HM 23 _ DasBuchfürAtls
551
Äes billige Äf(ilen. Humoreske von T. !Kesa.
zu
fuhr ich auf. „Mäh!
Mein Gott, war sie denn noch immer nicht mit der Gardinenpredigt
Ende. Sie stotterte ja schon, dachte ich im ersten Schreck.
„Mäh—ä—ü—ä—äh! Mäh—ä—ä—-ä—ü—äh!"
Ach so. Das war ja das unglückselige Bäckchen.
„Ruhig!" schrie ich und warf einen Pantoffel gegen die Tür; aber
das war nicht wohlgetan, denn ich weckte damit nur die Gattin, ohne
Bein ganz bedenklich. Der dicke Kerl roch
und sah mich mit fürchterlichen Blicken an.
Ich fand es für gut, ihn nicht zuerst zu
Worte kommen zu lassen. Ich begann darum
schnell: „Es tut mir furchtbar leid . . ." Aber
es nützte nichts. Er wollte reden.
„Präzis mein Jichtbein!" unterbrach er
mich. „Und präzis..."
„Ich weiß, ich weiß! Aber ich habe es
wirklich nicht gern getan. Ich will Ihnen
auch das beschädigte Bäckchen gern abkaufen.
Was wollen Sie dafür haben?"
Der Dicke starrte mich aus wäßrigen
Trinkeraugen geistesverloren an. „Det Bäck-
chen?" fragte er und stierte vor sich hin. Ich
sah, daß er den Harmlosen spielen wollte,
um mich sicherer zu Übervorteilen; ich fiel
ihm rasch ins Wort: „Was wollen Sie für
das Bäckchen haben?"
Ein klagendes Gemecker hinter uns ließ
den Geist des Mannes wieder klar werden.
Ohne sich umzudrehen, warf er einen Blick
über die Achsel und nickte: „Ach so! det
Bäckchen meinten Sie. Wieviel ich für det
Bäckchen haben will? Wat wollen Se denn
jeden?"
Ich erwartete, daß er mindestens das
Doppelte verlangen würde, und fragte zag-
haft: „Sind drei Mark genug?"
Zu meinem freudigen Erstaunen hielt er
mir statt jeder Antwort die gekrümmte Hand
hin. Ich gab ihm das Geld und fand nichts Auffälliges daran, als er
sich eilig entfernte, ohne einen letzten Blick nach seinem Bäckchen zu
werfen. Ich dachte mir, der Abschied sei ihm zu nahe gegangen. Auf
einen Ziegenbraten hatte ich schon lang gelauert; und nun kam ich so
auffallend billig dazu.
Das Bäckchen hüpfte auf seinen dcei ganzen und einem beschädigten
Beinchen so gut es ging weiter, undäoi mußte versuchen, es einzufangen.
Da traf es sich recht glücklich, daß eben eine Schule den Unterricht
schloß; ein Haufe tobender, schreiender Jungen erfüllte den Platz. Mit
lautem Geschrei beteiligten sie sich an der Jagd auf das Tierchen, das
ZU zittern, wenn ein Schutzmann mir begegnete. Noch nie rund um die Anlage rannte und trotz aller Angst noch Zeit fand, ein
paar über das Gitter ragende Rosenzweige
abzureißen. Die wilde Jagd und der Lärm
wurden schließlich so gewaltig, daß ein Schutz-
mann mit gezücktem Notizbuch herbeikam.
Zwei halbwüchsige Bengel zerrten gerade
das Bäckchen an den Ohren herbei, zwei an-
dere schoben von hinten nach, denn es spreizte
alle viere und rutschte mehr, als es lief.
„Det is Piepenbrinks Zickel!" erklärte ein
Bengel, der, die Hände in den Taschen, zu-
gesehen hatte. „Ich kenn's am schwarzen
Sterz."
Ärgerlich sagte ich: „Aber jetzt ist es mein
Zickel, wie du siehst. Statt des Geredes
hilf mir lieber, es nach meinem Haus zu
schaffen."
Der freche Lümmel schrie: „Werd' mich
hüten. Damit mich Piepenbrinks Mare nach-
her verwamst. Stehlen Sie man Ihre Zickels
alleene."
Damit rannte er davon, so daß mein
brennender Wunsch, Mare Piepenbrink das
„Verwamsen" abzunehmen, leider unerfüllt
blieb. Ich gab einem der Jungen ein Trink-
geld, und er schob mir das Rad. Von dem
Schutzmann noch immer mißtrauisch beob-
achtet, verzog ich mich in eine Nebenstraße.
