HM 20
DasBuchfüvAlis
und auch dann reichte Rosa immer dem Gerichtsassessor schon Hut
und Aberrock, wenn sich das junge Ehepaar noch von Hedwig verab-
schiedete.
Rosa blieb in Hedwigs Diensten und, wie sie sich in ihrer derben
Art ausdrückte, der Herr Assessor würde Zuziehen. Denn auch die
Wohnung behielt man: Wohnung und Einrichtung.
Albert Pahlzow hatte nichts dagegen gesagt, er fand es im
Augenblick sogar be¬
quem. Wenn er sich
einmal behaglicher
und mehr nach sei¬
nen Wünschen aus¬
statten wollte, mochte
das später geschehen,
sobald er mit allen
Rechten des Haus¬
herrn heimisch war. '
DieHochzeit sollte
am nächsten Diens¬
tagstattfinden. Holst
war jetzt wieder auf
einer Amtsreise und
Albert hatte sich für
den heutigen Frei¬
tag abend von sei¬
ner Braut beurlaubt.
Angeblich drängen¬
der Arbeit wegen,
in Wahrheit, weil
er die Gelegenheit
nutzen wollte, noch
einmal den Klub zu
besuchen.
Würde es der
letzte Besuch sein?
Vielleicht. — Feste
Vorsätze zu fassen,
lag nicht in seiner
Art. Nun kam bald
die Hochzeitsreise
ins Salzkammergut
und dann verging
längere Zeit, bis er
die Spielgenossen
wieder sehen würde.
Da eben die Ge¬
richtsferien endeten,
hatte er einen be¬
kannten jungen Kol¬
legen als Vertreter
gestellt, und Justiz¬
rat Weiler war ein¬
verstanden gewesen.
Nun war er frei.
Noch einmal ganz
frei und brauchte
nicht zu fürchten,
datz ihm der unbe¬
queme Freund den
Abend verdarb. —
Holst hielt, seit¬
dem Pahlzow verlobt
war, seine Bedenken darüber, daß er noch immer spielte, nicht zurück.
Seit dem Tod der Tante Curtius brauchte Pahlzow kein Darlehn
mehr von Holst; Golonsky war von geradezu unwiderstehlichem Ent-
gegenkommen, seit Albert Hedwig davon überzeugt hatte, datz ihr
von der Tante ererbtes Vermögen in völlig veralteter Weise angelegt
war. Sie hatte ihm Vollmacht gegeben, das Geld in anderer Weise zu
verwerten. Golonsky erwies sich als tüchtiger Ratgeber für alle Fälle.
Hedwig sah bei Agnes in deren blitzblankem neuem Heim, dessen
Möbel in unberührtem Glanz spiegelten. Das Klavier war ein
wertvolles Instrument von großer Klangschönheit, und Hedwig fand
XX. 1817,
erst jetzt, datz der alte Flügel der Tante durch ein besseres Instrument
ersetzt werden mützte. Sie plauderten darüber und von der bald
bevorstehenden Hochzeitsfeier. Das junge Ehepaar Holst würde
als Trauzeuge mktwirken. Erinnerungen an Agnes' Vermählungs-
feier flochten sich ein und die Abendstunden verflogen unmerklich
rasch im lebhaften Geplauder.
Hedwig hoffte darauf, datz Albert sie abholen würde, um sie
heimzugeleiten; er
kam vielleicht doch,
obwohl er ihr keine
festeZusage gegeben.
Wenn er bis elf
Uhr nicht kam, war
Rosa für alle Fälle
herbestellt.
Richard Holst
konnte nicht kom-
men; er bestimmte
seine Zeiteinteilung
stets sehr genau und
mutzte heute in einem
bekannten Forsthause
übernachten, um mor-
gen in aller Frühe
beiHolzversteigerun-
gen die Aufsicht zu
führen.
Die Hände inden
llberziehertaschen,
den Hut auf dem
Kopfe, die Zigarre
im Mundwinkel, er-
schien Pahlzow in
dem Spielzimmer der
„Goldenen Traube".
Rechtsanwalt
Gröger streckte dem
Kollegen die Hand
hin und rief: „Wie
kommt mir solcher
Glanz in meine
Hütte?" Auch die
übrigenHerren schie-
nen überrascht, denn
an den letzten bei-
den Abenden war
Pahlzow fern ge-
blieben; erhalte sich
seinen Pflichten um-
so weniger entziehen
können, als Holst da-
heim gewesen war,
der sich mit vorge-
schützten Arbeiten
in der stillsten Ju-
ristenzeit nicht be-
lügen lietz.
Diese ewige Be-
vormundung durch
Holst verdrotz Pahl-
zow schon seit langer
Zeit. Heute war er
entschlossen, einmal nachzuholen, was er in den letzten Wochen ver-
säumt; es gelüstete ihn, einmal „durchzugehen".
Melnikow hatte sich erhoben, als Pahlzow eintrat; er kam herbei
und half dem Assessor aus dem llberrock. Der träge Mensch war
sonst durchaus nicht so dienstbeflissen; sein Eifer fiel Pahlzow auf.
Merkwürdig erschien ihm auch der wehmütig teilnahmsvolle Blick
des hätzlichen Russen.
„Bester Melnikow, haben Sie Zahnschmerzen?"
Sascha Melnikow schüttelte müde den Kopf, datz ihm die schwarzen
Haarsträhnen die bleichen Wangen streiften.
Rastende Trainabteilung im Kampfgebiet.
'phoi. Bild- und Mm-Ami, Berlin.
Feldlazarett unmittelbar hinter der Kampflinie.
