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Oie Versuchsküche. Don vr. Zoseph Draxler.
ei der Notwendigkeit, die vorhandenen Nahrungsmittel nach Mög-
lichkeit auszunützen und zu strecken, war es naheliegend, daß sich
zahlreiche Personen mit der Ausfindigmachung bisher gar nicht
oder nur selten für die Ernährung benützter Stoffe beschäftigten. Dazu
fühlte sich seiner besonderen Kenntnisse in der Pflanzenwelt wegen auch
ein Dürrkräutler berufen, der in alten Kräuterbüchern gefunden hatte,
daß in früheren Zeiten, als noch Hungersnöte gang und gäbe waren, die
Kräuter weit mehr wegen ihres Nährwertes als wegen ihrer Heilkraft ge-
schätzt wurden. Er unternahm allerhand Versuche, über die er selbst be-
richtet : „Ich kochte Stengel, Frucht und Blätter von H i m m eIbrand
(Verbascumh auch Königskerze ge¬
nannt, und trank den tintenschwarzen
Absud. Er war nicht bloß anregend
wie chinesischer Tee, sondern auch
ganz ohne Zucker süß, wohlschmeckend
und kann sich nach meinen Versuchen
an Nährwert mit einer Schale Milch¬
kaffee messen.
Die Fruchtkapseln, die etwas größer
als Erbsen sind, ergeben, geröstet und
gemahlen, ein bisher noch nicht ver¬
wendetes Kaffeeersatzmittel. Bei der
großen Häufigkeit des Himmelbrandes
dürfte sich seine Ausnützung lohnen.
Eine medizinische Nebenwirkung, wie
sie den goldgelben Blütenblättern der
Pflanze zugeschrieben wird, verspürte
ich nicht.
Die hohe Wertschätzung der Königs¬
kerze oder des Himmelbrandes bei
unseren Vorfahren dürste auch auf
den Nährwert zurückzuführen sein, und
nicht auf den Heilwert, der bei der
geringen Zahl der früher zu bekämp¬
fenden Krankheiten weniger in Be¬
tracht kam.
Die Früchte des Wegerichs
(plantaAo) trocknete ich, zerrieb sie
im Mörser, vermischte sie mit Mehl
und bereitete daraus ein recht schmack¬
haftes Brot. Die gleichfalls zerriebe¬
nen Blätter und Wurzeln des Wege¬
richs geben mir eingebrannt ein nahr¬
haftes Gemüse.
Aus den getrockneten Fruchtboden
und Wurzeln der Eberwurz (Car-
linch, auch Wetter di st el genannt,
erhielt ich ein milchiges, wohlschmecken¬
des und nahrhaftes Getränke. Neben¬
bei erwähne ich, daß die im Frühling
beim Abpflücken von süßer Milch trop¬
fende Eberwurz weit ausgiebiger und
auch noch nicht von den sehr zahl-
reichen Schmarotzern der Jnsektenwelt, die den Nährwert der saftigen
Pflanze trotz der furchtbaren Stachclwehr gut ausnützen, zerfressen ist.
Mit den Pappusfäden der Eberwurz habe ich bereits zahlreiche Polster
gefüllt.
Eine weitere viel zu wenig geschätzte Pflanze ist der Holunder
säambucus uigor). Die köstlichen schwarzen Beeren streute ich in den
Brotteig und verwandelte damit selbst minderwertiges Brot in wohl-
schmeckendes, das dem mit Kletzen, gedörrtem Obst, bereiteten Christ-
brot glich.
Die Blätter des Holunders liefern mir eingebrannt ein dem Spinat
ähnliches Gemüse. Merkwürdig ist die lange Haltbarkeit aller Nahrungs-
mittel, die mit Holundersaft, der aus gestampften Blättern bereitet wird,
verseht wurden. Der Holunder läßt nichts verderben, ^m Frühling koche
ich die jungen Triebe des Holunders, die, wie Crpargeln zubereitet, vorzüg-
lich schmecken. Die Blätterknospen sind zart wie Blumenkohl.
Ein ganz eigenartig belebendes und stärkendes Getränke liefert mir der
nahe Verwandte des schwarzen Holunders, der Zwergholder (Kam-
bu<M8 raesmosa). Seine Abkochung schmeckt zunächst abschreckend bitter,
über kaum ist der unangenehme Geruch im Munde verschwunden, als inan