Daheim empfing mich ungeheurer Jubel
der Kinder; nur meine Gattin lächelte et-
was säuerlich. „Mein Gott, Wirrener, was
is gestern war ich, Willi Wirrener, ein ebenso unbescholtenes
als achtungswertes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft.
Ruhig konnte ich meines Weges gehen und brauchte nicht
- -. ' - - -
war ich mit den Gesetzen in Widerstreit ge-
raten und genoß das Wohlwollen und die
Achtung meiner Freunde und Nachbarn. Jetzt
gehöre ich zum Abschaum der Menschheit.
Man verdächtigte mich des Diebstahls, der
Bestechung, des Mißbrauchs Minderjähriger
zu einer ungesetzlichen Handlung; ich habe
einen Strafantrag, eine Klage wegen Belei¬
digung eines Beamten auf dem Halse, und
meine Frau droht mir mit der Scheidung.
Und dies alles geschah, weil ich einen billigen
Braten erworben zu haben glaubte.
Und so kam es. Am Morgen dieses ver¬
hängnisvollen Tages radelte ich über einen
stillen Platz der Großstadt, dessen Mitte eine
gärtnerische Anlage zierte. Prächtige Rosen,
die in voller Blüte standen, zogen meine
Blicke so mächtig an, daß ich auf ein weißes
Bäckchen nicht achtete, das frei, wie ein
Hündchen, hinter einem dicken Mann her¬
lief. Ich rannte dagegen los, fiel vom Rad
und stieß mit dem Vorderrad auch noch den
dicken Mann um, so daß wir alle, Mann,
Rad, Bäckchen und ich, uns auf dem Erd¬
boden zu einem Knäuel verwirrt herum¬
balgten. Der Dicke schien diesen „verwickelten
Fall" als vorsätzliche Bosheit von mir auf¬
zufassen und trieb mir fluchend mit Faust¬
schlägen den Hut über das Gesicht. Endlich
standen wir doch wieder einzeln aufrecht.
Freilich alle mehr oder weniger mitgenommen. Mein Radmantel schleppst du mir denn da ins Haus?" begann sie. Im selben Äugen-
pfiff aus dem letzten Loch, mein Arm war gequetscht, der Dicke rieb blick flüchtete sie kreischend auf den Sitz eines Stuhles, da das Bäckchen
sich fluchend den Schenkel, und auch das Bäckchen hinkte auf einem mit drohend gesenktem Kopf gegen sie anrannte. Es meckerte unter-
entsetzlich nach Schnaps nehmend und schien nicht ganz stubenrein zu sein.
„Hinaus mit dem greulichen Vieh!" schrie
meine Gattin, ihre Röcke ängstlich raffend. -
Ich beförderte den Sündenbock schleunigst
ins Nebenzimmer, wo ich ihn an ein Tisch-
bein festband. Gleich darauf zerrte er den
Tisch mit ohrenzerreißendem Gepolter durch
die Stube. Da machten wir das Unglücks-
geschöpf an einem Sofabein fest, nachdem
wir uns überzeugt hatten, daß es den grünen
Plüsch für kein bekömmliches Futter hielt.
Dann brachten wir herbei, was ein Ziegen-
bäckchen von dieser besten aller Welten er-
hoffen kann. Hans holte Gras, Elli Milch,
ich stahl in der Küche Möhren und schnitt
Weißbrot; aber trotz alledem schien es mit
dem Geschick hadern zu wollen. Hans meinte,
es sei frische Luft gewohnt, man müsse es
weiden. So zogen er und Elli das Bäckchen
an einem Strick wieder treppab.
Als ich am Abend heimkam, fand ich das
Bäckchen so wohlgenährt, daß es nicht mehr
die Kraft aufbrachte, sich vom Sofabein los-
zumachen. Nur die Kinder erschienen mir
auffallend kleinlaut. Vor dem Sofa lag schon
ein ganzes Bund Stroh als Lager für das
Bäckchen ausgebreitet. Einzelne Halmstück-
chen schleppten wir durch die ganze Woh¬
nung, zum nicht geringen Leidwesen meiner
Frau.
Dann kam die Nacht. Aus tiefen: Schlaf
mü—ü—ü—-ü—äh! Müh—ü—ä—ääüääüh!"
