DM23
Feldmarschall v. Hindenburg bei dem Marinekorps' in Belgien.
Fliegerleutnani Schaefer ch.
Im Kammzim-
mer saß Frau v.Can-
dussi auf einem nie-
deren Polstersessel,
die Hände lässig um
dasKnie geschlungen.
Kühle Dämmerung
füllte den geschmack-
vollen Raum, drau-
ßen vor den halb-
geschlossenen Läden
brütete dieJunihitze.
Manchmal zitterten
lautlos die grünen
Rebenranken vor
den Fenstern, dann
huschten lichte Krin-
gel über das Venus-
bild über dem Kamin. Die schöne
Frauengestalt leuchtete hell im Halb-
dämmer; versonnen betrachtete Re-
gina das Bild.
Sie dachte voll Wehmut an die
Abendstunden des Winters und an
jenen Frühlingstag draußen bei der
Kapelle; jedes Wort Egons war ihr
im Gedächtnis geblieben. Immer
fester gruben sie sich in ihre Seele
und raubten ihr Schlaf und Ge-
sundheit.
Traurig sann Regina vor sich hin.
Die Tür öffnete sich, ein Lichtstrahl
fiel herein. Frau Dietelhauser spähte
ins Dämmer und gewahrte die Toch-
ter nicht gleich.
„Regin, bist du hier?"
Die Gerufene rührte sich nicht.
Frau Dietelhauser schloß die Türe
und schritt über den Samt des Tep-
pichs: „Regin?"
„Ja, Mutter?"
„Warum sitzest du denn da wie
ein angemalter Türk' und rührst
dich nit?"
„Frau Mutter, ich hab? ein wenig
ausruhen wollen."
„Ausruhen! Von was denn?
Wahrscheinlich vom Nichtstun."
Regina verzog den Mund und
wollte aufstehen: „Es wird Zeit sein
für den Nachmittagskaffee."
Frau Dietelhauser setzte sich auf
Ich kann doch nichts dafür, wenn diese Herren meiner Tochter
den Hof machen. Unrechtes wird nicht dabei sein?"
„Unrechtes wird nicht dabei sein?" höhnte Frau Fink. „Nun,
wenn es Ihnen als verantwortungsvolle Mutter nichts schadet,
daß die ganze Stadt von Ihrer Tochter spricht und man sie die
Venus vom Candussihof nennt» dann kann es mir, einer hoch-
anständigen Frau, recht sein!"
Die Verleumderin sprang auf, um der übrigen Gesellschaft
nachzueilen.
Frau Dietelhauser blieb gedankenvoll auf der Steinbank sitzen,
und wehrte mit dem Taschentuch die singenden Schnaken ab. Nach
längerem Sinnen und
Erwägen beschloß sie,
ihrvomBäckermeistet
verordnetes Abwar¬
ten aufzugeben. Sie
wollte mit Regina
sprechen.
das Sofa und zwang mit linder Gewalt ihre Tochter wieder auf
den Sessel: „Bleib nur, liebe Regin! Die Mamsell deckt erst den
Tisch. Es ist mir grad recht, mit dir ein wenig allein zu reden."
„Was wünscht denn die Frau Mutter?" Ergeben faltete Regina
die Hände wieder um das Knie.
„Regin, sag mir, hast du denn das Arbeiten schon ganz ver-
lernt in deinem schönen Haus?"
„Arbeiten! Weiß denn die Frau Mutter nicht, daß, wie ich
hergekommen bin, bereit, zu schaffen und zu helfen, der Andreas,
die Ploni und die Mamsell mir alles aus der Hand genommen haben?
