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303

„Wenn es ein Lob gewesen ist — nein, Fräulein Timäus. Marr
kann mir nichts Peinlicheres antun, als mich zu überschätzen. Das
Gegenteil ist mir immer noch viel lieber."
„Auf die Art würde man also niemals dahin kommen, Ihnen
zu sagen, wie man von Ihnen
denkt."
„Es ist mir genug zu wis¬
sen, datz Ihr Vater freundlich
über mich denkt. Wenn ich
die Gründe erführe, wäre ich
vielleicht gezwungen, mich
dagegen zu verwahren."
„Sie meinen, weil er
Sie für selbstlos und für einen
Menschenfreund hält?"
„Ja. Denn ich bin keins
von beiden. Wenigstens
sicherlich nicht in dem Sinne,
den Sie damit verbinden.
Wäre Ihnen die Geschichte
meiner Kindheit bekannt, so
würden Sie es mir ohne
weiteres glauben."
„Ich darf Sie natürlich
nicht bitten, sie mir zu er¬
zählen?"
„Sie ist weder sehr eigen¬
artig, noch sehr erbaulich. Sie
bekämen eine Geschichte zu
hören, in der sich gar nichts
Besonderes ereignet."
„Auf einen spannenden
Roman hätte ich wohl auch
nicht gerechnet, Herr Det-
lefsen."
„Wie einer, der Romane
erlebt hat oder erleben könnte,
sehe ich nicht aus, nicht wahr?
Ich freue mich, datz Sie mich
wenigstens darin richtig be¬
urteilen."
„Ich sehe ein, datz es sehr
unbescheiden war, Sie darum
zu bitten."
Detlefsen machte eine leb¬
hafte Bewegung. „Unbe¬
scheiden? Wie mögen Sie
das sagen! Ich wollte Sie
nicht langweilen, das ist alles.
Ein Kinderschicksal ist von
Wichtigkeit doch wohl nur fin¬
den, der es erlebte."
„Es hätte mich nicht
gelangweilt — nein, gewitz
nicht."
Wieder gab es ein Schwei¬
gen, ein so langes, datz sie
sicher war, er wolle damit
das lästige Gespräch beenden.
Plötzlich aber durchzuckte es
sie wie freudiges Erschrecken,
da er begann:
„Ich war der einzige
Sohn eines kleinen Beamten.
Und als ich vier Jahre alt
war, kam mein Vater auf
drei Monate ins Gefängnis.
Damit ist eigentlich schon alles
gesagt."
Ihre Freude war rasch verflogen. Ein Gefühl unsäglicher
Bangigkeit schnürte ihr das Herz. Es drängte sie heitz, ihm etwas
Liebes zu sagen, aber wie hätte sie das gute, tröstende Wort finden

sollen, das auf eine solche Mitteilung patzte! Er hatte wohl auch
nichts Derartiges erwartet, denn mit starr in die Ferne gerichtetem
Blick sprach er weiter:
„Wegen Unterschlagung im Amte, unter Zubilligung mildernder
Umstände. Er selbst hat mir
nie davon gesprochen. Aber
ich wutzte freilich, datz mil-
dernde Umstände vorgelegen
haben mutzten. Ich wutzte
es, lange bevor ich als er-
wachsener Mensch und viele
Jahre nach seinem Tode
Gelegenheit fand, Einsicht
in die Strafakten zu neh-
men. Er hatte der von ihm
geführten Kasse eine kleine
Summe entnommen, um
einem heruntergekommenen
Schwager zu helfen. Nicht
weil er die Kasse bestehlen
wollte; denn drei Tage spä-
ter stand ihm das Geld aus
Eigenem zur Verfügung.
Die Bedrängnis des Schwa-
gers war eben nur derart,
datz die drei Tage nicht ab-
gewartet werden konnten,
wenn sein Leben nicht zer-
stört werden sollte. Da lietz
mein Vater es lieber auf
die Zerstörung des seinigen
ankommen. Und die irdische
Gerechtigkeit arbeitete pünkt-
lich und korrekt. Der Mor-
gen nach dem verübten Dieb-
stahl brachte meinem Vater
die unvorhergesehene Kassen-
revision, die Suspendierung
vom Amte und das straf-
rechtliche Verfahren. Wohl
lief nach drei Tagen das Geld
ein, mit dem er gerechnet
hatte, wohl wurde bis auf
jenen Eingriff alles in pein-
lichster Ordnung gefunden,
wohl wurde ihm von all sei-
nen Vorgesetzten das glän-
zendste Zeugnis ausgestellt,
aber ihm geschah mit seiner
Verurteilung darum doch
nur, was er verdient hatte.
Und er selber hat seine
Strafe wohl niemals anders
angesehen. Datz meine Mut-
ter an einer rasch verlaufen-
den Krankheit starb, während
er seine Gefängnishaft ver-
bützte, war nichts als ein
unglücklicher Zufall.
Und wenn die Sache
damit ihren Abschlutz ge-
funden hätte, wäre nicht
viel darüber zu sagen. Aber
meines Vaters Schicksal und
meines erfüllten sich erst,
als der irdischen Gerech-
tigkeit volles Genügen ge-
schehen war. Wir lebten
in einer kleinen Stadt, einer
Stadt von wenig mehr als sechstausend Einwohnern. Und mein
brotlos gewordener Vater schlug es nicht aus, als ihm von einem
seiner alten Freunde, dem Bürgermeister des Ortes, eine Art von


Das Sperrgebiet nach der deutschen Note.
Die Würfel sind gefallen! — Friedensangebot der Mittelmächte — Ablehnung des Friedens-
angebots — Englische Erklärung der Älockadeverhängung über die Nordsee — Deutsche Er-
klärung des ungehemmten Unterseebootkriegs. Fetzt ist die erst im Krieg in ungeahnten
Verwendungsmöglichkeiten erprobte Waffe der deutschen Tauchboote so stark, daß das von
England zuerst angewendete Kampfmittel der Volksaushungerung gegen das Inselreich und
seine Verbündeten selbst gerichtet wird. Vom 7. Februar 7977 ab erklären die Mittelmächte
ein in der Note vom 37. Januar genau bezeichnetes Meergebiet um die englischen und fran-
zösischen Küsten der Nordsee und des Atlantischen Ozeans und in ähnlicher Weise das den
feindlichen Küsten des Mittelländischen Meeres vorgelagerte Meergebiet als gesperrt für jeden
Handel mit den Ententestaalen. Nur der Personenverkehr zwischen Amerika und England
mit Falmouth als Zu- und Abfahrtshafen ist mit Einschränkungen gestattet. Weil in diesen
bitter ernst gemeinten Maßnahmen der Neichsregierung das deutsche Volk das einzige wirk-
same Mittel zur Verkürzung des Krieges sieht, billigt es sie und nimmt alle daraus ent-
stehenden Folgen auf sich.
 
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