Heft 23
DasBuchfürAlls
635
Oer Klavierstimmer.
Don Siegfried Baske.
re Fernsicht aus dem Fenster war öde. Kein Haus war
zu sehen, nichts als die weihen durchnäßten Felder, und
die gerade, eintönige Landstraße, die sich weiter hinten
zwischen niedrigen Hügeln verlor. Unaufhörlich fiel der Regen;
er schien heute kein Ende mehr nehmen zu wollen. Zwei qualvoll
bange Stunden wartete sie nun schon darauf, ob sich kein Helles
Fleckchen am Himmel zeigen wollte, aber die düstere Stimmung
war nur trüber geworden. Die Dienstboten hatte sie in die nahe-
liegende Stadr geschickt, wo wandernde Zirkusleute Vorstellungen
gaben. Im ganzen Hause rührte sich nichts; nur ab und zu schlug,
Scheiben dröhnten, dann konnte sie kaum bis drei zählen, bis der
laute Knall zu hören war. Um halb fünf mußte sie ohnedies in
die Küche gehen, um Wasser aufzusehen, dann konnte sie die Tür-
schließen. Sie nahm das Buch auf und versuchte zu lesen, aber sie
behielt den Sinn der Worte nicht, immer wieder blickte sie auf
und horchte.
Wieder brauste ein Windstoß über das Haus weg, der Regen
prasselte. Sie horchte gespannt, im nächsten Augenblick mußte der
Knall zu hören sein. Diesmal dauerte es länger als sonst.
Sie fühlte ihr Herz pochen; sie zählte: „drei, vier, fünf ..."
Aber es blieb still. Sie hörte nur das endlose Strömen des Regens,
das Gurgeln und Plätschern des fließenden Wassers in der Dach-
rinne. Leichte Schauer durchrieselten sie. Bange Minuten ver-
gingen, sie blickte unverwandt hinaus und lauschte, bis ein neuer
Windstoß gegen das Haus fegte. Nichts war zu hören. Was war
Gemälde von K. Hartmann.
vom Winde getrieben, eine Tür im rückwärtigen Teil des Hauses.
Sie sah auf die Uhr. Wie langsam die Zeit schlich, es war kurz vor
vier. Ihr Mann machte seine Krankenbesuche; es konnte sechs
Uhr werden, bis er zurückkam. Zwei einsame, endlos lange Stunden
lagen noch vor ihr, und gerade heute war sie so unsagbar unruhig.
Ein Buch, das auf ihren Knien lag, fesselte sie nicht; voll Unrast
wanderten ihre flüchtigen Gedanken ziellos und wollten nirgends
haften. Sie horchte auf das Brausen des Sturmes, das Prasseln
des Regens auf dem Fensterbrett und zählte die Minuten, bis zum
nächsten Zuschlägen der Tür. Immer, wenn sie es nicht erwartete,
dröhnte der Schlag, und das Echo klang durch das Haus. Schon
lange dachte sie daran, die Türe zu schließen; es konnte nur die Tür
der Speisekammer oder die Küchentür sein, die man offen gelassen
hatte, denn die Hintertür war verschlossen. Irgend ein unklares
Gefühl hielt sie ab, aufzustehen und den Lärm abzustellen. Wieder
dröhnte der dumpfe Klang; merkwürdig, daß bei keinem der heftigen
Schläge das Schloß einschnappte. Allmählich konnte sie voraus-
bestimmen, wann der Schlag sich wiederholen mußte; ein jäher
Windstoß kam, der Regen prasselte stärker ans Fenster, daß die
Auf der Flucht,
das? Auch beim nächsten Ansturm blieb alles totenstill. Sie biß
sich auf die Lippen und reckte sich auf. Warum schlug nun die Tür
nicht mehr?
Einem dunklen Trieb folgend, blickte sie sich um. Da waren alle
gewohnten Dinge im Zimmer; Tabakpfeifen und Zigarren lagen
auf dem Rauchtisch, die Silbersachen im Schrank glänzten fahl,
neben dem Bücherbrett stand das Telephon, die Kaffeetassen waren
auf dem Tisch zurechtgestellt; das Mädchen hatte sie noch vor dem
Fortgehen ins Zimmer gebracht. Alles war wie sonst, und doch
fühlte sie qualvoll und unfaßlich etwas Fremdes um sich. Ihr
war, als wenn jemand sie beobachtete. Mit erkünstelter Ruhe er-
hob sie sich, ging zum Ofen und warf hastig ein paar Holzscheite
ins Feuer. Das Geräusch ihrer eigenen Bewegungen bannte das
Angstgefühl für kurze Zeit. Sie lächelte über sich selbst; wenn
Hilfe nötig wäre, brauchte sie ja nur das Telephon zu benützen.
Sie sagte sich, daß es dumm war, sich vor einem Nichts zu ängstigen.
Sie ging in den Flur hinaus, sah, daß der Regen unter der Haus-
tür hereinfloß und legte eine dicke Strohmatte dicht davor auf die
nassen Dielen.
