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Ol-, Fett- und Eiweißgewl'nnung aus Getreide.
l, Fett, Eiweiß sind alle drei gute Dinge, von denen man viel
gebrauchen, aber zurzeit nur wenig bekommen kann. Schon in
Friedenszeiten reichte die Herstellung in Deutschland und Öster-
reich bei weitem nicht aus, den Bedarf zu decken. Wieviel Schweine-
schmalz kam aus Amerika, wieviel Butter und Eier wurden aus Dänemark
und Sibirien geliefert! England glaubte es daher leicht zu haben, es
gedachte Deutschland und Österreich von aller Zufuhr abzusperren und
langsam, aber sicher auszuhungern. Die Notlage
spornte den Erfindungsgeist zu größten Leistungen
an. Auf allen möglichen Gebieten, nicht zuletzt auf
dem der Nahrungsmittelchemie, wurden überraschende
Erfolge erzielt. Unter anderen ist die Gewinnung
von Ol, Fett und Eiweiß aus Pflanzenstoffen, die
schon in den letzten Jahren vor dem Krieg die For-
schung beschäftigte, theoretisch und technisch so ge-
fördert, daß nun die Durchführung des erprobten
Verfahrens zum Besten der Allgemeinheit in Deutsch-
land wie in Österreich durchgängig zur Pflicht ge¬
macht wird. Das Verdienst, bei uns auf die theo-
retische Begründung und die praktische Durchführbar¬
keit hingewiesen zu haben, gebührt vor allen Pro-
fessor Backhaus in Berlin.
Der Nutzen, der sich für die Lebensmittelversor¬
gung aus der neuen Art der Getreideverwertung
ergibt, ist ein doppelter; einmal wird die bisherige
Beschaffung dieser unbedingt erforderlichen Nähr-
stoffe aus tierischen oder ausländischen Produkten
durch die Gewinnung aus Pflanzenstoffen in unge¬
ahnter Weise ergänzt und dadurch die Volksernüh-
rung erst recht gesichert; anderseits wird einer be¬
denklichen Verschwendung dadurch vorgebeugt, daß
wichtiges, für menschliche Ernährung geeignetes
Material nicht mehr zur Verfütterung des Viehs benutzt wird, weil es
auf dem Umweg durch den Tiermagen dem Menschen nur nachträglich
und in geringerem Maße zustatten kommt.
Auch für die industrielle Verwertung bei der Herstellung von Seifen,
Lichtern, Salben und Schmieren waren wir auf die
Deckung des Fettbedarfs zum größten Teil auf die¬
selben Rohstoffe angewiesen, die auch der mensch¬
lichen Ernährung dienen können. Jedes Quantum
tierisches Fett, das zu Seife oder Lichtern verarbeitet
wird, bleibt für Ernährungszwecke unverwendbar,
kürzt also die Lebensmittel, infolgedessen wird durch
den Ersatz aus Pflanzenstoffen auch die Versorgung
der Industrie mit Rohstoffen gewinnen.
Seit 1916 hat man nach dem schon längere Zeit
bewährten Beispiel Amerikas und neuerdings auch
Österreichs ebenfalls in Deutschland in größerem
Maße begonnen, Ol aus Maiskeimen zu bereiten,
um Ersatz für die tierischen Fette und ausländischen
Ole zu gewinnen. Mit der Entkeimung ist zugleich
eine Verbesserung des Maismehls und der als
Futter dienenden Rückstände verbunden. Manche
Hausfrau wird schon die Beobachtung gemacht haben,
daß Maismehl bei längerer Aufbewahrung leicht
ranzig wird und bitter schmeckt. Dieser Schaden
wird dadurch beseitigt, daß den Maiskeimen das
leicht dumpfig werdende Fett entzogen wird, das
dann in anderer Weise vortreffliche Dienste leisten
kann. Die österreichische Ol- und Fettzentrale hat
sich neue Herstellungsweisen der Maisölgewinnung
zunutze gemacht, die eine Vereinfachung des Verfahrens darstellen und
die Maisentkeimung wesentlich vervollkommnen. Von dieser Amtsstelle
wurden Preise von insgesamt 80000 Kronen ausgesetzt für die Erzielung
der größten Olmenge, die aus den abgesonderter: Maiskeimen gewonnen
wird, und verfügte ferner, daß Mais zukünftig nur an solche Mühlen ge-
liefert wird," die die Entkeimung vornehmen. Sie hat den Betrieben un-
entgeltlich mit der Neueinrichtung vertraute Fachleute zur Verfügung
gestellt, die alle etwa erwünschten Erklärungen und Ratschläge zu geben
imstande sind. Der deutsche Kriegsausschuß für ^-ette und Ole zahlt für
je 100 Kilogramm Maiskeime 30 Mark. Was sich bei Mais schon seit
längerer Zeit bewährt hat., soll nun in Deutschland auch bei allen übrigen
Getreidearten durchgeführt werden. Bisher gingen die Getreideteime der
menschlichen Ernährung verloren. Bei der Mehlgewinnung tam nämlich

