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Heft ZZ DasBuchfüeALLs ___Z39


Indianerhäuser mit totemistischen Symbolen.

Totemismus bei den Naturvölkern.

ei fast allen farbigen Völkern der Erde, am ausgesprochensten
aber unter den nordamerikanischen Indianern und den im Nord-
osten Asiens und im Nordwesten Amerikas lebenden Völkern, in
Afrika, Australien, Südasien, bei den Malaien und Melanesiern, findet
sich der Totemismus. Hohe Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß er auch
bei unseren ältesten Vorfahren verbreitet gewesen ist. Das Totem ist
die Nachbildung eines Tieres, seltener einer Pflanze oder eines toten
Gegenstandes, die sich an Hauswäu-
den, an Booten, auf allen möglichen
Gebrauchsgegenständen, Werkzeugen,
Waffen als Malerei oder in erhabener
Arbeit, selbst auf dem Körper ein¬
tätowiert findet. Die vor den Häusern
der Häuptlinge errichteten, bis zu
zwanzig und noch mehr Meter hohen
Totem- oder Wappenpfähle tragen
verschiedene Tierzeichen; das oberste
Totem ist das des Besitzers, das untere
das seiner Frau. Mit diesem Totem
glaubt sich der Besitzer in geheimnis¬
voller Weise verknüpft, er betrachtet
es als seinen Ahn, im Glauben, von
einem Menschen abzustammen, der
als Zwillingsbruder des betreffenden
Totemtieres geboren wurde. Danach
sind die, welche das gleiche Totem
besitzen, untereinander verwandt. Sie
bilden eine Sippe, die das Totem
heilig hält und es als Freund, Bruder,
Großvater, Ahn anspricht. Ange¬
hörige dieser Sippe dürfen unterein¬
ander nicht heiraten. Außer diesem
Stammestotem, das erblich ist und
von Geschlecht zu Geschlecht über¬
nommen wird, bestehen noch das Ge¬
schlechtstotem — Mann und Frau
können je ein besonderes Totem ver¬
ehren — und das persönliche Totem,
das nur Beziehungen zu einem ein¬
zelnen hat und nicht erblich ist. Dieses
letzte kann neben den beiden ande¬
ren bestehen. Seine Wahl entsteht
gewöhnlich gelegentlich, oder es kann
auch durch ein Erlebnis bestimmt
werden. Befindet sich jemand auf
einem wichtigen Wege, und es be- .
gegnet ihm ein Tier, so wird er, wenn sem Vorhaben von Erfolg be-
gleitet war, jenes Tier als Totem annehmen und heilig halten. Das
^otemtier darf demnach nie getötet oder verletzt, sein Fleisch nicht ge-
nossen werden, ebenso würde ein Ehemann nie das Totemtier seiner
Frau töten oder verzehren. m-rr --
Aber die Entstehung der Toteme stnd ber den farbigen Volkern die
verschiedensten Anschauungen verbreitet. Australische Stämme glauben,
ihre Vorfahren seien Tiere oder besondere Geschöpfe, halb Niensch uno

halb Tier, gewesen, die sich später zu Menschen wandelten. Die An-
hänger des Schlangentotems erzählen, einst sei eine Schlange in die Hütte
eines Mannes gekommen, wo sie ihre Jungen zur Welt brachte. Darauf
sagte sie dem Manne, er dürfe weder sie noch ihre Brut töten oder ver-
letzen, würde aber von einem anderen ein Tier ihrer Art getötet, so müsse
er als Zeichen der Trauer ein Band aus einem Palmenblatt um den
Kopf binden. Eine der eigenartigsten Sagen ist diese: Einige Männer
fingen einen Biber. Da sich das Tier
als zahm und sehr klug erwies, zog
man es im Hause auf. Eines Tages
fühlte sich der Biber gekränkt, ohne
daß man die Ursache kannte, und be-
gann nach Menschenart zu singen. Ein
Mann des Hauses kehrte aus dem
. Walde zurück, wo er an einem Lachs-
bach zwei wunderschön geschnitzte
Fischspeere gefunden und zu sich ge-
nommen hatte. Als der Biber die
Speere sah, behauptete er, sie ge-
schnitzt zu haben. Darauf erhielt er
eine Antwort, die ihn sehr beleidigte.
Er begann darauf wieder zu singen,
und während die Umstehenden mit
Staunen seinem Liede lauschten, er-
griff er einen der Speere und tötete
damit seinen Beleidiger. Dann schlug
er mit dem Schwanz auf den Boden,
woraus das Haus in sich zusammen-
fiel. Man fand, daß der Biber den
Boden des Hauses unterhöhlt hatte,
das dadurch seinen Halt verlor. Seit-
dem ist der Biber das Totemtier der
Decitanindianer. Sie bauen ihre
Häuser nach Art der Biber, und ihre
Lieder sind jene, die der Biber ge-
sungen haben soll. Ein Stamm hat
einen Fluß als Totem. Die Sage er-
zählt, ein schönes, junges Mädchen sei
vor langer Zeit von den Wellen des
Flusses ans Ufer gebracht worden.
Einige Männer wollten die Leiche ins
Dorf bringen, als sie aber den Körper
nur anzurühren versuchten, ward er
flüssig wie Wasser, verschwand im
Fluß und nahm ein Kalb mit sich.
Seitdem opfert dieser Stamm jährlich
dem Fluß eine Kuh mit ihrem Kalb und einen am Ufer getöteten Ochsen.
Zu Ehren des Totems finden zu bestimmten Zeiten Feste statt, wobei
die Toteme durch Masken dargestellt werden. Bei den Nordwestameri-
kanern ist der Tanz mit den oft kunstvollen, das Totemtier getreu nach-
ahmenden Masken eine religiöse Handlung, die die Geschichte des Totems
mimisch vorführt. Oft ist die Oberfläche des Tierkopfes aufklappbar,
so daß der Tänzer zuletzt sein eigenes Gesicht zeigen und die Verwandlung
von Tier zu Mensch symbolisch darstellen kann. M. T.

Tiermasken der Indianer auf Vancouver.
 
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