Was ich auch angegriffen hab', gleich hat's geheißen: »Aber Euer
Gnaden!-oder: ,Das
wird doch die Frau
Doktor v. Candussi
nicht selber tun wol-
len, das schickt sich
doch nicht! Es ist
ja alles so wohlein-
gerichtet in unserem
Haushalt.- Mit aller
Müh und Not hab'
ich es seinerzeit bei
meinem Mann durch-
gesetzt, daß ich das
französische Stuben-
mädel, die Nanon,
hab' entlassen dür-
fen. Es war ihm
nicht recht, denn sie
war ja auch zu mei-
ner Bequemlichkeit
d er lieben Frau Hof-
rätin von der Gräfin
Theinfeld empfoh-
len worden. Das
könnt' mir noch ab-
ph Tellgmann, Kassel, gehen, solch dünne
Spinnenfinger an
mir herumbasteln zu lassen! Uber
meine steirische Sprache war die
Nanon immer ganz entsetzt. Wenn
ein echtes Grätzerwort über meine
Lippen gekommen ist, hat sie ge-
macht: ,^b, o'o8t atkroux!- und hat
ihre großen welschen Augen gegen
den Himmel g'schlag'n."
„Ja, ja, Regln, das glaub' ich
dir ja alles. Aber du könntest doch
etwas stricken, sticken oder häkeln?"
„Für wen denn?"
„Regina, es könnt' doch mal ein
Enkel für mich kommen."
Frau Regina lächelte müde. „Hat
nicht die liebe Schwiegermaman
längst alles schon dafür vorbereitet?
Fir und fertig liegt alles draußen
im Vorsaal im großen Garderobe-
kasten. Erst im Winter hat sie mir
wieder eine große Schachtel voll da-
von geschickt. Die feinsten Spitzen-
jäckchen und was weiß ich, was noch
alles. Hab's gar nicht näher an-
geschaut!"
Unruhig stieß Regina mit den
feinen Seidenschuhchen die Troddeln
des Sofas hin und her.
Frau Dietelhauser saß gerade
aufgerichtet und sah auf das weiße,
gestickte Taftkleid, das so lieblich
die Gestalt der Tochter umschloß.
„Regin, ist das auch recht, daß
du die feinsten, teuersten Stoffe
Feldmarschall v. Hindenburg bei dem Marinekorps' in Belgien.
Fliegerleutnani Schaefer ch.
Im Kammzim-
mer saß Frau v.Can-
dussi auf einem nie-
deren Polstersessel,
die Hände lässig um
dasKnie geschlungen.
Kühle Dämmerung
füllte den geschmack-
vollen Raum, drau-
ßen vor den halb-
geschlossenen Läden
brütete dieJunihitze.
Manchmal zitterten
lautlos die grünen
Rebenranken vor
den Fenstern, dann
huschten lichte Krin-
gel über das Venus-
bild über dem Kamin. Die schöne
Frauengestalt leuchtete hell im Halb-
dämmer; versonnen betrachtete Re-
gina das Bild.
Sie dachte voll Wehmut an die
Abendstunden des Winters und an
jenen Frühlingstag draußen bei der
Kapelle; jedes Wort Egons war ihr
im Gedächtnis geblieben. Immer
fester gruben sie sich in ihre Seele
und raubten ihr Schlaf und Ge-
sundheit.
Traurig sann Regina vor sich hin.
Die Tür öffnete sich, ein Lichtstrahl
fiel herein. Frau Dietelhauser spähte
ins Dämmer und gewahrte die Toch-
ter nicht gleich.
„Regin, bist du hier?"
Die Gerufene rührte sich nicht.
Frau Dietelhauser schloß die Türe
und schritt über den Samt des Tep-
pichs: „Regin?"
„Ja, Mutter?"
„Warum sitzest du denn da wie
ein angemalter Türk' und rührst
dich nit?"
„Frau Mutter, ich hab? ein wenig
ausruhen wollen."
„Ausruhen! Von was denn?
Wahrscheinlich vom Nichtstun."
Regina verzog den Mund und
wollte aufstehen: „Es wird Zeit sein
für den Nachmittagskaffee."