W
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Äes billige Äf(ilen. Humoreske von T. !Kesa.
zu
fuhr ich auf. „Mäh!
Mein Gott, war sie denn noch immer nicht mit der Gardinenpredigt
Ende. Sie stotterte ja schon, dachte ich im ersten Schreck.
„Mäh—ä—ü—ä—äh! Mäh—ä—ä—-ä—ü—äh!"
Ach so. Das war ja das unglückselige Bäckchen.
„Ruhig!" schrie ich und warf einen Pantoffel gegen die Tür; aber
das war nicht wohlgetan, denn ich weckte damit nur die Gattin, ohne
Bein ganz bedenklich. Der dicke Kerl roch
und sah mich mit fürchterlichen Blicken an.
Ich fand es für gut, ihn nicht zuerst zu
Worte kommen zu lassen. Ich begann darum
schnell: „Es tut mir furchtbar leid . . ." Aber
es nützte nichts. Er wollte reden.
„Präzis mein Jichtbein!" unterbrach er
mich. „Und präzis..."
„Ich weiß, ich weiß! Aber ich habe es
wirklich nicht gern getan. Ich will Ihnen
auch das beschädigte Bäckchen gern abkaufen.
Was wollen Sie dafür haben?"
Der Dicke starrte mich aus wäßrigen
Trinkeraugen geistesverloren an. „Det Bäck-
chen?" fragte er und stierte vor sich hin. Ich
sah, daß er den Harmlosen spielen wollte,
um mich sicherer zu Übervorteilen; ich fiel
ihm rasch ins Wort: „Was wollen Sie für
das Bäckchen haben?"
Ein klagendes Gemecker hinter uns ließ
den Geist des Mannes wieder klar werden.
Ohne sich umzudrehen, warf er einen Blick
über die Achsel und nickte: „Ach so! det
Bäckchen meinten Sie. Wieviel ich für det
Bäckchen haben will? Wat wollen Se denn
jeden?"
Ich erwartete, daß er mindestens das
Doppelte verlangen würde, und fragte zag-
haft: „Sind drei Mark genug?"
Zu meinem freudigen Erstaunen hielt er
mir statt jeder Antwort die gekrümmte Hand
hin. Ich gab ihm das Geld und fand nichts Auffälliges daran, als er
sich eilig entfernte, ohne einen letzten Blick nach seinem Bäckchen zu
werfen. Ich dachte mir, der Abschied sei ihm zu nahe gegangen. Auf
einen Ziegenbraten hatte ich schon lang gelauert; und nun kam ich so
auffallend billig dazu.
Das Bäckchen hüpfte auf seinen dcei ganzen und einem beschädigten
Beinchen so gut es ging weiter, undäoi mußte versuchen, es einzufangen.
Da traf es sich recht glücklich, daß eben eine Schule den Unterricht
schloß; ein Haufe tobender, schreiender Jungen erfüllte den Platz. Mit
lautem Geschrei beteiligten sie sich an der Jagd auf das Tierchen, das
ZU zittern, wenn ein Schutzmann mir begegnete. Noch nie rund um die Anlage rannte und trotz aller Angst noch Zeit fand, ein
paar über das Gitter ragende Rosenzweige
abzureißen. Die wilde Jagd und der Lärm
wurden schließlich so gewaltig, daß ein Schutz-
mann mit gezücktem Notizbuch herbeikam.
Zwei halbwüchsige Bengel zerrten gerade
das Bäckchen an den Ohren herbei, zwei an-
dere schoben von hinten nach, denn es spreizte
alle viere und rutschte mehr, als es lief.
„Det is Piepenbrinks Zickel!" erklärte ein
Bengel, der, die Hände in den Taschen, zu-
gesehen hatte. „Ich kenn's am schwarzen
Sterz."
Ärgerlich sagte ich: „Aber jetzt ist es mein
Zickel, wie du siehst. Statt des Geredes
hilf mir lieber, es nach meinem Haus zu
schaffen."
Der freche Lümmel schrie: „Werd' mich
hüten. Damit mich Piepenbrinks Mare nach-
her verwamst. Stehlen Sie man Ihre Zickels
alleene."
Damit rannte er davon, so daß mein
brennender Wunsch, Mare Piepenbrink das
„Verwamsen" abzunehmen, leider unerfüllt
blieb. Ich gab einem der Jungen ein Trink-
geld, und er schob mir das Rad. Von dem
Schutzmann noch immer mißtrauisch beob-
achtet, verzog ich mich in eine Nebenstraße.
