrift auch richtig darzustellen.
Sie besaß Erfahrung genug, um im Laufe der Zeit fest umrissene
Grundsätze aufzustellen, die sie dann in einem kleinen Buche niederlegte.
„Das Beste ist für die Winden gerade gut genug," war jederzeit ihre
Forderung, und strenges Beharren auf diesem Standpunkt erwarb der
deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig mit Recht den Ruf der
besteingerichteten, bestgeleiteten Blindenbücherei. Am besten wissen das
die Blinden: sie greifen des-


der Brailleschrift bisher zu
wenig Beachtung. Insbe-
sondere wurden Papier und
Schrift nicht immer mit ge-
nügender Sorgfalt ausge-
wählt und hergestellt, um
den Tastsinn des Lesenden
nicht zu überanstrengen. Die
Kriegszeit hat Wandel ge-
schaffen und die Arbeit einer
seit Jahren unermüdlich täti-
gen Helferin auf dem Blin-
dengebiete in den Vorder-
grund gerückt.
Marie Lomnitz-Klamroth
in Leipzig ist längst manchen
ungelösten Fragen nachge-
gangen, und heute besitzen
wir planvoll aufgebaute, fest
umrissene Grundlagen zur
Herstellung der Blinden-
schrift. Für die im Krieg
um ihr Augenlicht Gekom-
menen wurde ein besonderes
Kriegsblindenblatt geschaf-
fen, und maßgebende Stellen
und Behörden haben volles
Verständnis für das bezeugt,

was not tut.

Bereits vor zweiund-
zwanzig Jahren begründe-
ten in Leipzig unter Pastor
Buchwalds Leitung eine An-
zahl Männer und Frauen
einen Verein zur Beschaf-
fung von Hochdruckschriften.
Ihr Ziel war, eine Bücherei
für alle Blinden in Deutsch-
land zu schaffen. Keiner-
lei Beschränkung, keinerlei
Grenzen sollten hemmend
einengen: nicht nur in Leip-
zig selbst sollten die Bücher
verliehen, sondern überall-
hin versandt werden. Acht-
unddreißig Bände bildeten
den Grundstock, aus dem
sich diese Büchersammlung
zu ihrer heutigen Bedeu-
tung entwickelte.
Entscheidend für die Ge-
schichte der Leipziger Zen-
tralbücherei für Blinde war
das Jahr 1901, in welchen:
die jetzige Leiterin der Bi-
bliothek, Marie Lomnitz-

Zeniralbücherei für Blinde in Leipzig: Die Bibliothek.


Zentralbücherei für Blinde in Leipzig-. Lesezimmer.


halb mehr und mehr nur
noch nach den guten Leip-
zigerBüchern. Zahlenmäßige
Feststellungen beweisen, daß
der Leserkreis sich täglich
vermehrt. So wurden 1903
624 Bände ausgeliehen, zehn
Jahre später aber 3278 Bän-
de; 1915 waren es 3955. In
dem eben zu Ende gegange-
nen Kriegsjahr 1916 stieg
die Zahl der ausgeliehenen
Bücher auf über 7000.
Jahr für Jahr wurde die
Bücherei vermehrt; Jahr für
Jahr bekam ihre Druckerei
neue Aufträge, und alles
mußte unter den dürftigsten
Verhältnissen geleistet wer-
den. An nicht weniger als
vier Orten sollte die uner-
müdliche Leiterin zugleich
sein. Die Bibliothek war in
der vierten Bezirkschule in
Leipzig untergebracht, die
Druckerei hatte im vierten
Stock von Kochs Hof ihre
Stätte, das Lager war bei
dem Buchbinder Schütz. Die
Verwaltung befand sich in
der Privatwohnung von
Marie Lomnitz, wo auch die
handschriftlichen Übertragun-
gen einliefen und die ganze
mühsame Arbeit der Kor-
rektur und die Erledigung
der umfangreichen Post ge-
schah.
Vor wenigen Monaten
bildete sich nun unter Füh-
rung des Leipziger Kreis-
hauptmanns v. Burgsdorff
ein Verein mit dein Zweck,
Marie Lomnitz - Klamroths
Lebenswerk zu fördern und
auszubauen. Jur Buchhünd-
lerhaus in Leipzig haben
Blindenbücherei und Blin-
dendruckerei jetzt ein ge-
meinsames Heim gesunder:;
wenige Tage vor den dritten
Kriegsweihnachten wurde in
Gegenwart von Vertretern
fast aller deutschen Bundes-
staaten das Werk der Öf-
fentlichkeit übergeben.
 
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