DasBuchfüvAlis
und auch dann reichte Rosa immer dem Gerichtsassessor schon Hut
und Aberrock, wenn sich das junge Ehepaar noch von Hedwig verab-
schiedete.
Rosa blieb in Hedwigs Diensten und, wie sie sich in ihrer derben
Art ausdrückte, der Herr Assessor würde Zuziehen. Denn auch die
Wohnung behielt man: Wohnung und Einrichtung.
Albert Pahlzow hatte nichts dagegen gesagt, er fand es im
Augenblick sogar be¬
quem. Wenn er sich
einmal behaglicher
und mehr nach sei¬
nen Wünschen aus¬
statten wollte, mochte
das später geschehen,
sobald er mit allen
Rechten des Haus¬
herrn heimisch war. '
DieHochzeit sollte
am nächsten Diens¬
tagstattfinden. Holst
war jetzt wieder auf
einer Amtsreise und
Albert hatte sich für
den heutigen Frei¬
tag abend von sei¬
ner Braut beurlaubt.
Angeblich drängen¬
der Arbeit wegen,
in Wahrheit, weil
er die Gelegenheit
nutzen wollte, noch
einmal den Klub zu
besuchen.
Würde es der
letzte Besuch sein?
Vielleicht. — Feste
Vorsätze zu fassen,
lag nicht in seiner
Art. Nun kam bald
die Hochzeitsreise
ins Salzkammergut
und dann verging
längere Zeit, bis er
die Spielgenossen
wieder sehen würde.
Da eben die Ge¬
richtsferien endeten,
hatte er einen be¬
kannten jungen Kol¬
legen als Vertreter
gestellt, und Justiz¬
rat Weiler war ein¬
verstanden gewesen.
Nun war er frei.
Noch einmal ganz
frei und brauchte
nicht zu fürchten,
datz ihm der unbe¬
queme Freund den
Abend verdarb. —
Holst hielt, seit¬
dem Pahlzow verlobt
war, seine Bedenken darüber, daß er noch immer spielte, nicht zurück.
Seit dem Tod der Tante Curtius brauchte Pahlzow kein Darlehn
mehr von Holst; Golonsky war von geradezu unwiderstehlichem Ent-
gegenkommen, seit Albert Hedwig davon überzeugt hatte, datz ihr
von der Tante ererbtes Vermögen in völlig veralteter Weise angelegt
war. Sie hatte ihm Vollmacht gegeben, das Geld in anderer Weise zu
verwerten. Golonsky erwies sich als tüchtiger Ratgeber für alle Fälle.
Hedwig sah bei Agnes in deren blitzblankem neuem Heim, dessen
Möbel in unberührtem Glanz spiegelten. Das Klavier war ein
wertvolles Instrument von großer Klangschönheit, und Hedwig fand
XX. 1817,
erst jetzt, datz der alte Flügel der Tante durch ein besseres Instrument
ersetzt werden mützte. Sie plauderten darüber und von der bald
bevorstehenden Hochzeitsfeier. Das junge Ehepaar Holst würde
als Trauzeuge mktwirken. Erinnerungen an Agnes' Vermählungs-
feier flochten sich ein und die Abendstunden verflogen unmerklich
rasch im lebhaften Geplauder.
Hedwig hoffte darauf, datz Albert sie abholen würde, um sie
heimzugeleiten; er
kam vielleicht doch,
obwohl er ihr keine
festeZusage gegeben.
Wenn er bis elf
Uhr nicht kam, war
Rosa für alle Fälle
herbestellt.
Richard Holst
konnte nicht kom-
men; er bestimmte
seine Zeiteinteilung
stets sehr genau und
mutzte heute in einem
bekannten Forsthause
übernachten, um mor-
gen in aller Frühe
beiHolzversteigerun-
gen die Aufsicht zu
führen.
Die Hände inden
llberziehertaschen,
den Hut auf dem
Kopfe, die Zigarre
im Mundwinkel, er-
schien Pahlzow in
dem Spielzimmer der
„Goldenen Traube".
Rechtsanwalt
Gröger streckte dem
Kollegen die Hand
hin und rief: „Wie
kommt mir solcher
Glanz in meine
Hütte?" Auch die
übrigenHerren schie-
nen überrascht, denn
an den letzten bei-
den Abenden war
Pahlzow fern ge-
blieben; erhalte sich
seinen Pflichten um-
so weniger entziehen
können, als Holst da-
heim gewesen war,
der sich mit vorge-
schützten Arbeiten
in der stillsten Ju-
ristenzeit nicht be-
lügen lietz.
Diese ewige Be-
vormundung durch
Holst verdrotz Pahl-
zow schon seit langer
Zeit. Heute war er
entschlossen, einmal nachzuholen, was er in den letzten Wochen ver-
säumt; es gelüstete ihn, einmal „durchzugehen".
Melnikow hatte sich erhoben, als Pahlzow eintrat; er kam herbei
und half dem Assessor aus dem llberrock. Der träge Mensch war
sonst durchaus nicht so dienstbeflissen; sein Eifer fiel Pahlzow auf.
Merkwürdig erschien ihm auch der wehmütig teilnahmsvolle Blick
des hätzlichen Russen.
„Bester Melnikow, haben Sie Zahnschmerzen?"
Sascha Melnikow schüttelte müde den Kopf, datz ihm die schwarzen
Haarsträhnen die bleichen Wangen streiften.
Rastende Trainabteilung im Kampfgebiet.
'phoi. Bild- und Mm-Ami, Berlin.
Feldlazarett unmittelbar hinter der Kampflinie.