sich auch schon versucht fühlt, nochmals nach der gefüllten Schale zu greifen,
was ich auf die sofort sich einstellende wohltuende Wirkung auf den Magen
zurückführe.
Zur Verbesserung und Streckung meines Brotes nehme ich die Quek-
kenwurzel (l rikisum rapans) und das Isländische Moos
(Cetraria I-üanäiea), die beide überall massenhaft vorkommen und seit
jeher bei Hungersnöten zur Mehlbereitung verwendet wurden.
Ein vorzügliches gesundes Kompott liefern mir die getrockneten
Schwarzbeeren oder Heidelbeeren (Vaccinium iKvrtillus)
und die roten Mehlbccren, die schönen Früchte vom Korbas _4ria.
Ich lasse sie im Wasser weich werden und streue etwas Zucker darauf.
Beide Beerenarten eignen sich auch vorzüglich als Dauerproviant auf
längeren Wanderungen und stillen so-
wohl Hunger wie Durst."
Außer den genannten zählte mir
der Dürrkräutler noch so zahlreiche, bei
uns überall in Massen wildwachsende
Pflanzen auf, die zur Nahrung und
Stärkung herangezogen werden könn-
ten, daß mir sein Laden eher wie ein
Nahrungsmittel- als ein Heilkräuter-
lager erschien.
Zum Schluß meinte er: „Wenn
nach dem schneereichen strengen Winter
der Frühling Heuer mit verdoppelter
Kraft hervorbricht, so gibt es Nahrungs-
mittelsorgen nur mehr für diejenigen,
die bei vollem Tische der Natur nicht
zuzugreifen wissen. Die von jeher hoch-
geschätzten Frühlingskräuter und die
vor dem Treiben noch im kräftigsten
Safte stehenden Wurzeln haben ihren
aus den ältesten Zeiten stammenden
guten Ruf nicht umsonst. Die Heilwir-
kung der sogenannten Frühlingskuren
ist für den Eingeweihten viel weniger
eine medizinische, sondern beruht bei
richtiger Auswahl der Pflanzen weit
mehr auf der Kräftigung des Körpers
durch nahrhafte Säfte der Frühlings-
kräuter.

Hinter den Kulissen derMode.
Von Emma Oormien.
ode istStoff gewordenerFrauen-
wille," sagte einmal ein Schrift-
steller unserer Tage und fand
damit für eine sehr verbreitete Mei-
nung einen knappen Ausdruck. Wenn
wir aber bedenken, daß erst viele Zu-
sammenarbeit und unzählige Abhängig-
keiten auf industriellem Gebiete eine
Mode schaffen, so erscheint es fraglich,
ob der Frauenwille hierbei mehr als eine recht bescheidene Rolle spielt.
Alle jene Frauen der Vergangenheit, denen eine glänzende Führer-
schaft auf dem Gebiet der Mode zugesprochcn wird, Isabella von Bayern,
Anna von Österreich, Philippine Welser, Marie Antoinette, Eugenie de
Montijo, die letzte Kaiserin Frankreichs, um nur einige zu nennen, waren
doch nur die Verbreiterinnen einer schon vorhandenen Mode und leisteten
dieser, genau genommen, nur ungefähr die Dienste, die heute von den dazu
bestimmten Mannequins verrichtet werden. Wie machtlos sie tatsächlich
in entscheidenden Fragen der Mode gegenüberstanden, beweist der Kampf
der Kaiserin Eugenie gegen die Krinoline, deren Erfindung — nebenbei
bemerkt — ihr immer wieder irrtümlicherweise zugeschrieben wird. Denn
lange bevor die Krinoline aus der Geschichte verschwand, hatte die Kaiserin
sie schon abgelegt.
Es muß also eine sehr viel stärkere Macht als die des Frauenwillens
sein, die eine Mode hervorruft, um eine andere zu verabschieden. Es ist
in der Tat dieselbe Macht, die den Weltbrand durch Englands Habgier ent-
fesselt hat: der w i r t s ch a f t I i ch e Egois m u s! Millionen Hände
regen sich im Dienste der Mode; Milliarden an Geld werden in der Welt
für ihre Zwecke umgesetzt, und da soll man annehmen, das Schicksal der



prinzeßchen tanzt.

Originalzeichnung von p. Wendling.
 
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