Daheim empfing mich ungeheurer Jubel
der Kinder; nur meine Gattin lächelte et-
was säuerlich. „Mein Gott, Wirrener, was
is gestern war ich, Willi Wirrener, ein ebenso unbescholtenes
als achtungswertes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft.
Ruhig konnte ich meines Weges gehen und brauchte nicht
- -. ' - - -
war ich mit den Gesetzen in Widerstreit ge-
raten und genoß das Wohlwollen und die
Achtung meiner Freunde und Nachbarn. Jetzt
gehöre ich zum Abschaum der Menschheit.
Man verdächtigte mich des Diebstahls, der
Bestechung, des Mißbrauchs Minderjähriger
zu einer ungesetzlichen Handlung; ich habe
einen Strafantrag, eine Klage wegen Belei¬
digung eines Beamten auf dem Halse, und
meine Frau droht mir mit der Scheidung.
Und dies alles geschah, weil ich einen billigen
Braten erworben zu haben glaubte.
Und so kam es. Am Morgen dieses ver¬
hängnisvollen Tages radelte ich über einen
stillen Platz der Großstadt, dessen Mitte eine
gärtnerische Anlage zierte. Prächtige Rosen,
die in voller Blüte standen, zogen meine
Blicke so mächtig an, daß ich auf ein weißes
Bäckchen nicht achtete, das frei, wie ein
Hündchen, hinter einem dicken Mann her¬
lief. Ich rannte dagegen los, fiel vom Rad
und stieß mit dem Vorderrad auch noch den
dicken Mann um, so daß wir alle, Mann,
Rad, Bäckchen und ich, uns auf dem Erd¬
boden zu einem Knäuel verwirrt herum¬
balgten. Der Dicke schien diesen „verwickelten
Fall" als vorsätzliche Bosheit von mir auf¬
zufassen und trieb mir fluchend mit Faust¬
schlägen den Hut über das Gesicht. Endlich
standen wir doch wieder einzeln aufrecht.
Freilich alle mehr oder weniger mitgenommen. Mein Radmantel schleppst du mir denn da ins Haus?" begann sie. Im selben Äugen-
pfiff aus dem letzten Loch, mein Arm war gequetscht, der Dicke rieb blick flüchtete sie kreischend auf den Sitz eines Stuhles, da das Bäckchen
sich fluchend den Schenkel, und auch das Bäckchen hinkte auf einem mit drohend gesenktem Kopf gegen sie anrannte. Es meckerte unter-
entsetzlich nach Schnaps nehmend und schien nicht ganz stubenrein zu sein.
„Hinaus mit dem greulichen Vieh!" schrie
meine Gattin, ihre Röcke ängstlich raffend. -
Ich beförderte den Sündenbock schleunigst
ins Nebenzimmer, wo ich ihn an ein Tisch-
bein festband. Gleich darauf zerrte er den
Tisch mit ohrenzerreißendem Gepolter durch
die Stube. Da machten wir das Unglücks-
geschöpf an einem Sofabein fest, nachdem
wir uns überzeugt hatten, daß es den grünen
Plüsch für kein bekömmliches Futter hielt.
Dann brachten wir herbei, was ein Ziegen-
bäckchen von dieser besten aller Welten er-
hoffen kann. Hans holte Gras, Elli Milch,
ich stahl in der Küche Möhren und schnitt
Weißbrot; aber trotz alledem schien es mit
dem Geschick hadern zu wollen. Hans meinte,
es sei frische Luft gewohnt, man müsse es
weiden. So zogen er und Elli das Bäckchen
an einem Strick wieder treppab.
Als ich am Abend heimkam, fand ich das
Bäckchen so wohlgenährt, daß es nicht mehr
die Kraft aufbrachte, sich vom Sofabein los-
zumachen. Nur die Kinder erschienen mir
auffallend kleinlaut. Vor dem Sofa lag schon
ein ganzes Bund Stroh als Lager für das
Bäckchen ausgebreitet. Einzelne Halmstück-
chen schleppten wir durch die ganze Woh¬
nung, zum nicht geringen Leidwesen meiner
Frau.
Dann kam die Nacht. Aus tiefen: Schlaf
mü—ü—ü—-ü—äh! Müh—ü—ä—ääüääüh!"
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