DasBuchfürAlls
635
Oer Klavierstimmer.
Don Siegfried Baske.
re Fernsicht aus dem Fenster war öde. Kein Haus war
zu sehen, nichts als die weihen durchnäßten Felder, und
die gerade, eintönige Landstraße, die sich weiter hinten
zwischen niedrigen Hügeln verlor. Unaufhörlich fiel der Regen;
er schien heute kein Ende mehr nehmen zu wollen. Zwei qualvoll
bange Stunden wartete sie nun schon darauf, ob sich kein Helles
Fleckchen am Himmel zeigen wollte, aber die düstere Stimmung
war nur trüber geworden. Die Dienstboten hatte sie in die nahe-
liegende Stadr geschickt, wo wandernde Zirkusleute Vorstellungen
gaben. Im ganzen Hause rührte sich nichts; nur ab und zu schlug,
Scheiben dröhnten, dann konnte sie kaum bis drei zählen, bis der
laute Knall zu hören war. Um halb fünf mußte sie ohnedies in
die Küche gehen, um Wasser aufzusehen, dann konnte sie die Tür-
schließen. Sie nahm das Buch auf und versuchte zu lesen, aber sie
behielt den Sinn der Worte nicht, immer wieder blickte sie auf
und horchte.
Wieder brauste ein Windstoß über das Haus weg, der Regen
prasselte. Sie horchte gespannt, im nächsten Augenblick mußte der
Knall zu hören sein. Diesmal dauerte es länger als sonst.
Sie fühlte ihr Herz pochen; sie zählte: „drei, vier, fünf ..."
Aber es blieb still. Sie hörte nur das endlose Strömen des Regens,
das Gurgeln und Plätschern des fließenden Wassers in der Dach-
rinne. Leichte Schauer durchrieselten sie. Bange Minuten ver-
gingen, sie blickte unverwandt hinaus und lauschte, bis ein neuer
Windstoß gegen das Haus fegte. Nichts war zu hören. Was war
Gemälde von K. Hartmann.
vom Winde getrieben, eine Tür im rückwärtigen Teil des Hauses.
Sie sah auf die Uhr. Wie langsam die Zeit schlich, es war kurz vor
vier. Ihr Mann machte seine Krankenbesuche; es konnte sechs
Uhr werden, bis er zurückkam. Zwei einsame, endlos lange Stunden
lagen noch vor ihr, und gerade heute war sie so unsagbar unruhig.
Ein Buch, das auf ihren Knien lag, fesselte sie nicht; voll Unrast
wanderten ihre flüchtigen Gedanken ziellos und wollten nirgends
haften. Sie horchte auf das Brausen des Sturmes, das Prasseln
des Regens auf dem Fensterbrett und zählte die Minuten, bis zum
nächsten Zuschlägen der Tür. Immer, wenn sie es nicht erwartete,
dröhnte der Schlag, und das Echo klang durch das Haus. Schon
lange dachte sie daran, die Türe zu schließen; es konnte nur die Tür
der Speisekammer oder die Küchentür sein, die man offen gelassen
hatte, denn die Hintertür war verschlossen. Irgend ein unklares
Gefühl hielt sie ab, aufzustehen und den Lärm abzustellen. Wieder
dröhnte der dumpfe Klang; merkwürdig, daß bei keinem der heftigen
Schläge das Schloß einschnappte. Allmählich konnte sie voraus-
bestimmen, wann der Schlag sich wiederholen mußte; ein jäher
Windstoß kam, der Regen prasselte stärker ans Fenster, daß die
Auf der Flucht,
das? Auch beim nächsten Ansturm blieb alles totenstill. Sie biß
sich auf die Lippen und reckte sich auf. Warum schlug nun die Tür
nicht mehr?
Einem dunklen Trieb folgend, blickte sie sich um. Da waren alle
gewohnten Dinge im Zimmer; Tabakpfeifen und Zigarren lagen
auf dem Rauchtisch, die Silbersachen im Schrank glänzten fahl,
neben dem Bücherbrett stand das Telephon, die Kaffeetassen waren
auf dem Tisch zurechtgestellt; das Mädchen hatte sie noch vor dem
Fortgehen ins Zimmer gebracht. Alles war wie sonst, und doch
fühlte sie qualvoll und unfaßlich etwas Fremdes um sich. Ihr
war, als wenn jemand sie beobachtete. Mit erkünstelter Ruhe er-
hob sie sich, ging zum Ofen und warf hastig ein paar Holzscheite
ins Feuer. Das Geräusch ihrer eigenen Bewegungen bannte das
Angstgefühl für kurze Zeit. Sie lächelte über sich selbst; wenn
Hilfe nötig wäre, brauchte sie ja nur das Telephon zu benützen.
Sie sagte sich, daß es dumm war, sich vor einem Nichts zu ängstigen.
Sie ging in den Flur hinaus, sah, daß der Regen unter der Haus-
tür hereinfloß und legte eine dicke Strohmatte dicht davor auf die
nassen Dielen.