Frau Dietelhauser setzte sich auf
Ich kann doch nichts dafür, wenn diese Herren meiner Tochter
den Hof machen. Unrechtes wird nicht dabei sein?"
„Unrechtes wird nicht dabei sein?" höhnte Frau Fink. „Nun,
wenn es Ihnen als verantwortungsvolle Mutter nichts schadet,
daß die ganze Stadt von Ihrer Tochter spricht und man sie die
Venus vom Candussihof nennt» dann kann es mir, einer hoch-
anständigen Frau, recht sein!"
Die Verleumderin sprang auf, um der übrigen Gesellschaft
nachzueilen.
Frau Dietelhauser blieb gedankenvoll auf der Steinbank sitzen,
und wehrte mit dem Taschentuch die singenden Schnaken ab. Nach
längerem Sinnen und
Erwägen beschloß sie,
ihrvomBäckermeistet
verordnetes Abwar¬
ten aufzugeben. Sie
wollte mit Regina
sprechen.
das Sofa und zwang mit linder Gewalt ihre Tochter wieder auf
den Sessel: „Bleib nur, liebe Regin! Die Mamsell deckt erst den
Tisch. Es ist mir grad recht, mit dir ein wenig allein zu reden."
„Was wünscht denn die Frau Mutter?" Ergeben faltete Regina
die Hände wieder um das Knie.
„Regin, sag mir, hast du denn das Arbeiten schon ganz ver-
lernt in deinem schönen Haus?"
„Arbeiten! Weiß denn die Frau Mutter nicht, daß, wie ich
hergekommen bin, bereit, zu schaffen und zu helfen, der Andreas,
die Ploni und die Mamsell mir alles aus der Hand genommen haben?
Was ich auch angegriffen hab', gleich hat's geheißen: »Aber Euer
Gnaden!-oder: ,Das
wird doch die Frau
Doktor v. Candussi
nicht selber tun wol-
len, das schickt sich
doch nicht! Es ist
ja alles so wohlein-
gerichtet in unserem
Haushalt.- Mit aller
Müh und Not hab'
ich es seinerzeit bei
meinem Mann durch-
gesetzt, daß ich das
französische Stuben-
mädel, die Nanon,
hab' entlassen dür-
fen. Es war ihm
nicht recht, denn sie
war ja auch zu mei-
ner Bequemlichkeit
d er lieben Frau Hof-
rätin von der Gräfin
Theinfeld empfoh-
len worden. Das
könnt' mir noch ab-
ph Tellgmann, Kassel, gehen, solch dünne
Spinnenfinger an
mir herumbasteln zu lassen! Uber
meine steirische Sprache war die
Nanon immer ganz entsetzt. Wenn
ein echtes Grätzerwort über meine
Lippen gekommen ist, hat sie ge-
macht: ,^b, o'o8t atkroux!- und hat
ihre großen welschen Augen gegen
den Himmel g'schlag'n."
„Ja, ja, Regln, das glaub' ich
dir ja alles. Aber du könntest doch
etwas stricken, sticken oder häkeln?"
„Für wen denn?"
„Regina, es könnt' doch mal ein
Enkel für mich kommen."
Frau Regina lächelte müde. „Hat
nicht die liebe Schwiegermaman
längst alles schon dafür vorbereitet?
Fir und fertig liegt alles draußen
im Vorsaal im großen Garderobe-
kasten. Erst im Winter hat sie mir
wieder eine große Schachtel voll da-
von geschickt. Die feinsten Spitzen-
jäckchen und was weiß ich, was noch
alles. Hab's gar nicht näher an-
geschaut!"
Unruhig stieß Regina mit den
feinen Seidenschuhchen die Troddeln
des Sofas hin und her.
Frau Dietelhauser saß gerade
aufgerichtet und sah auf das weiße,
gestickte Taftkleid, das so lieblich
die Gestalt der Tochter umschloß.
„Regin, ist das auch recht, daß
du die feinsten, teuersten Stoffe