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DasBuchfüvAlle
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Verdrießlich hatte er die Worte herausgestoßen. Das Zugeständ-
nis, eine geschäftliche Untlugheit begangen zu haben, bereitete ihm
offenbar das lebhafteste Unbehagen. Überrascht blickte er auf, als
Goswin, statt eure Meinung zu äußern, in unverkennbarer Span-
nung fragte: „Es war also Herr Direktor Vilmar, der meine Be-
rufung verlangte?"
„Na ja, ich sagte es Ihnen doch schon. Das heißt — weshalb
machen ^ie denn
dazu ein gar so son¬
derbares Gesicht?"
„Wir sind, soviel
ich sehe, mit unse¬
rer Besprechung des
Falles Helmbrecht
zu Ende."
„Um ehrlich zu
sein: ich habe ihm
gestern schon ge¬
schrieben. Sie lie¬
ßen eben gar zu
lange auf sich war¬
ten, lieber Freund."
„Sie werden mir
erlauben, Ihr Ver¬
halten etwas sonder¬
bar zu finden. Ader¬
lässen wir das auf
sich beruhen. Treffe
ich Herrn Direktor-
Vilmar jetzt hier im
Hause?"
„Nein. Er hat,
soviel ich weiß, sei¬
nen Sommerurlaub
bereits angetreten."
„Eristabgereist?
Wann?"
„Da fragen Sie
mich zuviel. Vor¬
gestern — gestern—
vielleicht auch erst
heute. Wir sind nicht
so vertraut, daß ich
mich um die Stunde
kümmerte."
„Aber Sie wissen
ohne Zweifel, wo¬
hin er gereist ist."
Die kleinen, be¬
weglichen Augen
des Generaldirektors
fuhren lauernd über
das Gesicht des Fra¬
genden hin. Dann
sagte er mit einem
Achselzucken: „Be¬
tz aure. Wenn mein
Gedächtnis mich
nicht trügt, sprach
er von Ostende ode
Blankenberghe."
„Nun, in seiner
Privatwohnung wird man mir ja vermutlich Auskunft geben können."
„Ist es denn so schrecklich wichtig, was Sie mit ihm abzumachen
haben, Doktorchen?"
„Ungefähr ebenso wichtig, wie es meine Abberufung aus Wester-
land für Herrn Vilmar gewesen ist."
„Sie nehiren doch nicht etwa an, daß er persönliche Gründe —"
„Bitte, drs steht hier nicht zur Erörterung. Es ist also nicht
nötig, daß ic) mich länger aufhalte?"
„Da Sie nun mal da sind — wollen Sie nicht wenigstens Helm-
brechts Antwort abwarten, ehe Sie wieder in die Arme Ihres süßen "
„Nein!" fiel Goswin mit unhöflicher Schroffheit ein. „Da Sie
auf meinen Rat keinen Wert gelegt haben, kann mich auch der
weitere Verlauf der Angelegenheit zunächst nicht hier halten. Ich
reise heute abend."
Der Abschied war sehr förmlich. Sobald der Rechtsanwalt ihn
verlassen hatte, ließ sich Hagenow telephonisch mit der zuständigen
Poststelle verbinden und diktierte ein dringendes Telegramm an
den Direktor Arnold
Vilmar in Wester-
land auf Sylt. Und
dies Telegramm lau-
tete:
„G. war hier nicht
zu halten. Hat offen-
bar Witterung und
fährt sofort nach
Westerland zurück.
Also Vorsicht.
Hagenow."
AuchGoswinhatte
ein Telegramm nach
Westerland gesandt,
ein lügenhaftes Te-
legramm, das von
einer unerwarteten
und unerwünschten
Verzögerung seiner
Rückreise sprach. Er
schämte sich, wäh-
rend er es nieder-
schrieb,' aber er wider-
stand dennoch der
Versuchung, das
Blatt zu zerreißen.
Am nächsten Mor-
gen war er in Ham-
burg, und am Nach-
mittag fuhr er über
das Watt. Durch
Regen, Sturm und
frühe Dunkelheit
wanderte er zum
Hotel, erschöpft und
krank von der un-
natürlichen Span-
nung und Erregung,
in der er die lange
Reise zurückgelegt
hatte. Er war in
der Privatwohnung
Vilmars gewesen,
und er hatte von
dem zurückgebliebe-
nen Diener des auf
sehr großem Fuße
lebenden Direktors
gehört, sein Herr sei
nach Ostende ge-
fahren. Eine ge-
naue Adresse aber
habe Herr Vilmar
noch nicht mitge-
teilt. Nicht einen Augenblick hatte Goswin sich durch diese Auskunft
täuschen lassen, die zögernd und in sichtlicher Verlegenheit erteilt
wurde. Daran, daß es sich um eine Abmachung mit so und so vielen
Mitwissern handle, hegte er keinen Zweifel mehr.
Trotzdem hatte er sich äußerlich ganz in der Gewalt, als er den
höflichen Gruß des Pförtners erwiderte, und ihn anwies, seinen
Handkoffer von der Bahn holen zu lassen. Die Frage nach seinen
Damen, die er von dem Zeitpunkt seiner Ankunft nicht mehr
rechtzeitig habe unterrichten können, klang unverdächtig ruhig. Und
er nickte nur, als er die Antwort erhielt, Frau Doktor Randolf
Marschall Gideon von Laudon.
Zum 200jährigen Geburtsiag.