nur ein geringer Teil der Keime ins Mehl, die weitaus größte Menge
blieb in der Kleie. Die Forschung brachte aber den Nachweis, daß der
Getreidekeim in seiner Zusammensetzung und als Nährstoff Fleisch und
Vogeleiern sehr nahe kommt, ja sie hinsichtlich des geringen Wassergehalts
sogar noch weit übertrifft und vom Menschen vollständig verdaut wird.
Weizen- und Roggenkeime enthalten nämlich durchschnittlich 36 Prozent
Eiweißstoffe und ebensoviel Kohlenhydrate, 12 Prozent Fett, 5 Prozent
Mineralsalze und nur 2 Prozent Rohfasern. Außerdem finden sich Nähr-
salze, phosphorsaurer Kalk, auch Lezithin darin vor, und sogenannte
Vitaminen oder Ergünzungsnährstoffe. Die Bedeu-
tung der letzteren in physiologischer Beziehung ist
neuerdings fortgesetzt Gegenstand wichtiger wissen-
schaftlicher Untersuchungen. Jedenfalls werden
Blutbildung und Wachstum durch diese Stoffe be-
fördert und zugleich Gesundheilsschädigungen, wie
sie bei der Beriberikrankheit beobachtet wurden, ver-
hindert. Wegen dieser wertvollen Eigenschaften
wurde schon vor Jahren die Verarbeitung des Ge-
treidekeimes zu Nahrungsmittelpräparaten speziell
für Kinder und stillende Mütter, Rekonvaleszenten
und Tuberkulöse empfohlen und einzelne Versuche
mit gutem Erfolg gemacht.
Durch die Entkeimung des Getreides wird ähn-
lich wie beim Mais eine doppelte Ausnützung mög-
lich. Man gewinnt in einem Raffinierverfahren
ein völlig geschmackloses, für Genußzwecke, Salat-
und Gemüsebereitung trefflich geeignetes und preis-
wertes Ol; anderseits dienen die gewonnenen Fett-
und Eiweißstoffe der Ernährung bei der Herstellung
von Margarine und anderen Nährpräparaten, die
zu Mehlspeisen, Puddings und allerlei Gebäck Ver-
wendung finden können.
Dabei wird die Mehlausbeute des Getreides
nicht verringert, vielmehr durch die Beseitigung der
Fettsäure geradezu verbessert. Besondere Einrichtungen sind für die
Mühlen beim Roggen nicht erforderlich; die Entkeimung des Weizens
bedingt nur geringe technische Änderungen. Auch der Müller kommt dabei
nicht zu Schaden, denn die Keime werden ihm natürlich höher bezahlt
als bisher die Kleie. Durch das Entkeimungs-
verfahren wird von der gleichen Menge Getreide
etwa die doppelte Menge Nährstoff für die Er-
nährung gewonnen, als dies bisher auch bei bester
Zubereitung und Verfütterung der Kleie mög-
lich war.
Das Verhältnis des Keimgewichtes zum Ge-
wicht des Gesamtkorns beträgt: 2 bis 3 Prozerit
beim Weizen, etwa 3 bis 4 Prozent beim Roggen,
2 bis 3,6 Prozent bei der Gerste und 10 bis 14 Pro-
zent dein: Mais; rechnet man nun nur mit einer
Ausbeute von 1 Prozent, die tatsächlich schon jetzt
in den Mühlen erzielt wird, so sind von den 16 Mil-
lionen Tonnen Getreide, die in Deutschland jähr-
lich zur Vermahlung kommen, etwa 16 000 Tonnen
Ol und 136000 Tonnen Ei- und Fleischersatz zu er-
warten. Die Vorteile der rationellen Ausnützung
der Getreidekeime sind in der Tat so außerordent-
lich, daß man sich eine unverantwortliche Ver-
schwendung zuschulden kommen ließe, wenn man
sie nicht ausnützen würde. Die deutsche Kriegs-
getreidestelle wird deshalb, wie es die österreichische
Ol- und Fettzentrale bei Mais vor längerer Zeit
schon getan hatte, die ihr angeschlossenen Mühlen
verpflichten, das Entkeimungsverfahren einzurichten.
Bei der neuen Ernte wird voraussichtlich aller Roggen, Weizen und auch
ein Teil der Gerste und des Hafers mit dem Entkeimungsverfahren be-
handelt werden. Wir wollen England den Beweis liefern, daß wir mit
vereinten Kräften unsere Volksernährung sicherzustellen wissen. Aus der
Türkei werden wir Mohn- und Olivenöl, das bisher auf dem Umweg
durch Frankreich und Italien als Provenceröl zu uns gelangte, geliefert
erhalten, die Verwendung der heimischen Bucheckern, Pflaumen- und
Sonnenblumen-, Kürbis- und Pfirsichkerne, ja der Unkrautsamen, wie
Hederich und Ackersenf, wird das Ihre tun, aber den weitaus größten Zu-
wachs für die Versorgung mit den unentbehrlichen Nährstoffen Ol, Fett
und Eiweiß wird uns die Einführung der Getreideentkeimung gewähr-
leisten. Sie wird eine dauernde Einrichtung werden, auf die man auch
in Friedenszeiten nicht mehr verzichten wird.


Professor vr. Äackhaus.



Phot. Berliner Illustrations-Gesellschaft m. b. H., Berlin.
Professor Gustav Jäger ch.
 
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